Bei Schmerzen wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden. Häufig betroffen ist die Wirbelsäule und der untere Rücken, was auf Bewegungsmangel und alltägliche Belastungen zurückzuführen ist. Auch Nackenschmerzen treten häufig auf und wirken sich oft negativ auf das psychische Wohlbefinden aus, da sie die Beweglichkeit einschränken und zu Begleitsymptomen wie Kopfschmerzen und Verspannungen führen. Wichtig ist die Förderung der Körper- und Selbstwahrnehmung des Patienten, um eine nachhaltige Schmerzlinderung und Selbstheilung zu unterstützen.
Dr. Michael: In meine Praxis kommen vor allem Menschen mit chronischen Schmerzen. Akute Schmerzen können oft an anderen Stellen gut behandelt werden, aber Menschen, die schon lange Probleme haben und alleine nicht weiterkommen, suchen gezielt meine Hilfe. Das liegt daran, dass ich einen anderen Blick auf die Schmerzproblematik habe. Die häufigsten Schmerzen treten tatsächlich im Bereich der Wirbelsäule auf. Dabei gibt es verschiedene Abschnitte, die besonders betroffen sind. Die Halswirbelsäule ist ein Schwerpunkt, aber auch die Brustwirbelsäule zeigt häufig Probleme wie z.B. wiederkehrende Blockierungen. Das hängt natürlich mit unserer täglichen Arbeit, dem vielen Sitzen und dem Bewegungsmangel zusammen.
Sehr häufig sind auch Schmerzen im unteren Rücken - mal in der Mitte, mal auf der einen oder anderen Seite, manchmal auch im Gesäß oder in den Flanken. Außerdem kommen Patienten mit Gelenkproblemen zu mir. Hier kann ich bis zu einem gewissen Grad helfen, wobei realistische Erwartungen wichtig sind. Die am häufigsten betroffenen Gelenke sind Knie, Hüfte, Schulter, Sprunggelenk sowie Zehen- und Fingergelenke.
Dr. Michael: In den leichteren Fällen ist der Schmerz ein Ziehen und wiederkehrendes Unwohlsein. Bei stärkerer Ausprägung kann es zu Kopfschmerzen kommen, da die Durchblutung im Kopf beeinträchtigt ist. Dies kann wiederum zu Seh- und Hörstörungen führen. Oft ist dies auch mit einer starken Verspannung der Kaumuskulatur verbunden, da die Menschen ohnehin unter starker Anspannung stehen - das geht oft Hand in Hand. Zusätzlich können Schwindel und Bewegungseinschränkungen auftreten. Oft ist das erste Symptom, weswegen die Leute zu mir kommen, dass sie den Kopf nicht mehr frei bewegen können. Das ist dann der Punkt, an dem sie rechtzeitig Hilfe suchen, bevor die anderen Symptome auftreten, die ich gerade beschrieben habe.
Natürlich sind die Betroffenen in ihrer Stimmung beeinträchtigt. Wenn man den ganzen Tag in einer Schonhaltung verbringt und sich nicht mehr frei ausdrücken oder kommunizieren kann, wenn man immer wieder Schmerzen ertragen muss, dann ist das kein freies, selbstbestimmtes Leben. Man fühlt sich gefangen. Das belastet die Betroffenen emotional sehr.
Oft ist das erste Symptom, weswegen die Leute zu mir kommen, dass sie den Kopf nicht mehr frei bewegen können.
Dr. Michael: Ein zentraler Punkt ist die Bedeutung der Körperhaltung. Wenn ein Patient zu mir kommt, beobachte ich ihn genau, schon auf dem Weg vom Wartezimmer zu mir. Ich nehme ihn dort in Empfang und begleite ihn in mein Behandlungszimmer. Dabei schaue ich mir an, wie er geht, und allein daran kann ich schon viel erkennen. Ich beobachte auch, wie er sich hinsetzt und wie er mit mir spricht.
Ein Beispiel aus der Praxis: Neulich war eine junge Frau bei mir. Sie saß vor mir und sprach mit mir in einer bestimmten Körperhaltung (zur Seite geneigter Kopf), die für sie ganz normal zu sein schien. Während der Untersuchung habe ich dann ihren Kopf optisch aufgerichtet und sie gefragt: "Wie fühlt sich das jetzt an? Ist der Kopf gerade?" Ihre Antwort: "Nein, er ist schief." Ich habe dann gesagt: "Okay, dann bringen Sie ihn wieder in die ursprüngliche Position, so wie Sie es für Sie richtig ist" (dann war der Kopf wie zuvor zur Seite geneigt). Das zeigt, wie viele Menschen diese Haltungsänderungen gar nicht mehr wahrnehmen. Über die Jahre schleichen sich diese Muster ein, und irgendwann sind sie so ausgeprägt, dass Symptome auftreten. Eine Zeit lang kann der Körper ausgleichen und kompensieren, aber irgendwann führt diese Haltung zu Einschränkungen und größeren Problemen.
