Dr. Orfanos-Boeckel: Ich bin eine gut ausgebildete Internistin und Nephrologin. Dadurch habe ich viel Erfahrung mit Stoffwechselkrankheiten und Blutwerten und weiß, wie sich Menschen fühlen und was passieren kann, wenn bestimmte Werte aus dem Gleichgewicht geraten. Während meiner Zeit in der Nephrologie habe ich besonders gerne in der Transplantationsambulanz gearbeitet. Dort haben wir die Patienten regelmäßig einbestellt, anstatt wie in einer normalen Hausarztpraxis zu warten, bis sie krank werden und zum Arzt gehen. Die Patienten waren zwar chronisch krank, hatten aber durch die Organtransplantation eine neue Chance auf ein Leben ohne Dialyse.
Wir haben sie sehr gut und vor allem beschützend betreut, mit regelmäßigen Untersuchungen und Blutabnahmen. Die Transplantat-Nierenfunktion wurde engmaschig überwacht. Nach jedem Labor wurde die gesamte medikamentöse Therapie je nach Blutwerten und klinischem Befinden neu optimiert. Neben der Gabe von vielen Medikamenten ist in der Nephrologie auch die kombinierte Gabe von Hormonen und Nährstoffen durchaus üblich, da eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz mit vielen Veränderungen im Stoffwechsel einhergeht. Die Nieren sind beispielsweise für die Produktion von dem Hormon Erythropoetin (EPO) verantwortlich, das bei der renalen Anämie zusammen mit Eisen verabreicht wird, um den Hämoglobinwert (Hb) bei 11 bis 12 zu stabilisieren. Ohne diese Therapie hätte ein Dialysepatient einen sehr niedrigen Hb von 5 - 6 g/dl. Das bedeutet eine enorme Einschränkung der Lebensqualität.
Auch bei der renalen Osteopathie mit Nebenschilddrüsenüberfunktion (Hyperparathyreoidismus) ist die Therapie mit Vitamin D (Hormon) und Kalzium entscheidend, um das Parathormon und damit den Knochenstoffwechsel im Gleichgewicht zu halten. Diese Idee der kombinierten Nährstoff- und Hormontherapie kontrolliert nach Labor, stammt also im weitesten Sinne aus der Nephrologie. Ich habe sie nicht neu erfunden. Sie wurde bisher nur nicht im System bei Menschen angewandt, die sich einfach nur müde oder schlapp fühlen, ohne ernsthaft krank zu sein. Leider wird in der Inneren Medizin oft erst etwas unternommen, wenn die Werte dramatisch schlecht sind oder die Symptome unerträglich und lebensbedrohlich werden.
Ich habe diesen Therapieansatz einfach um 30 Jahre vorgezogen und messe umfassender Blutwerte, um den Stoffwechsel frühzeitig zu optimieren, sodass er gar nicht erst entgleist. Das mache ich nicht nur kurativ, also zur Behandlung von Krankheiten, sondern vor allem auch präventiv, wie man es auch mit Sport- oder Ernährungsmedizin macht. Es geht darum, anhand von Laborwerten gezielt mit dem individuellen Nährstoff- und Hormonbedarf, die Menschen davor zu beschützen, dass sie im Stoffwechsel unbemerkt alters- und stressbedingte Krankheiten entwickeln und dann an deren Folgen schwer erkranken und leiden.
2018 habe ich mich entschlossen, nach 16 Jahren Hausarzt-Kassenpraxis, aus dem Kassensystem auszusteigen. Danach konnte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen, begann eine Website zu gestalten, darin Blogs zu schreiben und mein medizinisches Wissen für Patientinnen und Patienten aufzubereiten. Es war und ist mir wichtig, die Menschen aufzuklären, denn ich kann nicht jeden persönlich behandeln. Mein Ansatz hat andere Ärzte neugierig gemacht. Sie erkennen, dass es nicht um etwas völlig Neues geht, sondern um eine andere Anwendung bekannter Methoden - präventiv und funktionell, um Gesundheit zu gestalten, statt Krankheiten zu behandeln.
Diese Art der Nährstoff- und Hormonmedizin kann sowohl zur Behandlung als auch zur Vorbeugung eingesetzt werden, angepasst an die individuellen Bedürfnisse. Interessanterweise hat sich das Interesse der Menschen daran vor allem in den letzten Jahren verstärkt. Vielleicht hat die Corona Pandemie dazu beigetragen, denn die Menschen interessieren sich nun mehr für ihr Immunsystem und die Labordiagnostik. Begriffe wie Vitamin D und Zink waren in aller Munde. Ich glaube, dass ich mit meinem Ansatz und den Büchern einfach den Nerv der Zeit getroffen habe.
Diese Art der Nährstoff- und Hormonmedizin kann sowohl zur Behandlung als auch zur Vorbeugung eingesetzt werden, angepasst an die individuellen Bedürfnisse.
