Beim Menschen sorgen etwa 600 Muskeln für die Bewegung und Stützung des Körpers sowie die Aufrechterhaltung der Organfunktion. Als Muskelschwund wird ganz allgemein der Abbau von Muskelmasse bezeichnet. Manchmal werden auch nur bestimmte Erkrankungen als Muskelschwund bezeichnet, die von der Muskulatur selbst oder vom Nervensystem ausgehen und zu einem Muskelabbau führen (neuromuskuläre Erkrankungen).
Es gibt zwei verschiedene Arten von Muskulatur, die quergestreifte und die glatte Muskulatur. Zu der quergestreiften Muskulatur zählt die Skelettmuskulatur (beispielsweise Muskeln von Armen, Rücken, Beinen) und die Herzmuskulatur. Die glatte Muskulatur findet sich in den sogenannten Hohlorganen wie Darm, Blutgefäßen, Atemwegen oder Blase, sie ist vom Muskelschwund nicht betroffen.
Die gesamte Muskulatur oder nur einzelne Muskeln können von Muskelschwund betroffen sein. Je nach Ausprägung des Muskelschwunds kommt es zu leichten Bewegungseinschränkungen oder zu schweren Symptomen, die bis hin zum Tod führen. Häufigste Symptome sind:
Im Falle von neuromuskulären Erkrankungen ist der Muskelschwund ursächlich nicht zu behandeln, so dass die Therapie der Linderung der Symptome dient.
Bei den Ursachen von Muskelschwund werden myogene und neurogene Erkrankungen unterschieden. Davon unabhängig kann ein Muskelabbau jedoch auch aufgrund von fehlender Aktivität entstehen oder weitere Gründe haben.
Die Ursache für den Muskelschwund ist hierbei eine Erkrankung der Muskulatur. Beispiele sind die Duchenne- und die Becker-Muskeldystrophie.
Bei der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne handelt es sich um eine erbliche Muskelerkrankung, die durch einen Defekt in einem für Muskelfunktion oder Muskelaufbau nötigen Gen ausgelöst wird. Betroffen sind fast ausschließlich Jungen. Im Alter von zwei bis drei Jahren fällt zunächst eine verzögerte Entwicklung auf, die Kinder lernen erst sehr spät zu laufen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer ausgeprägten körperlichen Schwäche mit Schwierigkeiten beim Laufen, Springen oder Treppensteigen. Betroffene Kinder fallen häufiger hin, was zu Knochenbrüchen führen kann. Sie können einen watschelnden Gang zeigen oder auf den Zehenspitzen laufen. Die Muskeln nehmen an Umfang zu, aber werden schwächer. Auch der Herzmuskel vergrößert sich, so dass es spätestens im Alter von 18 Jahren zu Herzfunktionsstörungen kommt. In Gelenksnähe kommt es zu einer Verkürzung der Muskeln, dadurch können Arme und Beine nicht mehr vollständig gebeugt werden und die Wirbelsäule verkrümmt sich zunehmend. Da die Muskelmasse zunehmend durch Fettmasse ersetzt wird, sind die Kinder bei fortgeschrittener Erkrankungsdauer auf einen Rollstuhl angewiesen. Wenn die Atemmuskulatur ebenfalls betroffen ist, erhöht dies das Risiko für Atemwegsinfekte. Die Atemfunktion nimmt allmählich ab. Die Patienten versterben im Durchschnitt zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr.
