Neurofibromatosen untergliedern sich in drei verschiedene erblich bedingte Tumorerkrankungen mit meist gutartigen Wucherungen. Die Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2 sowie die Schwannomatose (manchmal Neurofibromatose Typ 3 genannt) sind jeweils eigenständige Krankheiten. Sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Verlauf als auch hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten. Alle drei Typen sind nach neuestem Kenntnisstand weder heilbar noch gibt es eine in Deutschland zugelassene medikamentöse Behandlung. Da es sich um eine Erbkrankheit handelt, kann die Neurofibromatose durch vorbeugende Maßnahmen nicht verhindert werden.
Moderne Diagnosemöglichkeiten indes eröffnen dem Arzt ein frühzeitiges Erkennen und Eingreifen. Die Patienten selbst beziehungsweise die Eltern erkrankter Kinder sind gefordert, achtsam mit möglichen Symptomen umzugehen und rechtzeitig den Arzt aufzusuchen. Dies verlangt von den Betroffenen ein Leben lang Geduld und die Akzeptanz ihrer Erkrankung.
Die Diagnose einer unheilbaren, chronisch verlaufenden Krankheit stellt die Patienten sowie deren Angehörige vor eine große Herausforderung. Die Neurofibromatosen zeichnen sich durch eine Vielfalt an Symptomen aus. Es kann somit von Vorteil sein, sich bei Medizinern, Psychologen und Sozialpädagogen gleichermaßen Rat einzuholen.
Maßnahmen zur Früherkennung sind zwar nicht imstande, die Krankheit zu heilen, sie können jedoch eine frühe, adäquate Behandlung ermöglichen und die Schwere der Symptome abmildern. Zudem geben sie den Patienten und Angehörigen die Möglichkeit, sich über eine anstehende Behandlung zu informieren.
Besteht bei der Mutter oder dem Vater eine bekannte Neurofibromatose, ist mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei dem Kind die gleiche Mutation (Veränderung im Erbgut) vorhanden ist. Von den Eltern sollte eine genetische Beratung in Anspruch genommen werden. Eine vorgeburtliche genetische Untersuchung ermöglicht es, Veränderungen auf dem Erbgut des Kindes festzustellen. Im Rahmen einer solchen genetischen Untersuchung kann zwar der Typ der Neurofibromatose bestimmt werden, dessen tatsächliche Ausprägung wird indes von weiteren Faktoren geprägt.
Für die Erkennung und Behandlung der Neurofibromatosen wurden verschiedene Leitlinien erarbeitet. Die Vielzahl der daran beteiligten medizinischen Fachdisziplinen deutet bereits auf eine breite Palette möglicher Symptome hin. Das erklärt, warum die Neurofibromatosen in manchen Fällen nicht ohne weiteres erkannt werden können. Bei der Neurofibromatose Typ 1 und 2 (NF1 und NF2) liegt bei der Hälfte der Erkrankten eine familiäre Belastung vor. In allen anderen Fällen wird beim Auftreten erster Krankheitszeichen wie Café-au-lait-Flecken (hellbraunen Pigmentflecken der Haut) oder Neurofibromen (Tumoren von Nerven) eine genetische Untersuchung veranlasst. Diese kann zweifelsfrei den Typ der Neurofibromatose und damit das weitere Vorgehen bestimmen.
Schwere Verläufe werden sowohl bei der Neurofibromatose Typ 1 als auch Typ 2 sowie der Schwannomatose selten beobachtet. Zudem besitzen viele der Krankheitszeichen für den Patienten keinen einschneidenden Krankheitswert. Inwiefern die Lebensqualität und die Lebenserwartung vermindert sind, hängt vor allem von der Art und Schwere der Krankheitsentwicklung sowie einer möglichen Behandlung ab.
Der Entfernung der Tumoren kommt bei allen Typen der Neurofibromatose eine wichtige Bedeutung zu. Vorrangiges Ziel ist dabei die Wiederherstellung beziehungsweise Erhaltung wichtiger Körperfunktionen sowie (vor allem bei der Schwannomatose) die Schmerzlinderung. Für den Erfolg einer operativen Entfernung von Neurofibromen oder weiteren Tumoren sind die Größe und der Ort der Entstehung entscheidend. Aus der Haut herauswachsende Fibrome haben große Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Bei gestielten Fibromen kann im Vergleich zu Tumoren in der Haut kosmetisch ein besseres Ergebnis erzielt werden. In diesen Fällen scheint die herkömmliche Entfernung mit dem Skalpell ausreichend.
