Prof. Strowitzki: Den normalen Menstruationszyklus gibt es eigentlich gar nicht. Es ist ein Mythos, dass ein Zyklus 4 Wochen dauert. Es gibt ja auch natürliche Lebensphasen, in denen es normal ist, keinen Zyklus zu haben, z.B. vor der Pubertät, während Schwangerschaft und Stillzeit und nach den Wechseljahren. Auch muss ein vermeintlich „normaler“ Zyklus von 4 Wochen nicht bedeuten, dass ein Zyklus mit Eisprung vorliegt. Um z.B. das Schwangerschaftsalter zu bestimmen, rechnet man aber mit einem normierten Zyklus von 28 Tagen Länge und Eisprung an Tag 14. Das heißt aber wie gesagt nichts für die wirklichen Gegebenheiten. Das ist nur eine rechnerische Größe. Ein normaler Zyklus hängt also nicht von der Zykluslänge ab, sondern davon, ob ein Eisprung mit einer sich anschließenden stabilen Gelbkörperphase vorliegt.
Den normalen Menstruationszyklus gibt es eigentlich gar nicht.
Prof. Strowitzki: Üblicherweise definiert man eine „normale“ Zykluslänge mit einem Intervall von ca. 24 bis 35 Tagen. Aber auch ein längerer Zyklus kann mit stabilen Eisprüngen einhergehen und muss nicht gleichbedeutend mit einer eingeschränkten Fruchtbarkeit sein. Bei jungen Frauen ist bei weitem nicht gleich jeder Zyklus nach Einsetzen der ersten Periode stabil. Selbst bis zum 18. Lebensjahr sind bis zu 40% der Zyklen noch ohne stabilen Eisprung. Einen Empfängnisschutz bietet dieses Wissen natürlich nicht.
Prof. Strowitzki: Die häufigsten Zyklusstörungen sind Verlängerungen des Zyklus über 35 Tage hinaus bis zum völligen Ausbleiben der Periode, der sogenannten Amenorrhoe. Verlängerungen sind deutlich häufiger als verkürzte Zyklen. Zu den Zyklusstörungen zählen auch Störungen des Blutungsmusters, wie Zwischenblutungen, Schmierblutungen in der 2. Zyklushälfte, starke und verlängerte Monatsblutungen (Hypermenorrhoe) oder seltener nur sehr schwach auftretende Monatsblutungen (Hypomenorrhoe).
Verlängerungen sind deutlich häufiger als verkürzte Zyklen.
Prof. Strowitzki: Die Ursachen sind vielschichtig. Grundsätzlich umfassen die Ursachen von Zyklusstörungen hormonelle, genetische und anatomische Ursachen. So kann eine verzögert einsetzende Pubertät durch eine hormonelle zentrale Regelstörung im Mittelhirn bedingt sein, aber auch rein konstitutionsbedingt - ohne krankhafte Ursache oder auch genetisch bedingt - sein. Letzteres kann vor allem dann ursächlich sein, wenn nie eine spontane erste Periode eingetreten ist.
Unter den hormonellen Störungen dominieren zentrale Regelstörungen, z.B. bei auffälligem Ernährungsverhalten - und Störungen, die mit erhöhten männlichen Hormonspiegeln einhergehen. Anatomisch können Fehlbildungen bis zum Fehlen der Gebärmutter eine Rolle spielen oder nicht richtig angelegte Eierstöcke ohne ausreichende Funktion. Im späteren Leben, insbesondere nach operativen Eingriffen wie Ausschabungen nach Fehlgeburten, kann eine Zyklusstörung auch aus einem ungenügenden Aufbau einer narbig veränderten Gebärmutterschleimhaut resultieren, ohne dass hormonelle Störungen vorliegen.
In seltenen Fällen kommt es aus oft genetischer Ursache zu einem verfrühten Einsetzen der Wechseljahre bereits ab dem 30. Lebensjahr, was sich in Störungen der Zykluslänge meist mit einer zunehmenden Zyklusverkürzung bis dann zum völligen Ausbleiben der Periode zeigt. Aber natürlich heißt das nicht, dass jede Verkürzung des Zyklus seine Ursache in einer vorzeitigen Einschränkung der Eierstockfunktion hat.
Prof. Strowitzki: Hormonell betrachtet sind Störungen des männlichen Hormonhaushaltes überwiegend in Form des Polycystischen Ovarsyndroms (PCOS) die wohl häufigste Ursache von Zyklusstörungen. Man rechnet mit einer Häufigkeit von mehr als 10% bei jungen Frauen. Zu den typischen klinischen Symptomen gehören vermehrte Behaarung, unreine Haut, fettiges Haar, Übergewicht und Zyklusstörungen mit zum Teil mehrmonatigem Ausbleiben der Periode. Hormonell finden sich oft erhöhte männliche Hormonspiegel und ein erhöhtes luteinisierendes Hormon LH.