Dr. Orfanos-Boeckel: Ich würde es etwas anders formulieren. Ich habe festgestellt, dass bei vielen Frauen, die zu mir kamen, die sich sehr bewusst und gesund ernährten - also frische, regionale Lebensmittel aßen, regelmäßig Sport trieben und auch psychisch gut drauf waren - trotzdem ihre Blutwerte durcheinander waren. Es fanden sich trotz gesunder Ernährung für viele essenzielle Nährstoffe sehr niedrige Blutspiegel, hormonelle Dysbalancen, Zeichen von Stress und schon einige erhöhte Werte, die für den Beginn von krankhaften Stoffwechselveränderungen sprachen.
Das heißt nicht, dass ich eine gesunde Ernährung nicht wichtig finde, im Gegenteil, sie ist sehr wichtig und wäre das Wichtigste für uns alle von Anfang an. Aber meine Beobachtungen zeigten, dass sich bestimmte Nährstoff- und Hormonwerte mit zunehmendem Alter doch ungünstig verändern, obwohl die Frauen alles richtig gemacht haben. Hier spielen vor allem auch die hormonellen Veränderungen im Rahmen der Wechseljahre eine Rolle. Mit Hilfe der Labordiagnostik kann man nun vorbeugend erkennen, wo der Körper innere Krankheitspotentiale hat und diese mit Nährstoffen und Hormonen, die funktionell helfen können gesunde Stoffwechselfunktion herzustellen, ausgleichen. So können bestimmte Stoffwechselvorgänge frühzeitig beeinflusst werden, bevor sich größere Probleme entwickeln. Wenn man frühzeitig darauf reagiert, kann man viel Gutes für die Zukunft erreichen.
Manche Dinge, wie zum Beispiel eine familiär bedingte Fettstoffwechselstörung, lassen sich auch durch die beste Ernährung oder Sport nicht beheben. In solchen Fällen ist eine medikamentöse Behandlung notwendig. Die Grundidee ist aber, dass wir durch regelmäßige Messungen und Anpassungen des Stoffwechsels unsere Gesundheit positiv beeinflussen können - ähnlich wie bei der Behandlung von Nierenerkrankungen, wo man zum Beispiel eine renale Anämie oder eine renale Osteopathie früh behandelt. Auch wenn wir nicht an einer Nierenerkrankung leiden, können altersbedingte Stoffwechselprobleme auftreten, die eine ähnliche Behandlung erfordern.
Gerade bei altersbedingten Stoffwechselstörungen ist es also sehr sinnvoll, frühzeitig labordiagnostisch zu überprüfen, wo man steht und was sich im Laufe der Zeit entwickeln könnte.
Durch den gezielten Einsatz von Nährstoffen und Hormonen kann die Gesundheit lange erhalten werden - und das ohne Nebenwirkungen, da es sich im Wesentlichen um körpereigene Substanzen handelt. Es ist letztlich nur eine Frage der Dosis. Ich vermeide bewusst den Begriff "Mangel", weil er in der Ernährungsmedizin und von Institutionen wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung oft anders definiert wird. Ein Nährstoff- oder Hormonwert, der im Referenzbereich liegt, bedeutet nicht automatisch, dass dieser Wert für den Einzelnen optimal ist. Referenzwerte basieren auf altersbedingten Durchschnittswerten, was nicht immer bedeutet, dass der Durchschnitt auch gut ist.
Dr. Orfanos-Boeckel: Ich denke, man kann auf jeden Fall sagen, dass fast alle Menschen, die in Deutschland oder vergleichbaren Ländern wie Österreich oder der Schweiz leben, einen Vitamin-D-Mangel haben. Die Frage ist allerdings, welche Dosis zur Therapie und zur Unterstützung eines gesunden Stoffwechsels notwendig ist. Dies hängt stark von genetischen und epigenetischen Faktoren ab, die individuell unterschiedlich sind. Neben Vitamin D leiden viele Menschen auch an einem Mangel an B-Vitaminen, insbesondere B12, B6 und B9 (Folsäure). Auch hier spielen genetische Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Auch Omega-3-Fettsäuren sind oft nicht ausreichend im Körper vorhanden, vor allem bei Menschen, die keinen Fisch essen oder sich vegetarisch oder vegan ernähren.
Die wichtigsten Aspekte dazu habe ich auch in meinen Büchern zusammengefasst. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Menschen den gleichen Mangel haben, aber viele haben Defizite in einigen Bereichen, oft beeinflusst durch Genetik oder extreme Ernährungsgewohnheiten. Manchmal führen diese Faktoren zu einem erhöhten Bedarf an bestimmten Nährstoffen, wie z.B. Vitamin K2 bei Menschen mit einer genetischen Veranlagung zu Osteoporose oder Eisenmangel bei Frauen mit starken Monatsblutungen. Pauschale Empfehlungen sind schwierig, da jeder Mensch ein Individuum ist. Ob jung oder alt, sportlich oder krank - all diese Faktoren spielen bei der Nährstoffversorgung eine Rolle. Der beste Ansatz ist daher, die Nährstoffwerte individuell zu messen. Es gibt keinen Nährstoff, der bei einer bestimmten Krankheit immer fehlt, sondern jeder Mensch hat seine eigene Versorgungssituation. Auch hormonelle Unterschiede spielen eine Rolle.