Dr. Michael: Die größte Herausforderung ist oft, die Patienten auf das Problem aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Viele merken zum Beispiel gar nicht, dass sie ständig die Schulter hochziehen - bis ich frage: "Warum ist die Schulter so nah am Ohr?" Dann kommt oft die Antwort: "Mit der Hand auf dieser Seite bediene ich die Maus während der Arbeit." oder "Auf der Schulter trage ich immer meine schwere Aktentasche." Wenn ich dann weiter frage, kommen oft Beschwerden wie Nacken- oder Schulterschmerzen zur Sprache, meist auf der beschriebenen Seite.
Gemeinsam arbeiten wir Schritt für Schritt daran, ein Bewusstsein für diese Bereiche zu entwickeln. Dabei hilft es, die Wahrnehmung gezielt auf die Körperhaltung zu lenken. Ein wirksames Mittel ist die Fremdbeobachtung. Ich empfehle den Patienten, immer wieder - zum Beispiel im Bad oder beim Vorbeigehen - in den Spiegel zu schauen und zu prüfen: Wie steht meine Schulter jetzt? Wo ist mein Kopf?
Zusätzlich kann das Umfeld mit einbezogen werden - Familie, Freunde oder Kollegen. Ein Foto nach einigen Stunden konzentrierter Arbeit kann oft sehr aufschlussreich sein. Diese Spiegelung von außen hilft, das Thema bewusst zu machen. Erst durch dieses Bewusstsein wird eine nachhaltige Veränderung möglich. Ohne diese Einsicht bleibt jede Maßnahme nur kurzfristig wirksam und letztlich unbefriedigend - für den Patienten und für mich.
Dabei hilft es, die Wahrnehmung gezielt auf die Körperhaltung zu lenken.
Dr. Michael: Ist das Bewusstsein für den eigenen Körper erst einmal da, zum Beispiel durch einfache Gymnastikübungen und gezielte Körperwahrnehmung, kann man beginnen, tiefer liegende emotionale Spannungen anzusprechen. Ich gehe dabei gerne über die Körperwahrnehmung: Oft beginne ich mit dem Herzzentrum und lade die Menschen ein, den Raum hinter dem Brustbein wahrzunehmen. Sie fühlen hinein und spüren oft direkt, wie es sich dort anfühlt - meist angenehm, frei, friedlich und manchmal sogar glücklich. Dann bitte ich sie, dieses freie, friedliche Gefühl in sich auszubreiten zu lassen. Das ist schon ein Teil der Therapie. So stelle ich gemeinsam mit den Patienten den Kontakt zu ihren Selbstheilungskräften her. Es geht darum, diese inneren Ressourcen zu wecken.
Das heißt, ich arbeite nicht nur körperlich, sondern helfe den Menschen auch, über ihre Emotionen den Weg zur Selbstheilung zu finden. Oft geht es darum, dass die Menschen sich selbst wieder wahrnehmen. Viele brauchen mehrere Sitzungen, um auch nur einen kleinen Funken von sich selbst zu spüren - sie sind oft so sehr von ihrem Körper getrennt. Manchmal sind sie entmutigt und sagen, dass sich nichts ändert. Ich bitte sie dann, geduldig zu sein. Irgendwann merken sie den Unterschied, vielleicht ein kleines Kribbeln im Körper. Dann ist der Anfang gemacht und wir können weitermachen. Über die Körperwahrnehmung haben wir auch Zugang zu verdrängten Gefühlen, die im Körper gespeichert sind. Manchmal fließen dabei Tränen - was oft Teil des Heilungsprozesses ist. Es ist eine Freude, Menschen auf diesem Weg zu begleiten.
