Prof. Reich Schupke: Voraussetzung für die Diagnose eines Lipödems ist das Vorliegen einer im Vergleich mit dem Stamm disproportionalen Fettgewebsvermehrung der Beine, seltener auch der Arme, bei gleichzeitig vorliegenden Beschwerden im Bereich dieses disproportionalen Fettgewebes. Bei den Beschwerden handelt es sich um schmerzhafte Empfindungen, wie Druckschmerz, Spontanschmerz, Schweregefühl. Das Lipödem findet sich fast nur bei Frauen. Eine Umfangsvermehrung der Beine und/oder Arme ohne entsprechende Beschwerden ist kein Lipödem.
Das Lipödem findet sich fast nur bei Frauen.
Prof. Reich-Schupke: Beim Lymphödem kommt es zu einem Stau von Lymphflüssigkeit im Gewebe durch ein Missverhältnis von anfallender Lymphlast und Transportkapazität. Die Ursache kann primär – also angeboren – sein oder aber sekundär in der Folge von Verletzungen, Entzündungen oder Operationen auftreten. In frühen Stadien ist das Lymphödem nur mit speziellen Untersuchungen sichtbar zu machen, bei weiterem Fortschreiten kommt es zu einer dellbaren Schwellung des Gewebes. Die Haut über dem Areal ist initial nicht verändert. Wird das Lymphödem nicht behandelt kommen weitere Komplikationen hinzu wie z.B. Verfärbungen und Schädigungen der Haut und des Unterhautgewebes sowie Austritt von Lymphe durch die Haut.
Das Lipödem hingegen ist in seiner Namensgebung etwas irreführend. Wie gerade erwähnt, handelt es sich eben nicht primär um eine Flüssigkeitsansammlung (= ein Ödem) sondern um eine Verteilungsstörung und Vermehrung von Fettgewebe an Armen und Beinen. Das Gewebe ist im Gegensatz zum Lymphödem nicht dellbar sondern eher teigig. Zusätzlich können auch Ödeme vorkommen, die aber eher durch Begleitphänomene z.B. Immobilisation, Herzschwäche etc. ausgelöst sind und nicht typischerweise zum Lipödem gehören.
Die Fettleibigkeit (= Adipositas) ist ebenfalls durch eine Vermehrung von Fettgewebe gekennzeichnet, was aber eben nicht nur an Armen und Beinen zu finden ist, sondern vor allem auch den Körperstamm betrifft. Dieses Fettegewebe ist typischerweise nicht schmerzhaft.
Im klinischen Alltag finden sich gar nicht so selten Mischformen dieser Diagnosen, also z.B. ein Lipödem bei einer Frau mit Adipositas oder ein Lipödem mit sekundärem Lymphödem.
Prof. Reich-Schupke: Leider ist die Ursache des Lipödems noch nicht final erforscht. Nach derzeitigem Kenntnisstand geht man aber davon aus, dass die weiblichen Hormone, insbesondere das Östrogen einen wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung des Lipödems haben. Der Ausbruch der Erkrankung findet sich in der Regel in Phasen hormoneller Veränderung wie der Pubertät, einer Schwangerschaft – oder seltener auch mit der Menopause.
Prof. Reich-Schupke: Die Ursache des Lipödems ist bisher nicht bekannt. Man geht von einer möglichen Vererbung aus, da sich immer wieder familiäre Häufungen finden. Aber es gibt bisher keinen bekannten Erbgang für das Lipödem. Bekannte Triggerfaktoren für eine Verschlechterung des Lipödems mit Zunahme von Beschwerden und Volumen sind vor allem zusätzliches Übergewicht bzw. Adipositas und Östrogen.
Die Ursache des Lipödems ist bisher nicht bekannt.
Typische klinische Kennzeichen des Lipödems sind:
Früher wurden auch Hämatomneigung (Neigung zu blauen Flecken) und Ödeme als Symptome des Lipödems diskutiert. Das ist aus heutiger Sicht so nicht mehr haltbar.
Prof. Reich-Schupke: Die Diagnose des Lipödems wird bisher klinisch gestellt, d.h. durch Befragung, Ansehen und Tasten des Gewebes. Außerdem werden verschiedene Körpermaße erhoben, mit denen Indizes ausgerechnet werden, um z.B. eine Adipositas zu erkennen oder auszuschließen. Weiterhin sind mitunter andere Untersuchungen sinnvoll, um Ödeme anderer Ursache auszuschließen wie z.B. eine Ultraschalluntersuchung der Beinvenen oder Blutuntersuchungen bzgl. der Nieren oder der Schilddrüse.