Ähnlich wie in der Medizin, wo nicht jeder Patient mit dem gleichen Medikament behandelt wird, muss auch bei der Nährstoff- und Hormontherapie individuell vorgegangen werden. Es ist wichtig, den Menschen und seine Situation zu kennen und die Behandlung darauf abzustimmen. In der ganzheitlichen Medizin spricht man von personalisierter Medizin. Man schaut genau hin, was für den einzelnen Menschen am besten passt und berücksichtigt dabei seine körperliche Verfassung und eventuelle Erkrankungen.
Neben Vitamin D leiden viele Menschen auch an einem Mangel an B-Vitaminen, insbesondere B12, B6 und B9 (Folsäure).
Dr. Orfanos-Boeckel: Ich würde sagen, dass zum einen die Schilddrüse bei jungen Frauen eine sehr große Rolle spielt. Ein wichtiger Faktor ist auch das Thema Verhütung mit Pille & Co., welche den Hormonhaushalt der Frau in vielerlei Hinsicht negativ beeinflusst. Mir war vorher nicht bewusst, wie relevant das ist. Bei Frauen geht es ja ständig auf und ab - Schwangerschaft, Fehlgeburten, Kinderwunsch - wir sind wirklich eingebettet in diesen ganzen hormonellen Kontext. Schon mit Anfang 40 beginnen die hormonellen Veränderungen, die Wechseljahre. Das erste Hormon, das langsam verschwindet, ist das Progesteron. Heute würde ich sagen, dass alles, was eine Frau ab 40 betrifft, unter dem Aspekt der beginnenden Wechseljahre betrachtet, werden sollte. Ich bemühe mich, dieses Thema bekannter zu machen.
Zum Beispiel engagiere ich mich in der Initiative #wirsind9millionen, in der wir - 25 Frauen, alles Influencerinnen auf Instagram – versuchen, gemeinsam die Politik auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Die Initiative wurde von der Autorin und Aktivistin Miriam Stein und der Gynäkologin Sheila de Liz, die beide erfolgreiche Bücher zu dem Thema geschrieben haben, ins Leben gerufen. Mit dabei ist auch die Gynäkologin Dr. med. Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopausengesellschaft.
Doch der Weg ist steiniger als gedacht, dabei gibt so viele Möglichkeiten, Frauen in dieser Lebensphase zu unterstützen. Wenn zum Beispiel die Krankenkassen nur einen Brief schreiben würden, um Frauen darüber zu informieren, wäre das schon ein großer Schritt. Viele Frauen und auch Ärzte wissen oft nicht genug über die Auswirkungen der hormonellen Veränderungen in der Peri- und Postmenopause auf den ganzen Körper. Vieles, was in der Fachmedizin bei Frauen zwischen 40 und 60 passiert, hat mit dieser hormonellen Umstellung zu tun und könnte dementsprechend viel spezifischer mit Hormontherapie behandelt werden.
Ein weiteres wichtiges Thema sind die Nährstoffe. Schon im Mutterleib braucht das Kind Vitamin D, Eisen, Jod und Selen. Nimmt die Mutter diese Stoffe nicht ausreichend auf, kann es später zu Problemen kommen. Frauen, die bis zu ihrem 45. oder 50. Lebensjahr gesund gelebt haben, stellen oft fest, dass ihre gesunden Gewohnheiten nicht mehr reichen, um sich stabil gut zu fühlen. Der normale Nährstoffbedarf trifft dann auf hormonelle Veränderungen, die es dem Körper erschweren, zum Beispiel gut zu schlafen, sich von Infektionen zu erholen oder Schmerzen loszuwerden.
Auch nach der Schwangerschaft haben viele Frauen Probleme. Wir geben unseren Kindern während der Schwangerschaft alles - Kalzium, Magnesium, Vitamin D, etc. - und danach geht es vielen Frauen nicht mehr so gut. Manche entwickeln zum Beispiel eine Hashimoto-Thyreoiditis, weil das Immunsystem von der Toleranz während der Schwangerschaft wieder auf mehr Abwehr umschaltet. Ich bin überzeugt, dass man fast jeder Frau, auch jungen Frauen, mit Nährstoffen helfen kann.
Männer übrigens auch, obwohl sie oft weniger empfindlich sind und deshalb länger kompensieren können. Natürlich gibt es Menschen, die sich über die Einnahme von Kapseln beschweren. Aber die Alternative ist nicht immer weniger anstrengend. Mehr Pausen, weniger arbeiten, länger Urlaub machen, mehr Sport treiben, gesünder kochen, Psychotherapie oder Meditation - all das braucht Zeit. Nicht alles, was als gesunder Lebensstil gilt, lässt sich im Alltag umsetzen. Deshalb finde ich es praktisch, den Körper biochemisch zu unterstützen, ohne dass es ein Entweder-Oder sein muss. Es kann einfach eine Ergänzung sein, wenn man nicht weiterkommt.
Dr. Orfanos-Boeckel: Ein schwaches Immunsystem, das häufig zu Infektionen führt, kann in den meisten Fällen schnell gestärkt werden, es sei denn, es liegen tiefergehende Probleme vor. In der Regel kann man mit Zink, Selen, Vitamin C und D sowie einer Unterstützung des Darms viel erreichen. Wichtig ist aber, dass man zuerst misst, um herauszufinden, welche Nährstoffe fehlen und welche Dosis es braucht, um Wirkung zu erzeugen. Sobald die Lücken geschlossen sind, kann das Immunsystem wieder viel besser arbeiten.