Dr. Michael: Ja, das gibt es tatsächlich. Es gibt zum Beispiel den ängstlichen Typ, der sich immer in Sicherheit bewegen will und dabei eine bestimmte Körperhaltung einnimmt. Oder den Menschen, der ständig eine innere Spannung im Zwerchfell hat und deshalb vielleicht mit Schmerzen im Brust- oder Rückenbereich zu mir kommt. Dann gibt es den "Kämpfer", der im Schulterbereich alles anspannt und verkrampft. Auch Traurigkeit zeigt sich im Körper. Oft sehe ich an der Körperhaltung und Mimik, wo die Verspannungen liegen und kann dort ansetzen. Mit Atemübungen, die nur wenige Minuten dauern, können wir schon viel erreichen. Die Menschen sind sehr dankbar dafür.
Oft sehe ich an der Körperhaltung und Mimik, wo die Verspannungen liegen und kann dort ansetzen.
Dr. Michael: Ja, genau - da kommt mir die Osteopathie zugute. Ich habe meine Wahrnehmung sehr fein geschult und spüre oft durch Berührung, zum Beispiel an der Schulter oder am Kopf, wo die größte Spannung im Körper ist. Manchmal zeigt sich auch ein Bezug zu einem bestimmten Organ, sagen wir z.B. zur Leber. Dann frage ich vielleicht: "Nun, es sieht nicht so aus, als ob Sie jeden Abend eine Flasche Wein trinken- was belastet Ihre Leber? Welche Art von Ärger, Groll oder Wut verbirgt sich da vielleicht?"
Diese Zusammenhänge sind auch aus der Traditionellen Chinesischen Medizin bekannt. Auch im Volksmund haben die organischen Bezüge oft ihren Platz: "Da ist jemandem eine Laus über die Leber gelaufen" oder "Mir ist, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen." Diese Redewendung beschreibt oft einen seelischen Schock mit einer inneren Anspannung. Das Zwerchfell zieht sich zusammen, die Atmung wird flach und schnell. Oder die Angst, die sich in "kalten Füßen" ausdrückt - ein Symbol für fehlende Lebenskraft. Diese Bilder und Bezüge lasse ich in meine Behandlung einfließen. Damit komme ich gut voran, und meistens können meine Patienten das auch gut nachvollziehen.
Dr. Michael: Ursachen für Schmerzen können oft Unfälle sein, die irgendwann passiert sind, oder Operationen. Operationsnarben können auch eine Rolle spielen, weil sie mit Emotionen verbunden sein können, vor allem, wenn es damals eine kritische Situation war. Im Gespräch finde ich das mit der Zeit heraus. Nehmen wir als einfaches Beispiel einen umgeknickten Knöchel, der operiert wurde. Hier kann noch eine Spannung im Fasziengewebe vorhanden sein, die man als mögliche Schmerzursache berücksichtigen muss. Diese Spannung kann sich sogar bis in den Nacken fortsetzen. Das kann man ausprobieren: Wenn du deinen Fuß unter dem Tisch fest beugst und stark anspannst, spürst du, wo sich die Spannung im Körper verteilt. Oft sind diese Bereiche miteinander verbunden.
Menschen mit Gelenkverschleiß haben oft ein anderes Ursachengefüge. Man muss realistisch sein und kann nicht versprechen, dass man alles beheben kann. Ich kann helfen, die Beweglichkeit so lange wie möglich zu erhalten. Viele meiner Patienten mit Hüftproblemen, die ich seit Jahren begleite, wollen sich zunächst nicht operieren lassen. Nach einigen Jahren kommt dann der Zeitpunkt, an dem sie bereit sind für eine Operation. Wir wissen, dass eine Gelenkprothese eine gute Lösung sein kann, aber sie hat eine begrenzte Lebensdauer und muss irgendwann ersetzt werden, weil sie sich lockert und abnutzt. Das ist ein normaler Vorgang.
Ursachen für Schmerzen können oft Unfälle sein, die irgendwann passiert sind, oder Operationen.
Dr. Michael: Genau! Es ist mir sehr wichtig, dass meine Patienten möglichst ohne Schmerzmittel auskommen. Die Nebenwirkungen solcher Medikamente sind oft nicht unerheblich und sollten möglichst vermieden werden. Meine Grundhaltung ist daher, Schmerzmittel nur so wenig wie nötig einzusetzen. Wenn jemand aber ausdrücklich danach fragt, bespreche ich die Wirkungen und Nebenwirkungen genau. Wenn die Nebenwirkungen zu stark werden, empfehle ich, die Dosis sofort zu reduzieren. Das funktioniert in der Regel sehr gut, und der Bedarf an Schmerzmitteln bleibt in den meisten Fällen gering.
