Die orale Haarleukoplakie äußert sich in weißen, mitunter leicht erhöhten, gerieften oder gewellten Belägen, die sich entlang der Zungenränder und der Zungenunterseite ziehen. Im Gegensatz zu Verfärbungen, die durch eine Candida-Pilzinfektion entstanden sind, lassen sich die weiß-grauen Beläge einer Haarleukoplakie nicht durch Abstreifen entfernen.
Die orale Haarleukoplakie ist ein typisches Begleitsymptom einer HlV-Infektion. Etwa 80 Prozent der Patienten, die mit einer oralen Haarleukoplakie bei einem Arzt vorstellig werden, entwickeln im Verlauf der darauffolgenden beiden Jahre das volle Krankheitsbild von Aids. Aber auch Patienten mit anderen Grunderkrankungen können unter der sogenannten weißen Haarzunge leiden. Anfällig sind Personen, bei denen die körpereigene Abwehr geschwächt ist. Dazu gehören HIV-Patienten. Aber auch Situationen wie beispielsweise eine Knochenmarktransplantation oder bestimmte Erkrankungen (Autoimmunerkrankungen), in denen mit Medikamenten die Immunabwehr gezielt unterdrückt wird, können zur Bildung oraler Haarleukoplakien führen. Erstmals beschrieben wurde die orale Haarleukoplakie 1984.
Als Auslöser für die orale Haarleukoplakie gilt das 1964 von Epstein und Barr erstmals beschriebene Epstein-Barr-Virus. Übertragen werden kann das Virus durch Tröpfchen-, Kontakt- und Schmierinfektion. Auch die Übertragung im Rahmen von Transplantationen und Bluttransfusionen ist möglich. Eine Übertragung durch sexuelle Kontakte wird in Betracht gezogen, ist jedoch nicht gesichert.
Die Infektion mit dem Eppstein-Barr-Virus kann bereits im Kindesalter erfolgen, sie verläuft dann aber meist ohne Symptome. Bei Jugendlichen und Erwachsenen kommt es in einem bis zwei Drittel der Infektionen zum Ausbruch des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung mit Fieber, geschwollenen Lymphknoten, Beschwerden ähnlich einer Grippe sowie einer Rachenentzündung. Ab dem 40. Lebensjahr wird bei fast allen Menschen von dem Vorhandensein des Eppstein-Bar-Virus im Körper ausgegangen. In den allermeisten Fällen verursacht das Virus keinerlei Symptome, es verbleibt jedoch lebenslang im Körper. Es kann, ebenso wie Herpesviren, immer wieder reaktiviert werden. Bei gesunden Menschen bleibt diese Reaktivierung in der Regel folgenlos und wird vom Immunsystem zurückgedrängt. Besteht allerdings eine Immunsuppression (Schwächung des Abwehrsystems) wie beispielsweise bei HlV- oder Transplantations-Patienten, kann es zum Ausbruch unterschiedlicher Krankheiten und zur Ausbildung einer oralen Haarleukoplakie kommen. Das Epstein-Barr-Virus gehört zu einer Reihe von Viren, die Tumore auslösen können (Onkoviren oder onkogene Viren). Viren sollen für etwa 10 bis 15 Prozent aller Krebserkrankungen weltweit verantwortlich sein.
Die orale Haarleukoplakie ist in den meisten Fällen nicht behandlungswürdig und heilt von selbst wieder ab. Soll auf Wunsch des Patienten dennoch therapiert werden, verspricht die Gabe von Aciclovir Erfolg, einem virenhemmenden Wirkstoff (Virostatikum). Über einen Zeitraum von 5 bis 10 Tagen werden pro Tag mindestens fünf Mal 400 Milligramm des Präparats verabreicht. Mit dem Auftreten einer erneuten Erkrankung an der weißen Haarzunge muss im Zeitraum zwischen einem und sechs Monaten gerechnet werden. Alternative Präparate aus der Gruppe der Virostatika sind Foscarnet und Valaciclovir.
Virostatische Medikamente, wie sie erfolgreich zur Therapie von einer oralen Haarleukoplakie eingesetzt werden können, wirken hemmend auf den Vermehrungs- oder Freisetzungsprozess von Viren. Anders als Bakterien haben Viren keinen eigenen Stoffwechsel und sind dementsprechend schwieriger zu bekämpfen. Während bei einer Bakterieninfektion mithilfe geeigneter Antibiotika in den Stoffwechsel der Mikroorganismen eingegriffen und erfolgreich behandelt werden kann, konzentriert sich die Therapie bei einer Virusinfektion auf die verminderte Fortpflanzungsrate der Viren. Wie bei den Antibiotika auch, kann es bei der Einnahme virostatischer Medikamente zu Resistenzen kommen, die das Medikament wirkungslos machen. Als Nebenwirkungen der Antivirusmittel können Schwächegefühl, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Unruhe und Schlafstörungen auftreten. Auch hohes behandlungswürdiges Fieber kann auftreten.
Tritt die orale Haarleukoplakie als Begleiterkrankung einer HIV-Infektion auf, kommt es zumeist erst unter einer gezielten Therapie gegen HIV zum Abheilen (hochaktive antiretrovirale Therapie, HAART). Die in den 1990er Jahren eingeführte Therapieform setzt auf die Kombination mehrerer antiretroviraler Wirkstoffe, die nach einer HIV-Infektion den Ausbruch von Aids verhindern soll. Auch bei diesem Therapieeinsatz kann es zu Resistenzen und Nebenwirkungen kommen. Neben Schlaflosigkeit und Schwindel sind Depressionen und auch schwere Schäden an den inneren Organen, insbesondere der Leber, möglich.
aktualisiert am 15.03.2021