Ein weiteres Thema, das ich für sehr wichtig halte, und was man viel präventiver gut beeinflussen kann, ist die Osteoporose. Wenn jede Frau ab Ende 40 eine Knochendichtemessung machen lassen würde, könnte man, wenn da schon der Knochen osteopenisch ist, viel für die Knochengesundheit tun, sei es durch eine Hormonersatztherapie und/oder durch die Einnahme von Vitamin D und den dazugehörigen Cofaktoren wie Kalzium, Magnesium, K2 und Bor. Ich habe viele Frauen betreut, die durch Krafttraining und diese Maßnahmen ihre Knochendichte stabilisieren oder sogar verbessern konnten.
Genauso wichtig und präventiv möglich ist es, Gefäßverkalkungen vorzubeugen. Meine Beobachtungen zeigen, dass je mehr die Knochen entkalkt sind, desto mehr verkalken die Gefäße, vor allem bei Frauen. Wenn dann noch vaskuläre Gefäßrisikofaktoren wie hohe LDL-Werte, Bluthochdruck, erhöhter Blutzucker und eine chronische Entzündung hinzukommen, entsteht eine ungünstige Kombination. Diese Faktoren lassen sich berechnen und man kann mit Nährstoff- und Hormontherapie auch hier frühzeitig entgegenwirken. Erst sehr viel später, wenn schon Organfunktion verloren gegangen ist, wird in der Kardiologie oder Nephrologie darauf aufbauend eine pharmakologische Therapie eingeleitet, zum Beispiel u.a. mit Statinen, Sartanen, Harnsäuresenkern und SGLT2-Hemmern. Egal, wann, man kann zu jedem Zeitpunkt viel für den Gefäß- und Knochenschutz tun, um Frakturen und Infarkte zu vermeiden. Je früher man weiß, dass man persönlich was tun muss, um gesünder alt zu werden, desto mehr Krankheitsfolgen lassen sich sanft mit Änderungen im Lifestyle, ergänzt durch individuelle Nährstoff- und Hormontherapie, kontrolliert nach Labor vermeiden.
Schwieriger ist es bei Krebserkrankungen. Hier spielen Genetik, Umweltfaktoren und die eigene Entgiftungskapazität, insbesondere der Leber, eine große Rolle, die man aber auch therapeutisch unterstützen kann. Sehr gut behandelbar sind dagegen die Schilddrüsenhormonstörungen. Leider wird in der Endokrinologie häufig T3 (Thybon®) nicht verwendet und Selen (als Natriumselenit) nicht verabreicht, obwohl Selen in den Empfänger-Zellen für die Umwandlung von T4 in das aktive T3 notwendig ist. Viele Frauen fühlen sich daher unter ihrer derzeitigen Mono-T4-Therapie (L-Thyroxin) nicht wohl. Auch funktionelle Störungen wie Schlafprobleme können gut behandelt werden, vor allem bei Frauen in den Wechseljahren. Hier sind die HRT mit Östradiol (E2) transdermal und Progesteron oral zur Nacht, sowie Melatonin, B-Vitamine oder Magnesium sehr hilfreich. Letztlich kommt es darauf an, dass wir früh diese Störungen behandeln, dass ist die Chance groß, dass diese sich wieder beruhigen.
Viele Stoffwechselerkrankungen wie zum Beispiel der Diabetes mellitus Typ 2 lassen sich bereits Jahrzehnte im Voraus erkennen, wenn man die Insulinresistenz und steigende HbA1c-Werte beobachtet. Auch Zink- oder Chrommangel, wie auch die Gelbkörperinsuffizienz in der Perimenopause können hier beim Zuckerstoffwechsel eine ungünstige Rolle spielen. Viele Stoffwechselvorgänge laufen unausweichlich ab, ähnlich wie beim genetisch bedingten Haarausfall bei Männern. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie zu einer sichtbaren oder spürbaren Diagnose führen.
In anderen Bereichen der Medizin, wie der Zahnmedizin oder der Dermatologie, wird präventiv gearbeitet. Kinder lernen von klein auf, ihre Zähne zu pflegen. Auch Hautveränderungen sind sichtbar, sodass frühzeitig gehandelt werden kann. In der Inneren Medizin dagegen wird oft erst eingegriffen, wenn es zu spät ist, weil wir von außen die krankhaften Veränderungen im Frühstadium nicht sehen und nicht spüren können. Durch Blutuntersuchungen können viele Prozesse frühzeitig erkannt werden, noch bevor die ersten Symptome auftreten.
Ich plädiere für eine präventive Medizin, die frühzeitig Labordiagnostik einsetzt, um individuelle internistischen Risiken besser einschätzen zu können.
Wenn Patienten wissen, dass sie bestimmte genetische Veranlagungen haben, sind sie oft viel motivierter, Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder ggf. auch Medikamente einzunehmen. Nährstoffe und Hormone können hier wichtige Hilfsmittel sein.