Prof. Reich-Schupke: In den Lehrbüchern finden sich verschiedene Stadieneinteilungen des Lipödems (siehe Tabelle 1), die aber eigentlich im klinischen Alltag nur wenig hilfreich sind, da sie zwar das äußere Ausmaß der Volumenvermehrung beschreiben, aber nichts zur Schmerzhaftigkeit aussagen.
Entsprechend aktueller Expertenempfehlung haben diese Stadien nur beschreibenden Charakter und sind nicht im Sinne einer Schweregradeinteilung zu verstehen.
Prof. Reich-Schupke: Die Einschränkungen im Alltag hängen sehr von der Ausprägung des Befundes und dem Umgang der einzelnen mit dem Krankheitsbild ab. Relevant sind für die Betroffenen v.a. die Schmerzen in den Beinen, die langes Stehen oder Laufen sowie Sport erschweren können. Berührungsempfindlichkeiten des Gewebes an Armen und Beinen können auch in der Partnerschaft oder im Umgang mit den Kindern Probleme machen. Die Umfangsvermehrungen erschweren das Gehen, verändern das Gangbild und können (vorzeitigen) Gelenkbeschwerden und -verschleiß in Knien und Hüften verursachen. Weiterhin ist es angesichts der Disproportion zwischen Stamm und Extremitäten nicht einfach, passende Kleidung zu finden.
Viele Patientinnen sind über viele Jahre mit den Beschwerden belastet und werden als „fett“ abgetan, bevor sie eine korrekte Diagnose bekommen. Solche Erfahrungen gehen meist nicht spurlos an den Betroffenen vorüber. Psychische oder psychosomatische Erkrankungen sind daher nicht selten.
Prof. Reich-Schupke: Grundlage der Therapie sollte in allen Fällen eine gesunde Ernährungsweise und regelmäßige Bewegung sein. Wassersportarten haben sich als besonders günstig erwiesen. Letztlich zählt aber jede sportliche Aktivität. Insbesondere kohlenhydratarme und proteinreiche Kost hat sich beim Lipödem bewährt, da das Gewebe offenbar auch eine gewisse Insulinempfindlichkeit aufweist.
Medizinische Kompressionsstrümpfe können die Schmerzhaftigkeit reduzieren und das Gewebe stabilisieren. Sie werden beim Lipödem meist als Flachstrickversorgung mit Teilung (z.B. Caprihose und Kniestrümpfe) angepasst. Da sie einen austrocknenden Effekt auf die Haut haben, ist eine begleitende tägliche Hautpflege ratsam.
Sind sekundäre Ödeme zu finden, kann auch manuelle oder apparative Lymphdrainage hilfreich sein. Mitunter kann die Lymphdrainage auch die Schmerzhaftigkeit im Gewebe reduzieren.
Eine Liposuktion (= Absaugung des krankhaften Fettgewebes in mehreren Sitzungen) ist vor allem dann sinnvoll, wenn die konservativen Maßnahmen keine Besserung der Schmerzen und Beschwerden gebracht haben oder die Umfangsvermehrung so ausgeprägt ist, dass das Gangbild erheblich beeinträchtigt wird.
Besteht eine begleitende Adipositas so sollte diese immer zuerst leitliniengerecht behandelt werden. Die Liposuktion ist keine geeignete Therapie der Adipositas. Begleitend bestehende psychologische oder psychosomatische Probleme sollten ebenfalls professionell behandelt werden. Östrogene und Medikamente, die Ödemneigung fördern, sollten nicht eingenommen werden.
Letztlich erfordert die Therapie des Lipödems ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstmanagement über viele Jahre bzw. lebenslang. Nach bisherigem Kenntnisstand kann man das Lipödem nicht heilen, wenngleich sich solche Versprechungen immer wieder finden.
Letztlich erfordert die Therapie des Lipödems ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstmanagement...
Prof. Reich-Schupke: Leider ist die Forschung im Bereich des Lipödems noch in den Kinderschuhen. Die Aktivitäten national wie international haben in den letzten 10 Jahren aber deutlich zugenommen. Der Fokus liegt dabei derzeit vor allem darauf, die Prozesse im Lipödemgewebe besser zu verstehen und so ggf. neue Ansatzpunkte für die Therapie zu finden.
Danke für das Interview!
Hier geht´s zum Podcast "Die Venendocs" von Prof. Dr. Stefanie Reich-Schupke und Prof. Dr. Birgit Kahle.
aktualisiert am 15.10.2024