Die Muskeldystrophie vom Typ Becker ist eine erbliche Muskelerkrankung, die fast ausschließlich Jungen betrifft. Ursache ist ein Gendefekt, der zu einer fehlenden Muskelfunktion führt. Der Krankheitsverlauf ist in der Regel milder als bei der Duchenne-Muskeldystrophie. Die ersten Beschwerden entwickeln sich etwa im Alter von 11 Jahren (5 bis 15 Jahren). Zunächst fällt ein Zehengang auf und es kommt nach Belastung zu Schmerzen und Schwäche der Muskeln. Im weiteren Verlauf führt die Muskelschwäche zu Einschränkungen wie Schwierigkeiten beim Treppensteigen oder Aufstehen. Die Gesichts- und Schluckmuskeln sind nicht betroffen. Durch den Ersatz von Muskelmasse mit Fettgewebe treten die Wadenmuskeln stark hervor. Die Krankheit läuft langsam fortschreitend ab, etwa die Hälfte der Patienten ist im Verlauf der Erkrankung auf einen Rollstuhl angewiesen. Durch den Abbau der Herzmuskulatur kann es (etwa ab dem 30. Lebensjahr) zu Herzfunktionsstörungen kommen. Wenn Betroffene aufgrund der Muskelschwäche auf einen Rollstuhl angewiesen sind, führt dies häufig zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule. Die Lebenserwartung beträgt etwa 35 bis 50 Jahre.
Als neurogener Muskelschwund wird ein durch eine Nervenerkrankung ausgelöster Muskelschwund bezeichnet.
Die spinale Muskelatrophie ist eine erbliche Nervenerkrankung, die durch einen Gendefekt ausgelöst wird. Es kommt zu einem Abbau von Nerven und damit zu fehlenden Nervenimpulsen an die Muskulatur. Die Muskelzellen werden dadurch weniger beansprucht und als Folge dessen abgebaut. Nach dem Krankheitsverlauf werden vier Schweregrade der spinalen Muskelatrophie unterschieden (Typ 1 bis 4). Je nach Schweregrad kommt es zu verschiedenen Ausprägungen von Symptomen.
Die schwerste Form ist die Werdnig-Hoffmann-Krankheit (proximale spinale Muskelatrophie Typ 1), die häufiger Jungen als Mädchen betrifft und vor dem sechsten Lebensmonat zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Es kommt bei den Säuglingen zu einem fehlenden Saugvermögen, einem reduzierten Schluckreflex und einer ausgeprägten Muskelschwäche. Diese beginnt körpernah an Armen und Beinen und breitet sich zunehmend auf Hände und Füße aus. Die Kinder können beispielsweise nicht ihren Kopf heben oder sich drehen. Sie können ohne Hilfe nicht sitzen und lernen nie zu laufen. Häufig kommt es zu Atemproblemen, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist, und die Säuglinge können nur sehr leise schreien. Die Lebenserwartung beträgt für diese schwere Verlaufsform oft nur wenige (unter drei) Jahre. Bei milden Formen (Typ 3 = Kugelberg-Welander-Krankheit sowie Typ 4) ist die Bewegung oft nur leicht eingeschränkt, so dass nur eine wenig reduzierte beziehungsweise normale Lebensdauer zu erwarten ist. Eine Zwischenform (Typ 2) macht sich erstmals zwischen einem halben und anderthalb Lebensjahren in Erscheinung und führt zu einer zu erwartenden Lebensdauer von 10 bis 20 Jahren. Allgemein fällt die Erkrankung durch dünne, fehlgestellte Arme und Beine oder einen krummen Rücken auf.
Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine chronische Erkrankung des Nervensystems, die zu einer fortschreitenden Muskellähmung führt. Die Ursache ist nicht eindeutig geklärt. Bei einem Teil der Patienten scheint ein Defekt eines Gens, das für den Schutz von Nervenzellen vor Sauerstoffradikalen zuständig ist, Auslöser zu sein. Die Nervenzellen werden geschädigt, dadurch erhalten die Muskelzellen keine Impulse, was zunächst zu einer Muskelschwäche und schließlich zu Lähmungen führt. Schäden an anderen Nervenzellen wiederum bewirken eine übermäßige Aktivierung der Muskulatur. ALS tritt meist zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Zunächst kommt es zu Muskelschwäche, Muskelverkrampfungen (Spasmen) und Muskelschwund in Armen, Händen, Füßen und Beinen. Durch die zunehmenden Lähmungserscheinungen sind die Patienten rasch auf einen Rollstuhl angewiesen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem Muskelschwund der Gesichtsmuskulatur mit Abnahme der Mimik und dem Verlust des Sprachvermögens. Später sind die Atmung und das Schlucken beeinträchtigt. Bewusstsein, Denkvermögen und Sinneswahrnehmungen bleiben in den meisten Fällen vollständig erhalten. Die Erkrankung ist nicht heilbar, häufig versterben Betroffene schon wenige Jahre nach Krankheitsbeginn.
