Prof. Mankertz:Masern sind aus mehreren Gründen eine schwerwiegende Erkrankung. Masern sind eine der ansteckendsten Krankheiten des Menschen überhaupt, deutlich ansteckender als zum Beispiel die Grippe. Einer von tausend Erkrankten stirbt an der Infektion. Masern können zu bleibenden Schädigungen z.B. der Sehkraft oder der geistigen Fähigkeiten führen. Eine Maserninfektion führt zu einer langanhaltenden Schwächung des Immunsystems. In dieser Phase ist man anfälliger für andere Infektionserreger.
Prof. Mankertz: Ja, zum Beispiel Norwegen. Dass es auch hierzulande möglich wäre, zeigt die Tatsache, dass es in Deutschland bereits gelungen ist, die Röteln zu eliminieren.
Prof. Mankertz: Im europäischen Vergleich steht Deutschland nicht schlecht da. In den letzten Jahren gab es große Ausbrüche in Nachbarländern, die bei uns bisher zwar zu kleineren Ausbrüchen, aber nicht zu länger anhaltenden Epidemien geführt haben. Das zeigt: Wir sind fast da! Wenn alle Menschen ihren Impfpass überprüfen oder in ihrer Arztpraxis nachfragen, ob sie gegen Masern geschützt sind, können wir dieser Krankheit die rote Karte zeigen.
Der Stand der Masernelimination wird durch molekulare Untersuchungen von Masernviren beurteilt. Wird keine Variante länger als 12 Monate nachgewiesen und dieser Zustand über 3 Jahre aufrechterhalten, wird die Elimination von der WHO anerkannt. Die Charakterisierung der Viren wird bei uns im Nationalen Referenzzentrum Masern, Mumps, Röteln durchgeführt und an die Nationale Verifizierungskommission NAVKO berichtet. Für 2022 wurde uns erstmals die Unterbrechung der Übertragungsketten bescheinigt. Es lohnt sich also, sich für dieses Ziel einzusetzen!
Wenn alle Menschen ihren Impfpass überprüfen oder in ihrer Arztpraxis nachfragen, ob sie gegen Masern geschützt sind, können wir dieser Krankheit die rote Karte zeigen.
Prof. Mankertz: Masern werden über die Luft durch Tröpfchen übertragen. Der Krankheitsverlauf ähnelt in der ersten Phase einer fiebrigen Erkältung. In der zweiten Phase tritt der typische Hautausschlag auf.
Prof. Mankertz: Komplikationen sind Mittelohrentzündungen, Durchfall und Lungenentzündungen. Bleibende Langzeitfolgen können geistige Behinderungen infolge einer Gehirnentzündung sein. Besonders gefürchtet ist die SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis), eine fortschreitende degenerative Veränderung des Gehirns, die sich erst Jahre nach einer Maserninfektion auftritt und unheilbar ist.
Prof. Mankertz: Die Erkrankung selbst kann nicht behandelt werden, sondern nur die Symptome, z.B. mit fiebersenkenden und schmerzlindernden Mitteln.
Prof. Mankertz: Die STIKO empfiehlt die zweifache Masernimpfung für alle Kinder. Dabei sollte die erste Impfung zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat gegeben und die zweite frühestens vier Wochen später verabreicht werden. Für nach 1970 geborene Erwachsene, die ungeimpft oder nur einmal in der Kindheit geimpft wurden oder deren Impfstatus unklar ist, wird eine Dosis MMR-Impfstoff empfohlen. Es besteht weiterhin eine Impfempfehlung für medizinisches Personal. Diese Maßnahme schützt nicht nur die Beschäftigten selbst vor Masern, sondern verhindert auch, dass sie die Infektion an Menschen weitergeben können, die durch ihre Erkrankung besonders gefährdet sind.
Die STIKO empfiehlt die zweifache Masernimpfung für alle Kinder.
Prof. Mankertz: Nach einer Infektion hat man einen lebenslangen Schutz. Bislang geht man davon aus, dass das auch für zweifach MMR-Geimpfte gilt. Obwohl es Fälle von Masernerkrankungen bei Geimpften gibt, treten diese selten auf und führen zu deutlich weniger Ansteckungen als bei Ungeimpften. Dank der Impfanstrengungen gibt es in Deutschland mittlerweile deutlich weniger Masernfälle. Der natürliche Booster-Effekt, durch den die Immunität immer wieder trainiert wird, nimmt allerdings dadurch ab. Wir beobachten die Situation aufmerksam, um festzustellen, ob es bei Geimpften zu einer Häufung von Durchbruchsinfektionen kommt. Bislang handelt es sich jedoch um seltene Ereignisse.