Dr. Orfanos-Boeckel: Ich möchte an dieser Stelle vorerst noch einmal betonen, wir nehmen wirklich keine Patienten mehr bei uns in der Praxis an. Es ist eine riesige Aufgabe, all die zahlreichen E-Mails von Anfragen neuer Patienten zu beantworten, und ehrlich gesagt, wir schaffen das auch nicht mehr. Mein Ziel ist es, durch meine öffentliche Präsenz Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, sich auch mit dem Thema zu beschäftigen und dazu beizutragen, dass mehr Menschen die Möglichkeit haben, sich präventiv, mehr funktionell über ihren Stoffwechsel zu informieren und aktiv zu werden.
Der Ablauf einer Nährstofftherapie ist folgender: Wenn jemand zu mir kommt, kann er bereits wichtige vorhandene Befunde vorab schicken. Das hilft mir bei der Vorbereitung. Wenn schon eine medikamentöse oder auch eine Nährstoff- und Hormontherapie Behandlung läuft, ist es gut, das vorher zu wissen, damit ich einen Überblick über den aktuellen Stand der Therapie habe. Ich höre mir dann genau an, worum es der Person geht. Ich bin sehr lösungsorientiert. Die Vergangenheit des Patienten ist für mich weniger wichtig, weil ich sie ohnehin in den Befunden sehe. Ich konzentriere mich darauf, was die Person erreichen will, welche Symptome sie loswerden möchte und wo sie sich unwohl fühlt.
Die Therapie muss spürbare Verbesserungen bringen, damit der Betroffene das Gefühl hat, dass sich etwas zum Guten verändert. Dabei ist es wichtig, die Symptome herauszuarbeiten, die am meisten stören. Es gibt kaum jemanden, der keine Beschwerden hat. Die meisten haben irgendein gesundheitliches Problem, auch wenn sie glauben, dass alles in Ordnung ist. Wenn es gelingt, eine Besserung zu erreichen, wächst das Vertrauen in die eigenen Vorsorgemaßnahmen und es wird deutlich, dass sich der Aufwand lohnt.
Ich messe alle relevanten Werte im Blut, und das kann durchaus Laborkosten von bis zu 3000 Euro verursachen. Manchmal reicht auch das nicht aus, je nachdem, wie neugierig jemand ist. Aber ich will genau arbeiten und messe deshalb lieber zu viel als zu wenig. Das Thema Geld ärgert mich in diesem Zusammenhang und deshalb setze ich mich dafür ein, dass mehr präventive Maßnahmen in die Kassenmedizin übernommen werden. Ich bin überzeugt, dass man mit früheren Messungen über den inneren Zustand und dann präventiven Maßnahmen (Ernährung, Sport, Entspannung und Nährstoff- und Hormontherapie), ergänzt durch die klassische Innere Medizin, viel für die eigene Gesundheit tun kann.
Nach der Erstuntersuchung erstelle ich einen umfassenden Therapieplan, der sowohl die klassischen als auch die funktionellen medizinischen Aspekte berücksichtigt. Das große Bild der Labordiagnostik bringt selten riesengroße Überraschungen, weil ich aufgrund der Symptome, Alter, Aussehen, bekannte Diagnosen schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon habe, was ich suche und finde. Für eine wirksame und sichere Therapie muss man aber wissen, wie weit jemand von der Gesundheit entfernt ist und mit welcher Dosis in welcher Reihenfolge ich loslegen muss. Mit den Laborwerten bin ich sicherer und mutiger, einen Therapieplan zu entwerfen, der wirklich hilft.
Der Prozess ähnelt dem eines Unternehmensberaters, der Strategien entwickelt, um ein Unternehmen auf Erfolgskurs zu bringen. Auch ich überlege mir, wie ich die Gesundheit eines Menschen langfristig verbessern kann. Dabei weiß ich, was ich bei der Behandlung vermeiden und worauf ich achten muss. Oft ist es so, dass viele Befürchtungen, die auch ich früher einer Nährstoff- und Hormontherapie gegenüber hatte, gar nicht zutreffen. Man muss nur die Werte messen, die Daten in den richtigen Kontext setzen und dann mit einem mehr präventiven Ansatz handeln. Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch in der Umsetzung der therapeutischen Maßnahmen.
Viele Menschen werden oft nach einer umfassenden Diagnose allein gelassen. Es ist dann aber wichtig, sie zu begleiten und genau hier setze ich an. Nachdem die Patienten den Therapieplan bekommen haben, treffe ich mich regelmäßig mit den Patienten, um zu besprechen, wo es im Alltag bei der Umsetzung Schwierigkeiten gibt. Es läuft nicht immer alles glatt. Es kann sein, dass bestimmte Stoffe nicht gut vertragen werden. Es geht darum, die Therapie so zu gestalten, dass sie den Alltag nicht unnötig belastet. Je nach Befund sehe ich die Patienten in regelmäßigen Abständen wieder. Am Anfang kann es sein, dass man bei unklaren Initialbefunden nach zwei bis drei Monaten nochmal Laborwerte abnimmt, aber grundsätzlich sollte man immer mindestens drei bis vier oder auch sechs Monate warten, bis sich unter Therapie die Blutwerte deutlich verändert haben. Dann messe ich wieder und passe den Plan an, so wie ein Trainer das Trainingsprogramm seines Athleten im Verlauf des Trainings immer wieder anpasst.
