Prof. Holle:Morbus Wegener oder Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), wie die Erkrankung seit einigen Jahren heißt, ist eine seltene rheumatische Autoimmunerkrankung. Autoimmunerkrankungen sind generell dadurch charakterisiert, dass sich Teile des eigenen Immunsystems fehlaktivieren und sich gegen den eigenen Körper bzw. gegen bestimmte Gewebestrukturen oder Organe des eigenen Körpers richten. Das Immunsystem verursacht dort dann eine Entzündung und „versucht“, die entsprechende Gewebestruktur zu zerstören. Bei der GPA richtet sich das fehlaktivierte Immunsystem gegen kleine Blutgefäße. Da wir in jedem Organ kleine Blutgefäße haben, kann fast jedes Organ von dieser Erkrankung betroffen sein.
Da wir in jedem Organ kleine Blutgefäße haben, kann fast jedes Organ von dieser Erkrankung betroffen sein.
Prof. Holle: Die GPA tritt zumeist um das 50.-60. Lebensjahr oder jenseits davon auf. Allerdings gibt es betroffene Menschen jeden Alters, auch Kinder. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Die Erkrankung tritt in der nördlichen Hemisphäre häufiger auf als in der südlichen. Es sind diverse genetische Risikofaktoren identifiziert worden, wobei wir davon ausgehen, dass ein Risikofaktor allein und selbst viele genetische Risikofaktoren in einem Menschen allein nicht für den Ausbruch der Erkrankung verantwortlich sind, sondern lediglich zu einer Prädisposition führen. Die Erkrankung wird eigentlich kaum vererbt. Es muss also weitere, auslösende Faktoren geben, die wir nicht gut oder gar nicht kennen. Es werden Umweltfaktoren als Auslöser diskutiert, wie z. B. Luftverunreinigung, Quarzstaub, Infektionen, selten auch bestimmte Medikamente, aber der genaue Mechanismus, wie und warum die Erkrankung bei einem Menschen auftritt ist bisher noch nicht gut verstanden worden.
Prof. Holle: Die GPA beginnt interessanterweise meistens im HNO-Trakt mit einem blutigen Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündungen, die nicht auf Antibiotika ansprechen. Wird die Erkrankung in diesem frühen, lokalisierten Erkrankungsstadium nicht erkannt, so breitet sie sich dann in weiteren Organen aus. Zumeist kommt es dann auch zu Allgemeinsymptomen wie Fieber, Nachtschweiß und ungewolltem Gewichtsverlust.
Typische Organe, die am häufigsten betroffen sind, sind Lunge und Niere. In der Lunge kann eine knötchenartige Entzündung (granulomatöse Entzündung) und/oder eine Lungenblutung auftreten, die dadurch entsteht, dass das Immunsystem kleine Gefäße in der Lunge zerstört und daraus Blut freigesetzt wird. Die Folgen sind Luftnot, eventuell Bluthusten und im Extremfall auch eine Schocksymptomatik durch den Blutverlust in die Lunge oder aber eine Ateminsuffizienz mit der Notwendigkeit für eine künstliche Beatmung, weil das in die Lunge freigesetzte Blut zu einer Behinderung der Atmung führt.
Es können weitere Organe betroffen sein, sodass z.B. Gelenkentzündungen, Entzündungen an der Haut oder auch Taubheitsgefühle und/oder Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen entstehen können, weil die sogenannten peripheren Nerven betroffen sind. Selten sind Magen-Darm-Trakt, Herz oder das Zentralnervensystem betroffen.
Wenn hartnäckige Symptome im HNO-Trakt auftreten, so sollte der Hausarzt und/oder der HNO-Arzt aufgesucht werden. Wichtig ist eine genaue Symptomschilderung, damit der Arzt überhaupt darauf kommen kann, dass es sich hier um eine systemische Erkrankung handeln könnte, die einen Multiorganbefall induzieren kann.
Generell ist die Erkrankung aber sehr selten (Inzidenz = Neuerkrankungen pro Jahr in der westlichen Welt: ca. 15 pro Million und Jahr); in den allermeisten Fällen hat ein Schnupfen oder eine Nebenhöhlenentzündung eine bakterielle oder virale Ursache und hat nichts mit der GPA zu tun.
Prof. Holle: Der Arzt, der diese Erkrankung diagnostiziert und behandelt, ist der Rheumatologe. Dabei ist aber eine Zusammenarbeit vieler anderer Fachdisziplinen erforderlich, da ja so viele verschiedene Organsysteme betroffen sein können. Man sollte grundsätzlich die am häufigsten betroffenen Organe (HNO-Trakt, Lunge, Niere) systematisch untersuchen und den Patienten befragen, ob er Symptome für einen Befall weiterer Organe hat. Daraus folgen eventuell weitere Untersuchungen bei den entsprechenden Spezialisten.
Die Organe werden mit speziellen apparativen Techniken und/oder Laborwerten untersucht. So erhält ein Patient standardmäßig bei der Erstdiagnose bzw. Verdacht auf GPA ein MRT vom Kopf, um die Nebenhöhlen und das Gehirn darzustellen. Die Lunge sollte standardmäßig durch ein CT untersucht werden und die Niere wird routinemäßig sonographiert.