Dieses Hormon der Hirnanhangsdrüse ist den meisten Frauen bekannt, weil es durch einen raschen Anstieg in der Mitte des Zyklus den Eisprung auslöst, was man mit Urintests messen kann. Die zweite wichtige Aufgabe des LH ist aber die Förderung der Bildung männlicher Hormone im Eierstock, die immer als Vorläufer der Bildung der weiblichen Sexualhormone gebraucht werden. Die Form der Eierstöcke im Ultraschallbild ist oft charakteristisch: Die Eierstöcke sind vergrößert und zeigen eine girlandenförmige Anordnung der kleinen Eibläschen unter der Rinde. Vom Stoffwechsel her haben Frauen mit einem PCOS oft eine gestörte Insulinresistenz mit erhöhten Insulinspiegeln im Blut. Insulin wirkt aber am Eierstock wie LH und erhöht seinerseits die Bildung männlicher Hormone. Frauen mit PCOS haben trotz langer Zyklen keinen Östrogenmangel. Der Grad der Ausprägung eines PCOS ist aber extrem variabel, der Formenkreis ist groß. So ist z.B. die Hälfte der Frauen mit einem PCOS völlig normalgewichtig, obwohl sich hormonell im Blut das Vollbild eines PCOS nachweisen läßt.
Auch die Erhöhung des als Stillhormon bekannten Prolaktin kann zu Zyklusstörungen führen. Außerhalb der Stillzeit kann Prolaktin als Folge eines gutartigen kleinen Tumors der Hirnanhangsdrüse, eines sogenannten Prolaktinoms, erhöht sein. Das lässt sich meist sehr gut medikamentös behandeln. Andererseits lösen zahlreiche Medikamente eine Erhöhung des Prolaktinspiegels aus, wie z.B. mehrere Psychopharmaka oder Medikamente gegen Übelkeit.
Zentrale Störungen der Hormonachse können ebenfalls Zyklusstörungen auslösen. Eine stabile Eierstockfunktion hängt von einer korrekten Steuerung durch übergeordnete Hormone ab. So wird aus dem Mittelhirn alle 90 Minuten ein Puls des Hormons GnRH zur Stimulation der Hirnanhangsdrüse ausgeschüttet. Nur wenn diese Taktfrequenz in Ordnung ist, kann die Hirnanhangsdrüse korrekt die beiden Hormone FSH und LH, die den Eierstock stimulieren, ausschütten. Vor allem bei den verschiedensten Formen von Essstörungen, bei hoher Belastung durch Ausdauersport, bei Untergewicht, aber auch bei nicht geklärter Ursache kann diese zentrale Rhythmik gestört sein. Dann ruht die Eierstockfunktion, obwohl die Eierstöcke selbst völlig gesund sind. Das führt zu einem ausgeprägten Östrogenmangel mit Langzeitfolgen wie z.B. einer geringen Knochendichte. Selten sind dagegen genetische Ursachen mit Fehlverteilungen oder Veränderungen der Geschlechtschromosomen.
Vor allem bei den verschiedensten Formen von Essstörungen, bei hoher Belastung durch Ausdauersport, bei Untergewicht, aber auch bei nicht geklärter Ursache kann diese zentrale Rhythmik gestört sein.
Prof. Strowitzki: Hier sind in erster Linie alle Medikamente zu nennen, die zu einer Erhöhung des Prolaktinspiegels führen. Es gibt aber auch Medikamente, die aus medizinscher Indikation den Zyklus unterdrücken sollen. Das sind z.B. Medikamente wie Gelbkörperhormone oder sogenannte GnRH-Analoga, die man zur Behandlung der Endometriose einsetzt, einer gutartigen Wucherung von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle. Durch diese Medikamente wird der Zyklus unterdrückt. Auch die normale Antibabypille wirkt durch das Prinzip der Unterdrückung des eigenen Zyklus u.a. durch ein Absenken der eigentlich den Eierstock stimulierenden Hirnanhangsdrüsenhormone FSH und LH und eine Verhinderung des Aufbaus der Gebärmutterschleimhaut. Die unter der Antibabypille auftretende zyklische Monatsblutung hat nichts mit der „normalen“ Periode zu tun, sondern ist ausschließlich eine Hormonentzugsblutung.