Die Zukunft wird sicher viele dieser Prozesse durch Digitalisierung und KI vereinfachen. Im Moment ist alles noch sehr analog, aber ich bin zuversichtlich, dass es eines Tages einfacher sein wird, individuelle Diagnostiken und Therapien zu entwickeln - vielleicht mit einem Tropfen Blut, aus dem der 3D-Drucker eine maßgeschneiderte Mischung herstellt. Bis dahin leisten wir analoge Vorarbeit für diese Zukunft.
Dr. Orfanos-Boeckel: Das Thema ist sehr umfassend und ich habe mich entschlossen, mein Wissen weiterzugeben, damit sich die Menschen auch ohne ärztliche Hilfe informieren können, auch wenn es dann Einzelfälle gibt, wo etwas schief geht, kann das kein Argument sein, dass alle anderen von dieser Möglichkeit zur Gestaltung von Gesundheit ferngehalten werden müssen. In der Kassenmedizin lernen wir diese Ansätze nicht, und sie werden auch nicht bezahlt. Das System bietet diese Möglichkeiten also nicht an - nicht, weil die Ärzte unwissend wären, sondern weil diese Art der Herangehensweise nicht vorgesehen ist, weder in den Leitlinien noch finanziell. Deshalb bin ich froh über dieses Interview, denn wir können das System allein jetzt nicht sofort ändern, aber wir können die Menschen informieren und über ihre Möglichkeiten aufklären. Es ist wichtig, dass sie selbst Verantwortung übernehmen. Sie sollen sich um ihre Nährstoffe kümmern und diese allein kaufen, nur sie müssen sich belesen und sich aktiv mit diesen Themen auseinandersetzen.
In dem zweiten (blauen) Buch, was ich geschrieben habe zur Nährstofftherapie, helfe ich, dass die Menschen sich ohne Ärzte kümmern können. Ich habe für jeden Stoff beschrieben, wo man Fehler machen kann, zum Beispiel durch Überdosierung und wie man die Labordiagnostik gestalten kann. Es ist schwierig, mit einer Nährstofftherapie ohne Arztbegleitung sofort als allererstes Schaden anzurichten, da der Mangel an vielen Nährstoffen einfach sehr weit verbreitet ist. Solange man seinen gesunden Menschenverstand nicht abgibt und nicht sehr viele verschiedene Produkte wahllos, ohne Plan in extrem hohen Dosierungen sehr lange, ohne Laborkontrolle, einnimmt, kann nur wenig schief gehen.
Das Problem ist eher, dass man nichts merkt, denn die Frage ist nicht, wie man sich schnell schadet, sondern, wie man mit der Einnahme gezielt Gesundheit im Stoffwechsel gestaltet. Dafür braucht es eine Labordiagnostik, Punkt. Das ist ähnlich wie beim Fahrradfahren – natürlich kann man stürzen, es ist aber eine gesunde und schöne sportliche Art sich zu bewegen. Man lernt es durch Übung und passt sich entsprechend an und wenn man vorsichtig ist und sich gut vorbereitet, wird man besser. Auch bei der Nährstofftherapie spürt man, wenn etwas nicht stimmt, zum Beispiel durch Übelkeit oder andere Beschwerden. So wie man merkt, wenn man mit 10 Liter am Tag zu viel Wasser trinkt, merkt man auch, wenn etwas bei einer intensiveren Nährstofftherapie nicht stimmig ist.
Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse und die Dosierung muss entsprechend angepasst werden. Ich rate also nicht davon ab, sondern umgekehrt: ich ermutige die Menschen aktiv zu werden! Aber sie sollen sich gut informieren, bevor sie mehrere Substanzen hoch dosieren. Es ist wichtig, nicht nur Geld auszugeben, ohne zu wissen, ob das, was man nimmt, auch wirkt. Ich denke aber, dass jeder etwas Vitamin D, Selen als Natriumselenit, einen B-Komplex oder Magnesium einnehmen kann und auch sollte. Nährstoffe sind essenziell und nicht in erster Linie gefährlich. Man muss nur wissen, wie man sie geschickt medizinisch nutzt. Dazu muss man sich mit dem eigenen Körper und den verfügbaren Nährstoffen auseinandersetzen. In meinen Büchern habe ich versucht, gezielte Anleitungen zu geben, zum Beispiel für Frauen in den Wechseljahren, Männer mit Kinderwunsch, Sportler oder Menschen mit Hashimoto.
Dieses Wissen ist komplex und für viele ungewohnt, weil wir es nicht gewohnt sind, uns auf diese Weise um unsere Gesundheit zu kümmern. Früher haben sich die Ärzte darum gekümmert, heute haben sie oft keine Kapazitäten mehr dafür, weder in den Kliniken noch in der ambulanten Versorgung. Die Probleme sind zu groß. Die Ärzte würden gerne mehr tun, wenn sie dafür bezahlt würden und nicht so unterbesetzt wären, aber das ist nicht der Fall. Gleichzeitig können wir uns selbst um unsere Gesundheit kümmern und die Präventivmedizin vorantreiben. Es wäre so einfach, beim Check-up mit 35 Jahren mehr Werte wie Kreatinin, HbA1c, Ferritin oder Vitamin D zu messen, die dann natürlich auch eine therapeutische Konsequenz haben müssten und sei es nur eine Beratung. Das wäre ein kleiner Aufwand, der viel bewirken könnte und viele Kosten in der Zukunft durch chronisches Leid vermeiden könnte, aber leider scheint es schwierig zu sein zu beweisen, dass sich Prävention ökonomisch für unsere Gesellschaft lohnt.
Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse und die Dosierung muss entsprechend angepasst werden.
Dr. Orfanos-Boeckel: In der Regel schadet es nicht, wenn wir von bestimmten Nährstoffen mehr bekommen. Eigentlich könnte ich das jetzt so stehen lassen, aber mein Rat ist, dass jeder für sich ein Problem identifizieren sollte, für das er eine Lösung sucht. Denn nur so kann man selbst spüren, ob das, was man tut, wirklich hilft. Wenn es zum Beispiel eine erhöhte Infektanfälligkeit ist, dann würde ich da ansetzen. Wenn es Bluthochdruck ist, würde ich da ansetzen. Wenn es Schmerzen sind, würde ich da schauen, wie man die nach Labor mit Nährstoffen und Hormonen behandeln und unterstützen kann. Es ist wichtig, ein spezifisches Problem zu finden und darauf fokussiert an einer Lösung zu arbeiten. So macht es mehr Sinn und auch mehr Spaß. Pauschal kann ich natürlich Vorschläge machen, ob für Männer oder Frauen, aber hier spielen auch andere Faktoren wie das Alter und die Vergangenheit eine Rolle.
Generell sind Zink, Selen, B-Vitamine, Omega-3, Kalzium und Magnesium sehr wichtig. Diese Nährstoffe werden in vielen Büchern hervorgehoben, und der Ansatz, mit Vitaminen und Nährstoffen zu arbeiten, hat auch nichts damit zu tun, dass man sich "einfach" gesund ernährt. Denn auch wenn wir Vitamine und Nährstoffe über die Nahrung aufnehmen, reicht das oft nicht aus. Es reicht nicht aus, um im Alter, zum Beispiel mit 80 Jahren, wirklich sicher gesund zu sein. Das kann man auch nicht pauschal sagen, das ist einfach ein großes Ziel. Man sollte immer wieder überprüfen, ob man wirklich alles richtig macht oder ob man vielleicht doch ärztliche Hilfe oder pharmazeutische Unterstützung braucht. Sei es wegen Problemen mit den Knochen, den Gefäßen, dem Immunsystem oder dem Fettstoffwechsel. Es geht darum, sich für seine 60er, 70er und 80er Jahre abzusichern.
Es ist kein Entweder-Oder, sondern eine Ergänzung. Und es ist nicht einfach, sich perfekt gesund zu ernähren. Wer das ernsthaft betreibt, merkt, dass es fast ein Vollzeitjob ist. Vor allem, wenn man eine Familie hat und die Kinder vielleicht Unverträglichkeiten wie eine Laktose- oder Glutenintoleranz haben - das macht es noch schwieriger. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die Familie gut und gesund zu ernähren. Gleichzeitig gibt es finanzielle, zeitliche oder alltägliche Einschränkungen, die es noch schwieriger machen, genügend Nährstoffe zu sich zu nehmen, um stark und widerstandsfähig zu sein.
Ein weiterer Aspekt ist die Umweltbelastung, die meiner Meinung nach einen großen Einfluss auf unsere Nährstoffversorgung und auch auf unsere Drüsen haben kann. Schwermetalle, Plastik, Pestizide und Feinstaub können sich in unserem Gewebe ablagern und unsere Gesundheit beeinträchtigen. Selbst gesunde Lebensmittel sind nicht mehr frei von Schadstoffen. Unser Wasser, der Fisch, der Kakao, der Reis - alles ist belastet. Das macht es schwierig, sich gesund zu ernähren. Hinzu kommt die Informationsflut, die unser Gehirn belastet. Das Gehirn ist das Organ mit dem höchsten Nährstoff- und Energiebedarf. Wenn es ständig mit neuen Informationen gefüttert wird, zehrt das an seinen Reserven. Früher, in meiner Kindheit, gab es viel weniger Informationen - ein paar Fernsehkanäle und viel Langeweile, was ich heute zu schätzen weiß. Aber heute gibt es so viele Informationen, dass man sie kaum verarbeiten kann. Das belastet uns, und diese Belastung sehe ich auch bei den Nährstoffen.