Dr. Michael: Rückenschmerzen sind ein sehr dankbares Thema, denn oft ist unser "Seelenmuskel" beteiligt - der Hüftbeugemuskel, auch Iliopsoas genannt. Oft haben sich die Menschen einfach zu viel aufgebürdet, und dann müssen wir genauer hinschauen. Man kann sich das wie ein Fass vorstellen, das nach und nach gefüllt wird, bis es irgendwann überläuft. Das Überlaufen ist das Symptom, das sich dann in Rückenschmerzen äußern kann. Wenn wir in das "Fass" hineinschauen, sehen wir oft, wie viele verschiedene Dinge sich dort angesammelt haben. Dann gilt es, Schritt für Schritt herauszufinden, was zuerst bearbeitet werden muss. Manchmal müssen wir bei den Füßen anfangen, manchmal beim Hals. Oder es hilft, die richtigen Fragen zu stellen und gezielt auf bestimmte Punkte hinzuweisen, um Blockaden zu lösen. Das ist sehr effektiv, und wenn der Mensch, der zu mir kommt, diesen Weg mitgehen will, kommen wir gemeinsam ein gutes Stück voran. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie sich auf diesem Weg Verbesserungen einstellen.
Oft haben sich die Menschen einfach zu viel aufgebürdet, und dann müssen wir genauer hinschauen.
Dr. Michael: Ja, natürlich. Bei Rückenschmerzen beispielsweise überprüfe ich auch die Nervenfunktion. Wenn ich merke, dass etwas nicht stimmt, veranlasse ich eine Bildgebung, denn die Kernspintomographie ist hier der Goldstandard. So kann ich genau sehen, ob zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall vorliegt, der dem Chirurgen vorgestellt werden sollte. Ich habe sehr gute Kontakte zu Fachärzten, die solche Fälle fair beurteilen - das heißt, sie können auch bei größeren Bandscheibenvorfällen sagen: "Nein, hier müssen wir nicht sofort operieren."
Wichtig ist, dass alles in Ruhe abgewogen und alle Möglichkeiten besprochen werden. Manche Patienten sagen vielleicht: "Dieses leichte Taubheitsgefühl im großen Zeh stört mich nicht, ich möchte nicht operiert werden." Diese Entscheidung muss letztlich jeder für sich selbst treffen. Ich gebe meinen Patienten alle Möglichkeiten und zeige ihnen, wie weit sie durch Behandlung oder Selbstbehandlung kommen können. Aber die Entscheidung liegt letztlich bei dem Menschen, der zu mir kommt.
Dr. Michael: Wenn man davon ausgeht, dass alles, was die Seele belastet und beschwert, sich auch im Körper widerspiegelt - und das ist meiner Erfahrung nach tatsächlich so - dann können Rückenschmerzen sehr hartnäckig sein, wenn man diese Zusammenhänge nicht berücksichtigt. Es ist wichtig, sich auch die Frage zu stellen: "Was könnte noch dahinterstecken?" Zum Beispiel: "Ich pflege meine Schwiegermutter" oder "Ich habe ein behindertes Kind zu Hause, das ich betreue" oder "Mein Partner ist dement geworden und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll." Solche belastenden Situationen wirken sich oft auf den Körper aus. Wenn ein Therapeut dies ignoriert, wird es schwierig, die Schmerzen wirklich zu lindern. Dann kann es zwar kurzfristig etwas besser werden, aber das Grundproblem bleibt bestehen.
Ich arbeite auch manuell und zeige den Patienten, was sie selbst tun können. Sie gehen mit einem ganzen Blumenstrauß von Techniken nach Hause, mit denen sie sich selbst helfen können. Wir wiederholen die Übungen in der nächsten Sitzung, und sie lernen, sich selbst zu behandeln. Zum Beispiel kann man den Musculus iliopsoas direkt behandeln, indem man seitlich am Bauch entlang arbeitet, sich weich tief einsinken läßt und Kontakt mit dem Muskel aufnimmt. Wenn man dann das Bein anhebt und der Muskel "entgegenkommt", hat man den richtigen Punkt gefunden. Dann lässt man das Bein sinken und wartet, bis sich der Muskel entspannt - er "schmilzt" buchstäblich wie Eis unter der Hand. Natürlich muss man bedenken, dass es in dieser Region Bezüge zu inneren Organen gibt. Dies Organe können ebenfalls für die Schmerzen verantwortlich sein, z.B. die Eierstöcke oder Teile des Darms. Meistens ist das schon abgeklärt, bevor die Patienten zu mir kommen, sodass ich mich dann ganz auf die Behandlung konzentrieren und entsprechende Hinweise geben kann.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 18.11.2024.