Prof. Strowitzki: Psychische Faktoren haben einen großen Einfluss auf das Zyklusgeschehen. Es sind praktisch ausschließlich zentrale Störungen mit einer Störung der gepulsten Ausschüttung des Mittelhormons GnRH. Betroffen sind oft Frauen mit Esstörungen aus dem anorektischen/bulimischen Formenkreis. Auch Leistungssportlerinnen, insbesondere in Ausdauersportarten wie Langstreckenlauf, oder in Sportarten mit hoher Gewichtung eines niedrigen Körpergewichtes wie Kunstturnen können betroffen sein. Dies ist als RED-S-Syndrom (Relatives Energie Defizit im Sport) bekannt. Aber auch hier gilt, dass nicht jede Essstörung und jede Form von Untergewicht automatisch zu einer Zyklusstörung führen muss. Als Stresshormon ist das Prolaktin bekannt. So können stressauslösende Situationen, Schlafentzug und vieles mehr zu vermehrter Prolaktinausschüttung mit folglichen Zyklusstörungen führen.
Prof. Strowitzki: Selbstbehandlungen sind nicht zu empfehlen. Die Frauen können ja primär bis auf eine vielleicht auffällige Vorgeschichte die zugrundeliegende Ursache nicht selbst abklären. Änderungen eines ungünstigen Lebensstils sind aber auf jeden Fall Maßnahmen, über die Frauen selbst zu einer Verbesserung von Zyklusstörungen beitragen können. Ein ungünstiges Körpergewicht in beide Richtungen, also Über- wie auch Untergewicht, kann die Frau in Angriff nehmen. Letztlich braucht es aber zunächst eine gründliche ärztliche Untersuchung und Diagnose. Die Ursachen für Zyklusstörungen sind viel zu vielschichtig.
Selbstbehandlungen sind nicht zu empfehlen.
Prof. Strowitzki: Sporadisch auftretende Zyklusstörungen mit langen Zyklen, ohne das Vorliegen einer frühen Schwangerschaft, sind im Prinzip nicht selten und nicht sofort ein Grund zur Beunruhigung, wenn sich der Zyklus wieder auf das bekannte Maß einpegelt. Wenn es in der Vorgeschichte aber Risikofaktoren gibt, wie oben dargestellt, z.B. Hinweise auf erhöhte männliche Hormone, Gewichtsauffälligkeiten und mehr, dann sollte ein Arztbesuch nicht unnötig hinausgeschoben werden. Oft stellt sich die Ursache der Zyklusstörung ja als harmlos heraus und kann Beunruhigungen abbauen.
Prof. Strowitzki: Das hängt völlig von den Ursachen und den Bedürfnissen der Frau ab. Das kann von Beratungen zum Lebensstil bis hin zur hormonellen Behandlung reichen. Bei einem PCOS kann eine medikamentöse Korrektur des gestörten Zuckerstoffwechsels manchmal reichen. Mit speziellen Gelbkörperhormonen, die gegen männliche Hormone ausgerichtet sind, kann eine regelmäßige Abbruchblutung erzielt werden. Bei Wunsch nach Empfängnisschutz ist es am einfachsten, eine Antibabypille zu verordnen, deren Gelbkörperhormonanteil auch gezielt gegen männliche Hormone wirkt.
Bei hohen Prolaktinspiegeln kann man mit sogenannten Dopaminagonisten die Prolaktinspiegel senken und somit wieder einen stabilen Zyklus mit Eisprüngen etablieren. Bei zentralen Regelstörungen liegt das Hauptaugenmerk auf einer Korrektur der zugrundeliegenden Störungen, wie z.B. einer Essstörung. Hier hat die Psychotherapie und die psychosomatische Betreuung einen hohen Stellenwert. Aus hormoneller Sicht wird der Östrogenmangel entweder durch Gabe von Östrogenen, zyklisch kombiniert mit Gelbkörperhormonen oder durch östrogenhaltige Antibabypillen ausgeglichen. Bei Kinderwunsch kann die Eierstockfunktion direkt stimuliert werden.
Prof. Strowitzki: Es gibt die Erkenntnis, dass Zyklusstörung nicht gleich Zyklusstörung ist. Die Ursachen sind komplex, die denkbaren Therapien auch und hängen z.B. auch davon ab, ob eine Frau aktuell einen Kinderwunsch hat oder eben nicht. Geforscht wird an neuen Möglichkeiten zur direkten hormonellen Stimulation bei den verschiedensten Zyklusstörungen, zur Bewertung von Zyklusstörungen auch mit Methoden der natürlichen Familienplanung und zur Langzeitbedeutung verschiedener Zyklusstörungen für die Gesundheit der Frau.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 09.01.2024.