Prof. Mankertz: Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Und die Masernimpfung ist wie jede medizinische Maßnahme mit Risiken verbunden. Aber die Komplikationen einer Maserninfektion sind deutlich häufiger und fallen schwerwiegender aus als die nach einer Impfung. Wenn man dies berücksichtigt, fällt die Risikoabschätzung meiner Meinung nach eindeutig zugunsten der Impfung aus. Dazu kommt eine unterschiedliche Wahrnehmung: Für die Impfung wird ein Termin vereinbart und auftretende Missempfindungen werden bewusst wahrgenommen und als mögliche Nebenwirkungen eingeordnet. Im Gegensatz dazu ist das Erkrankungsrisiko abstrakt, da Eltern nicht wissen, ob und wann ihr Kind an Masern erkranken könnte.
Prof. Mankertz: Der Impfstoff ist sicher und schützt sehr gut vor einer Erkrankung. Die Impfaktivitäten gegen Masern haben seit dem Jahr 2000 nach Schätzungen der WHO 57 Millionen Menschenleben gerettet! Als Nebenwirkungen der Impfung mit dem MMR-Impfstoff sind lokale Reaktionen an der Einstichstelle wie Rötung oder Schwellung beschrieben. Darüber hinaus können Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Fieber auftreten. Bei etwa 5% der Geimpften entwickelt sich in der zweiten Woche nach der Impfung ein flüchtiges Exanthem (sogenannte Impfmasern). Diese Reaktionen sind in der Regel mild und klingen rasch wieder ab.
Der Impfstoff ist sicher und schützt sehr gut vor einer Erkrankung.
Prof. Mankertz: Menschen mit einer schweren Immunschwäche sollten nicht gegen Masern geimpft werden. Das Masernschutzgesetz schreibt vor, dass Erwachsene, die im medizinischen Bereich oder in Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten, ihre Immunität gegen Masern nachweisen müssen. Das gilt auch für Kinder, die dort betreut werden. Masern sind sehr ansteckend und verbreiten sich besonders dort, wo viele Personen zusammenkommen. Es gibt Menschen, die aufgrund von Vorerkrankungen oder ihres jungen Alters nicht geimpft werden können. Diese Menschen können aber durch eine hohe Herdenimmunität vor einer Infektion geschützt werden. Besonders wichtig erscheint mir der Schutz im medizinischen Bereich: Hier sind die Risiken besonders hoch und es muss sichergestellt sein, dass z.B. ein frisch Transplantierter oder ein Kind mit Herzfehler nicht durch ungeimpftes Personal mit Masern angesteckt wird.
Prof. Mankertz: In diesem Fall empfiehlt die STIKO die Masernimpfung und Ausstellung eines neuen Impfpasses. Es sind keine Nebenwirkungen zu befürchten, wenn man tatsächlich schon geschützt war.
Prof. Mankertz: Es gibt unglaublich viele Aspekte, an denen zu Masern geforscht wird. Masern sind interessante Viren, weil sie das Immunsystem des Wirtes massiv beeinflussen. Einerseits wird eine lebenslange Immunität aufgebaut, andererseits leiden Erkrankte unter einem zum Teil jahrelangen Gedächtnisverlust des Immunsystems, der mit einer erhöhten Anfälligkeit einhergeht. Die Impfstoffe gegen Masern wurden in den 60er Jahren entwickelt und es ist bis heute nicht bekannt, welche Genomveränderungen für den Abschwächungseffekt beim Impfvirus verantwortlich sind.
Ein weiteres Thema ist die SSPE, bei der Masernviren nach einer Infektion im Gehirn verbleiben und dieses so stark schädigen, dass die Betroffenen sterben. Wie kommt es zu diesem Infektionsverlauf? Wie verändern sich die im Gehirn eingeschlossenen Viren im Laufe der Zeit? Gibt es genetische Risikofaktoren, die für die Erkrankung prädisponieren? Lassen sich Therapien entwickeln?
Und als letztes Thema möchte ich die molekulare Epidemiologie nennen. Die zeitliche Dauer, für die Virusvarianten nachgewiesen werden können ist das entscheidende Kriterium für die Bewertung des Eliminationsstatus durch die WHO. Wir charakterisieren im Nationalen Referenzzentrum seit Jahren die in Deutschland zirkulierenden Viren und beobachten, dass die Variantenvielfalt stetig abnimmt. Woran liegt das? Und welche alternativen Methoden können wir entwickeln, um die Übertragung der Viren in ausreichender Qualität zu verfolgen? Können wir mit Hilfe von künstlicher Intelligenz herausfinden, ob der Nachweis einer neuen Virusvariante auf einer Mutation innerhalb einer Übertragungskette beruht oder durch einen Import verursacht wurde?
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 28.03.2024.