Der ärztliche Beitrat der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) Bundesverband e. V. gab bereits 2012 eine Stellungnahme zu Organtransplantation, Blutspende und Stammzell-Spende bei Multipler Sklerose heraus. Das Statement wurde im August 2015 aktualisiert, es ergaben sich dabei aber keine wesentlichen Änderungen: Nur in Ausnahmefällen sollten MS-Kranke Organe, Stammzellen oder Blut spenden. Auch solche Einzelfälle bedürfen einer gründlichen Prüfung. Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, deren Auswirkungen noch immer nicht vollständig durchleuchtet werden konnten. Die Erkrankung als solche ist keinesfalls ansteckend. Die Defekte des Immunsystems können dennoch über Blut, Organgewebe oder Stammzellen auf den Organismus des Empfängers übertragen werden. Die Risiken sind dokumentiert:
- Gespendete Stammzellen von MS-Kranken lösten in einigen dokumentierten Fällen bei den Empfängern entzündliche Erkrankungen im Zentralnervensystem aus. Wann und warum diese Komplikation eintrat, konnte nicht ausreichend geklärt werden.
- Jedes transplantierte Organ enthält „Passenger-Lymphozyten“. Bei jeder Zell-, Knochenmark- oder Organübertragung besteht das Risiko, dass die B-Lymphozyten (B-Lymphzellen) des Spenders nicht nur „mitwandern“, sondern Eigendynamik entwickeln. Möglicherweise beginnen sie, gegen Antigene in den roten Blutkörperchen des Empfängers Antikörper zu erzeugen. Die Folge wäre eine Hämolyse, bei der sich die Zellmembranen der roten Blutkörperchen auflösen. Das wiederum kann zu Anämie (Blutarmut) oder zu Organschäden führen. Stammen die mit übertragenen B-Lymphozyten nun von einem MS-Erkrankten, besteht ein hohes Risiko dafür, dass unberechenbare Immun- oder Autoimmun-Antworten mit auf den Spender übergehen.
- Welche Auto-Antikörper zirkulieren im Blut von MS-Patienten? Sind sie samt all ihren negativen Eigenschaften bei der Transplantation auf den Empfänger übertragbar und wie werden sie in dessen Organismus reagieren? Diese Fragen konnten bislang noch nicht befriedigend beantwortet werden. Selbst in Erythrozyten-Konzentraten könnten sich diese Autoantikörper finden, so dass spätere Schäden nicht ausgeschlossen sind.
- Die Stammzellenentnahme bedeutet ein Risiko für den Spender, wenn dieser an Multipler Sklerose leidet: Da Medikamente sein Immunsystem unterdrücken, ist die Infektionsgefahr unverhältnismäßig riskant.
- Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken oder verändern, führen bei längerfristiger Einnahme zu Schädigungen, die bei einer Organ-Transplantation auf den Empfänger übergehen – zusammen mit den jeweiligen Risiken für dessen Gesundheit.
Wer an MS leidet, sollte darauf verzichten, Organe, Knochenmark oder Blut zu spenden. Ist eine solche Spende lebensrettend, etwa an unmittelbare Verwandte, müssen Vorteile und Risiken zuvor genau gegeneinander abgewogen werden – die Entscheidung hängt dabei von den Umständen im jeweiligen Einzelfall ab.