Zudem gibt es Blutuntersuchungen, die durchgeführt werden müssen. In jedem Fall sind die allgemeinen Entzündungswerte (z.B. CRP) zu bestimmen, die aber nur darüber Auskunft geben, ob und wie gravierend sich eine Entzündung im Körper abspielt. Über Blut- und Urinuntersuchungen kann man z.B. die Nierenfunktion untersuchen.
Ein wichtiger Baustein in der Labordiagnostik ist außerdem ein sogenannte Autoantikörper, d.h. ein falsch produzierter Antikörper, der sich gegen den eigenen Körper richtet. Bei der GPA ist das in der Regel der sogenannte PR3-ANCA: Allerdings ist zu beachten, dass dieser insbesondere in den initialen Krankheitsstadien noch negativ sein kann. Ein negativer (also nicht vorhandener) ANCA schließt daher die Diagnose einer GPA nicht aus.
Die Diagnose sollte – sofern möglich – am besten durch eine Biopsie gesichert werden, z.B. aus der Nasenschleimhaut, die in lokaler Betäubung durch den HNO-Arzt erfolgt, oder durch eine Nierenbiopsie.
Prof. Holle: Die GPA wird medikamentös mit sogenannten Immunsuppressiva behandelt. Das sind Medikamente, die das überschießend aktivierte Immunsystem beruhigen. Dazu gehört in den ersten Monaten auch Cortison, da Cortison das am schnellsten wirksame Immunsuppressivum ist. Es ist also der „Feuerlöscher“ und ist in vielen Fällen lebensrettend, muss aber aufgrund von möglichen Nebenwirkungen vorsichtig dosiert werden. Wenn möglich, wird es im späteren Krankheitsverlauf abgesetzt oder nur sehr niedrig dosiert.
Zusätzlich erhält der Patient ein weiteres Immunsuppressivum, das kein Cortison enthält und das langfristig gegeben wird bzw. werden kann. Je nach Schwere der Erkrankung kommen unterschiedliche Medikamente zum Einsatz. Sehr oft werden heute moderne Biologika-Medikamente eingesetzt, die gut vertragen werden. Bei der GPA ist dies vor allem das Medikament Rituximab, eine Infusion, die am Anfang wöchentlich und dann bei guter Kontrolle der Erkrankung halbjährlich oder noch seltener gegeben wird. Die Therapie erfolgt grundsätzlich über Jahre, oftmals lebenslang, weil die Erkrankung leider wieder kommen kann.
Die GPA wird medikamentös mit sogenannten Immunsuppressiva behandelt.
Prof. Holle: Heutzutage ist die Behandlung sehr vielversprechend und die Erkrankung kann mit den modernen Standardtherapien in 80—90% der Fälle kontrolliert werden. Bei fehlendem Ansprechen stehen Medikamente der Reserve zur Verfügung.
Die Erkrankung ist allerdings zum heutigen Zeitpunkt nicht heilbar, sodass die Patienten oft lebenslang bzw. immer wieder therapiert werden müssen, um zu verhindern, dass die Erkrankung wieder ausbricht.
Prof. Holle: Alte Daten zeigen, dass die meisten Patienten früher (vor Einführung der Cortisontherapie und anderer Medikamente) unbehandelt nach ca. 1-2 Jahren verstorben sind.
Prof. Holle: Die Langzeitprognose heute ist sehr gut, allerdings natürlich unter Therapie und regelmäßigen Kontrollen. Dennoch ist die Lebenserwartung noch immer etwas reduziert, insbesondere bei Patienten, die erst spät im Krankheitsverlauf therapiert wurden und bei denen die Organe einen bleibenden Schaden genommen haben, z. B. niereninsuffiziente Patienten, die eine Dialyse benötigen.
Dennoch ist die Lebenserwartung noch immer etwas reduziert...
Prof. Holle: Solche Patienten sollten ausschließlich an spezialisierten Zentren behandelt werden – durch Ärzte, die viel Erfahrung mit diesen Erkrankungen haben. Regelmäßige Kontrollen sind unbedingt erforderlich, zumeist bei guter Einstellung alle 3-4 Monate. Dann werden Kontrolluntersuchungen durchgeführt und ggf. die Therapie angepasst.
Prof. Holle: Wie bereits geschildert, ist die Erkrankung aufgrund des medizinischen Fortschritts von einer tödlichen Erkrankung zu einer Erkrankung geworden, die zwar chronisch ist, die aber – sofern man früh genug therapiert und damit Organschäden verhindert – auch mit einer sehr guten Lebensqualität einhergehen kann.
Prof. Holle: Man forscht noch immer an auslösenden Faktoren und an dem genauen Mechanismus, wie und warum die Erkrankung entsteht. Zudem wird sehr viel an Medikamenten, insbesondere den Biologika-Medikamenten geforscht, um die Prognose weiter zu verbessern.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 12.02.2024.