Muskelschwund beziehungsweise eine Abnahme von Muskelmasse kann außerdem auftreten:
Wenn der Muskel nicht ausreichend belastet wird, führt dies zu einem Muskelabbau. Muskelzellen, die nicht mehr aktiviert werden, wird Wasser entzogen und Proteine (als wichtige Bestandteile des Muskels) werden verstoffwechselt. Die Muskelmasse wird zunehmend in Fett umgewandelt. Zweck des Muskelabbaus ist es, den Energieverbrauch durch unnötige Muskelmasse zu reduzieren. Dadurch wird jedoch der gesamte Stoffwechsel heruntergefahren, der Appetit und die Nahrungsaufnahme nehmen ab. Der Körper wird weiter geschwächt und der Muskelabbau schreitet voran.
Bei Verdacht auf eine abnehmende Muskelmasse sollte immer ein Arzt aufgesucht werden. Verschiedene Beschwerden, die zu einer eingeschränkten Muskelbeweglichkeit führen, sind ebenfalls ein Grund, sich beim Arzt vorzustellen.
Zunächst fragt der Arzt im Patientengespräch nach Art, Dauer und Schwere der Beschwerden. Außerdem ist es wichtig zu erwähnen, ob weitere Familienmitglieder betroffen sind, um Anhaltspunkte auf eine mögliche genetische Ursache zu bekommen. In der körperlichen Untersuchung achtet der Arzt auf eine Abnahme der Muskelmasse, Lähmungserscheinungen oder Fehlstellungen. In der neurologischen Untersuchung wird der Zustand von Gehirn und Nerven untersucht. Dabei achtet der Untersucher auf Gleichgewicht, Reflexe, Motorik (aktive Bewegung), Koordination und Empfindlichkeit.
Für die Muskelaktivitätsmessung wird eine Elektromyographie durchgeführt. Kleine Nadeln oder Elektroden werden im betroffenen Muskelbereich angebracht. Funktionierende Nerven beziehungsweise Muskeln senden kleine Impulse, die von einem Computer erkannt und aufgezeichnet werden können. Bei krankhaften Ursachen von Muskelschwund kann der Arzt ein typisches Muster erkennen. Die Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit ist ein weiteres Hilfsmittel zur Diagnose des Muskelschwunds. Hier wird gemessen, ob der Nerv einen elektrischen Impuls in einer ausreichenden Geschwindigkeit auf den Muskel überträgt.
In Blutuntersuchungen wird unter anderem die Creatinkinase (CK) bestimmt, ein Muskeleiweiß, das bei Muskelerkrankungen erhöht sein kann. Mit Hilfe einer so genannten Biopsie können Proben aus der Muskulatur entnommen werden und im Labor auf Veränderungen untersucht werden. Mit Hilfe von Gentests können Erbkrankheiten, die zu Muskelschwund führen, nachgewiesen werden.
Die Behandlung des Muskelschwunds richtet sich gegen die zugrundeliegende Erkrankung. Unterstützende Maßnahmen zur Linderung der Beschwerden und Erhaltung der Beweglichkeit können je nach betroffener Muskelgruppe helfen.