Die für den Patienten wichtige Narbenbildung zeigt sich hierbei in aller Regel zufriedenstellend. Die Wundheilung ist indes abhängig vom individuellem Heilungsverlauf und der Größe des Tumors. Entscheidet sich der Operateur für eine Laserbehandlung, können nach Abheilen der Wunde kleine weiße Flecken auf der Haut verbleiben. Mit der Lasertechnologie ist es zudem möglich, mehrere Tumoren gleichzeitig zu entfernen. Allerdings muss mit einem längeren Heilungsprozess gerechnet werden. Ein erneutes Auftreten von Neurofibromen an der gleichen oder an benachbarten Stellen lässt sich nicht ausschließen.
Tumoren der Hör- und Gleichgewichtsnerven (sogenannte Akustikusneurinome oder Vestibularisschwannome) betreffen den Großteil der Patienten einer Neurofibromatose vom Typ 2. Sie sind somit dem ständigen Risiko einer Beeinträchtigung des Hörvermögens und einer möglichen Ertaubung ausgesetzt. Ebenso kommt es häufig zu Gleichgewichtsstörungen. Die operative Entfernung beziehungsweise Verkleinerung der Tumoren bedeutet für die Patienten aktuell die einzige langfristig wirksame Behandlungsmöglichkeit.
Doch nicht jedes Akustikusneurinom stellt die Notwendigkeit für einen chirurgischen Eingriff dar. Die Entfernung des Tumors hat am ehesten dann eine Chance auf eine Heilung, wenn es sich um einen Tumor geringer Größe handelt. Aus diesem Grund wird versucht, diese Vestibularisschwannome heute frühzeitig zu operieren. Die Wahrscheinlichkeit einer Hörerhaltung des erkrankten Ohres kann auf diese Weise deutlich erhöht werden. Bei größeren Tumoren besteht die Gefahr, dass sie auf das Stammhirn drücken. Dadurch können wichtige Körperfunktionen beeinträchtigt werden. Der Eingriff verlangt vom Operateur ein hohes Maß an Erfahrung und Geschicklichkeit. Moderne bildgebende Verfahren im Vorfeld sowie eine Überwachung der Funktion des Gehirns während der Operation haben sich zum Vorteil für die Patienten entwickelt. Dennoch birgt ein chirurgischer Eingriff die Gefahr einer Verletzung benachbarter Nerven. Wurde ein Vestibularisschwannom nur teilweise entfernt, kann es zu einem späteren Fortschreiten des Hörverlustes kommen. Dieses Zeitfenster sollte vom Patienten genutzt werden, um den Verlust zu kompensieren, beispielsweise durch das Erlernen der Gebärdensprache.
Hörhilfen ermöglichen es den Patienten, wieder Laute zu hören und sich zu verständigen. Während herkömmliche Hörgeräte die Schallwellen verstärken, setzen Hörimplantate an den weiter zentral liegenden Strukturen im Ohr oder Gehirn an. Zu den bekanntesten Hörhilfen dieser Art zählt das Cochlea-Implantat. Für dessen Funktion bedarf es jedoch eines intakten Hörnervs. Bei der Neurofibromatose ist dieser durch die Vestibularisschwannome beschädigt. Stattdessen kann im Anschluss an die Entfernung der Tumoren ein sogenanntes Hirnstammimplantat eingesetzt werden. Ein solches ABI (Auditory Brainstem Implant) empfängt die Schallwellen und leitet sie an Elektroden im Gehirn weiter, welche direkt mit dem Hirnstamm verbunden sind. Die eigentliche Funktionseinheit Ohr wird auf diesem Weg umgangen. Für den Patienten ist allerdings ein intensives Training notwendig, um die Geräusche als Sprache interpretieren zu können. Eine Wiederherstellung des normalen Höreindruckes ist mit einem ABI nicht gegeben. Solange der Hörnerv nicht geschädigt ist, liefern Cochlea-Implantate ein deutlich besseres Hörerlebnis.
Insbesondere die Schwannomatose (Typ 3 der Neurofibromatosen) ist geprägt von starken und chronischen Schmerzzuständen. Die regelmäßige Einnahme von den üblichen Schmerzmitteln (nichtsteroidalen Antirheumatika wie Ibuprofen) kann zu teils schweren zusätzlichen Krankheitsbildern führen. Der Einsatz sogenannter Co-Analgetika kann dazu beitragen, die notwendige Dosierung zu verringern. Sie sind in der Lage, die schmerzlindernden Eigenschaften von Schmerzmitteln zu verstärken. Schmerzen sind ein Alarmsignal des Körpers. Durch das Ausschalten kann indes keine Heilung oder endgültige Beseitigung der Symptome erreicht werden.