Auf meiner Website habe ich zwei Blogs dazu geschrieben, in denen ich das als "Gehirninsuffizienz" bezeichne. Genauso wie es eine Herz- oder Niereninsuffizienz gibt, gibt es meiner Meinung nach auch eine Gehirninsuffizienz. Wenn jemand psychische Probleme oder Schwierigkeiten mit dem Denken hat, wird oft nur das Gehirn als solches betrachtet und mit Medikamenten behandelt. Aber niemand kümmert sich darum, was das Gehirn eigentlich an Nährstoffen und Hormonen braucht. Ich bin überzeugt, dass man auch psychische Probleme gut mit einer Hormontherapie behandeln kann. Schilddrüsenhormone, vor allem T3, spielen eine große Rolle für die Psyche. Hormone wie Progesteron und Östradiol sind auch in den Wechseljahren bei Frauen wichtig, ebenso wie DHEA und Testosteron. Auch Männer verlieren im Alter mehr und mehr ihr Testosteron, was sich natürlich auch bei denen psychisch auswirken kann. B-Vitamine sind für die Nerven sehr wichtig, insbesondere B12, welches die Myelinschicht schützt.
Wir sollten nicht unterschätzen, wie sehr Nährstoffe und Hormone unser Gehirn und unseren Körper unterstützen können, besonders in Zeiten von Stress.
Dr. Orfanos-Boeckel: Wenn jemand bei mir in Behandlung ist und beispielsweise fastet, sollte sich der Fokus ändern - hin zum Loslassen. Es gibt aber Dinge, die ich nicht weglassen würde, zum Beispiel die Hormone. Bestimmte Stoffe, die für die Entgiftung wichtig sind, sollte man auch beibehalten. Mineralstoffe binden Giftstoffe und scheiden sie über Leber und Nieren aus. Wer jahrelang wenig isst oder seine Ernährung umstellt, braucht möglicherweise Nahrungsergänzungsmittel. Wer sich vegan oder vegetarisch ernährt, verzichtet oft auf Nährstoffe, die der Körper aus tierischen Lebensmitteln gewinnt, wie Vitamin B12 und Omega-3-Fettsäuren. Vor allem bei veganer Ernährung fehlen diese Nährstoffe oft. Ich habe die niedrigsten Omega-3-Index-Werte bei Menschen gesehen, die keinen Fisch essen. Das muss man ergänzen.
Diäten und Fasten ist gut, aber auch Pausen sind wichtig, wie beim Sport. Hat man einmal eine gute Nährstoffversorgung aufgebaut, bleibt sie stabil. Auch wenn man einige Nährstoffe für kurze Zeit nicht zu sich nimmt, bricht der Körper nicht gleich zusammen. Das Gleiche gilt beim Sport: Man kann auch mal eine Pause machen, ohne gleich Muskelmasse zu verlieren. Viele meiner Patienten nehmen bestimmte Dinge wie Magnesium mit in den Urlaub, weil sie merken, dass es ihnen ohne nicht gut geht. Auch Hormone wie Melatonin sind beliebt, weil sie den Schlaf verbessern. Das ist keine Abhängigkeit, sondern eher wie ein Kaschmirpullover - man fühlt sich einfach besser damit. Viele Frauen denken, dass sie von Hormonen abhängig werden, aber das ist nicht der Fall. Es macht das Leben einfach leichter. Wir Menschen sind sensible Wesen und müssen viel tun, um uns wohlzufühlen.
Hat man einmal eine gute Nährstoffversorgung aufgebaut, bleibt sie stabil.
Dr. Orfanos-Boeckel: Diese Nährstoffe-Tests für zu Hause sind meist nicht mit den Werten vergleichbar, die man beim Hausarzt, Facharzt und in den Kliniken erhält. Kapillarblut aus dem Finger unterscheidet sich von Venenblut. Die Ergebnisse, Zahlen und Verhältnisse sind anders und die Ärzte können die Ergebnisse dieser Tests nicht einbetten in ihr medizinisches Wissen. Diese Tests können interessierten Laien zu Hause eine gute Orientierung geben in welche Richtig es geht, aber man kann mit denen sonst nichts anfangen. Auch kann man sie nicht vergleichen mit den Werten, die ich in meinen Büchern angegeben habe. Ich finde es ist besser, sich vom Arzt oder in einem richtigen Labor Blutwerte bestimmen zu lassen, die dann im System auch eine Bedeutung und Aussagekraft haben. So kann dann auch der behandelnde Arzt damit was anfangen und ggf. eine weitere Diagnostik einleiten.
Dr. Orfanos-Boeckel: Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir alle gesund bleiben und, dass wir im Alter nicht mehr so schlimm oder am besten gar nicht an den Folgen von altersbedingten Stoffwechselerkrankungen leiden. Wir müssen lange gesund und selbstständig bleiben können. Dafür wünsche ich mir mehr Wissen und Gesundheitsbildung bei den Menschen. Wir müssen uns als Gesellschaft darum kümmern, dass wir gesund bleiben. Dafür braucht es eine präventive Medizin, die uns beschützt.
Mehr Labordiagnostik zu einem Zeitpunkt, wo die Menschen noch gesund sind, kann den Menschen helfen, frühzeitig zu erkennen, was ihnen fehlt und was sie für ein Krankheitspotential in der Zukunft haben. Vor allem Frauen sollten keine Angst mehr vor Hormonen haben. Körperfremde Substanzen, die früher eingesetzt wurden, hatten Nebenwirkungen, aber moderne Hormone wie Östradiol und Progesteron sind sicher. Diese Hormone sind wichtig, um die Knochen zu schützen und den Alterungsprozess vor allem an den Gefäßen zu verlangsamen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 17.10.2024.