Die Duchenne-Muskeldystrophie und die Becker-Muskeldystrophie sind nicht heilbar. Ziel der Behandlung ist, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Beschwerden zu lindern. Dafür kommen folgende Maßnahmen zum Einsatz:
Es gibt keine Heilung, die Behandlung dient der Linderung der Beschwerden. Bei der schwersten Form, der Werdnig-Hoffmann-Krankheit (proximale spinale Muskelatrophie Typ 1), versterben die Kleinkinder häufig vor Erreichen des 2. Lebensjahres als Folge der Atemfunktionsstörung. Die Therapie setzt sich zusammen aus Physiotherapie, Beatmungshilfe, künstlicher Ernährung und der Gabe von Antibiotika bei Infektionen der Atemwege. Derzeit laufen Studien über mögliche Medikamente zur Behandlung. Für Patienten mit anderen Verlaufsformen der spinalen Muskelatrophie (Typ 2 bis 4) kommen Schmerztherapie, Operation bei starker Verkrümmung der Wirbelsäule, Medikamente, die den durch den Gendefekt ausgelösten Proteinmangel in der Muskulatur ersetzen und so die Muskelfunktion verbessern, Physio- oder Ergotherapie in Frage.
Die amyotrophe Lateralsklerose ist nicht heilbar. Die Behandlung soll den Patienten ein möglichst lange unabhängiges und beschwerdefreies Leben ermöglichen. Verschiedene Fachärzte und Therapeuten erstellen für jeden Patienten einen angepassten Behandlungsplan. Beteiligt sind Physiotherapeuten, Neurologen (Fachärzte für Erkrankungen des Nervensystems), Sprachtherapeuten, Magen-Darm-Spezialisten, Lungenfachärzte und Psychologen. Medikamente mit dem Wirkstoff Riluzol können Nervenzellen vor weiteren Schäden schützen und damit das Fortschreiten der Erkrankung verzögern.
Muskelschwund, der durch fehlende Aktivität, als Folge chronischer Erkrankungen oder im Alter auftritt, kann durch ausreichende Bewegung aufgehalten oder sogar umgekehrt werden. Dies gelingt durch gezielte Muskelübungen, bei denen die Muskulatur durch Ziehen, Heben oder Drücken beansprucht wird. Für ein erfolgreiches Ergebnis müssen Betroffene regelmäßige Trainingseinheiten (etwa fünf Mal die Woche für 30 Minuten) einhalten. Neben dem Gang in ein Fitnessstudio können auch Übungen in den Alltag eingebaut werden, zum Beispiel:
Außerdem hilft eine proteinreiche (eiweißreiche) Ernährung. Im Gegensatz zu jungen Menschen sollte bei älteren Personen der Proteingehalt in der Nahrung um etwa 25 Prozent gesteigert werden. Geeignete Lebensmittel sind beispielsweise Milch und Milchprodukte (Käse, Joghurt, Quark), Geflügelfleisch, Eier, Lachs, Erbsen oder Walnüsse.
MSD Manual, Michael Rubin – Duchenne-Muskeldystrophie und Becker-Muskeldystrophie: https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-kindern/muskeldystrophien-und-verwandte-erkrankungen/duchenne-muskeldystrophie-und-becker-muskeldystrophie (online, letzter Abruf: 22.03.2021)
aerztebaltt.de – Internisten weisen auf Muskelabbau im Alter hin: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/80634/Internisten-weisen-auf-Muskelabbau-im-Alter-hin (online, letzter Abruf: 22.03.2021)
orpha.net – Spinale Muskelatrophie, proximale, Typ 1: https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?lng=DE&Expert=83330 (online, letzter Abruf: 22.03.2021)
Wicker (Klinik Hoher Meissner) – Muskelschwund: https://www.wicker.de/kliniken/klinik-hoher-meissner/behandlungsschwerpunkte/erkrankungen-a-z/muskelschwund/ (online, letzter Abruf: 22.03.2021)
orpha.net – Muskeldystrophie Typ Becker: https://www.orpha.net/consor/www/cgi-bin/Disease_Search.php?lng=DE&data_id=13912&Disease_Disease_Search_diseaseGroup=becker-muskeldystrophie&Disease_Disease_Search_diseaseType=Pat&Krankheite(n)/Krankheitsgruppe=Muskeldystrophie-Typ-Becker&title=Muskeldystrophie%20Typ%20Becker&search=Disease_Search_Simple (online, letzter Abruf: 22.03.2021)
aktualisiert am 22.03.2021