Bei Patienten mit einer Neurofibromatose Typ 1 können sich sowohl eine Fehlentwicklung des Skelettsystems (Skoliose, Keilbeinflügel-Dysplasie) als auch eine verminderte Knochendichte finden. Leichte Symptome sind in vielen Fällen nicht behandlungsbedürftig oder können mit Orthesen gestützt werden. Bei schweren Ausprägungen einer Skoliose ist eine frühzeitige Operation angezeigt, um neurologische Komplikationen (Lähmung, Taubheitsgefühl) zu vermeiden. Eine Operation birgt Risiken von Nervenschäden ebenso wie eine erhöhte Blutungsgefahr. Daher erfolgt ein solcher Eingriff nur durch einen erfahrenen Operateur. Ziel ist es, die Wirbelsäule nach Möglichkeit zu begradigen und ihre Stützfunktion aufrechtzuerhalten. Dies kann durch die Verwendung von Eigenknochen sowie Stäben und Schrauben gelingen.
NF1-Patienten weisen im Vergleich zu nicht Betroffenen einen ganzjährig niedrigen Vitamin-D-Spiegel auf. Der nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Anzahl von Neurofibromen und einem Vitamin-D-Mangel geht mit der Beobachtung einer verminderten Knochendichte einher. Inwiefern die zusätzliche Aufnahme von Vitamin D einen positiven Einfluss auf die Knochendichte besitzt, ist bislang noch nicht eindeutig erwiesen. Die Schwächung der Knochenstruktur könnte hingegen auf ein Zusammenspiel mit mehreren anderen Ursachen zurückzuführen sein. So werden eine verminderte Muskelspannung oder Bewegungsmangel diskutiert. Ungeachtet dessen kann die zusätzliche Gabe von Vitamin D empfehlenswert sein, zumal die Konzentration in allen Bevölkerungsgruppen zu niedrig ist. Insbesondere eine Kombination aus Vitamin-D- und Calcium-Präparaten erscheint momentan geeignet, möglichen spontanen Knochenbrüchen bei NF1-Patienten vorzubeugen.
Selbst hochgesteckte Ziele sind aktuell von einer Heilung der Neurofibromatose weit entfernt. Dennoch gibt es einige erwartungsvolle Ansätze, welche imstande sein könnten, die Auswirkungen der Erkrankung für die Patienten zu verringern.
Zwei Methoden verdienen dabei eine besondere Bedeutung. Zum einen ist die Behandlung der NF1 durch sogenannte MEK-Inhibitoren zu erwähnen. Diese sind seit längerem für die medikamentöse Therapie bei bösartigen Tumoren zugelassen. Von der amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) wurde bereits ein Medikament zugelassen, um eine Form der Tumore bei NF1, plexiforme Neurofibrome, zu behandeln. Andere Medikamente dieser Art sind noch in der Testphase. Die gen- und immuntherapeutische Forschung setzt zudem darauf, eine Neubildung von Blutgefäßen innerhalb der Tumoren zu hemmen. Viren könnten möglicherweise in Zukunft diese Aufgabe übernehmen, indem deren Erbgut insoweit verändert wird, dass sie gezielt Tumoren schädigen.
Weiterführende Links:
hear-it.org – Hirnstammimplantat (ABI): https://www.hear-it.org/de/hirnstammimplantat-abi (online, letzter Abruf: 15.02.2021)
Springer Link, P. Metz-Stavenhagen; S. Krebs; Th. Seidel; F. Krämer; H.-J. Völpel – Behandlung der Skoliose und Skoliokyphose bei Neurofibromatosis Recklinghausen (NF): https://link.springer.com/article/10.1007/s001320050491 (online, letzter Abruf: 15.02.2021)
Deutsche Apotheker Zeitung, Dr. Bettina Jung – Metaanalyse - Schützt Vitamin D doch nicht die Knochen?: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/10/10/schuetzt-vitamin-d-doch-nicht-die-knochen (online, letzter Abruf: 15.02.2021)
aerzteblatt.de – Osteoporose: Auch hoch dosiertes Vitamin D kann Knochendichte nicht erhöhen: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/100495/Osteoporose-Auch-hoch-dosiertes-Vitamin-D-kann-Knochendichte-nicht-erhoehen (online, letzter Abruf: 15.02.2021)
Nature Biotechnology – First drug approved for neurofibromas is a MEK inhibitor: https://www.nature.com/articles/s41587-020-0530-3 (online, letzter Abruf: 15.02.2021)
aktualisiert am 15.02.2021