Die Häufigkeit von Karies bei Kindern ist in den letzten Jahren rückläufig. Seit einiger Zeit tritt jedoch ein neues Phänomen in den Vordergrund – Kreidezähne. Die Erkrankung, die als Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation beschrieben wird, macht sich durch eine Zahnschmelzverfärbung bemerkbar. Viel schlimmer ist allerdings der Zahnschmelzdefekt, der damit in Verbindung steht. Es kommt zu einem Substanzverlust – was einen erheblichen Behandlungsaufwand nach sich zieht. Für Patienten ist das Krankheitsbild MIH mit Einschränkungen in der Lebensqualität verbunden.
Im Hinblick auf die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation schlagen Kinder-Zahnärzte Alarm. Immer mehr Kinder würden unter dieser Erkrankung leiden. Grundsätzlich gibt es bezüglich des Auftretens (Inzidenz) der Kreidezähne erhebliche Unterschiede zwischen den Gegenden der Welt. Veröffentlichungen nennen Zahlen von drei Prozent (Hongkong) bis 40 Prozent (Südamerika). Für Deutschland wird – auch basierend auf den Ergebnissen der Deutschen Mundgesundheitsstudie – von 10 Prozent bis 15 Prozent ausgegangen, wobei auch hier regional die Häufigkeit schwankt. Die hohen Zahlen zum Auftreten von MIH dürfen nicht damit verwechselt werden, dass automatisch ein überdurchschnittlicher Handlungsbedarf entsteht.
Auswertungen der Deutschen Mundgesundheitsstudie legen nur für einen Bruchteil der Fälle einen umfassenden Behandlungsaufwand nahe. Bei schwerer Ausprägung der Erkrankung erfolgen Restaurationen an den betroffenen Zähnen oder das Ziehen einzelner Zähne. Besonders betroffen sind von der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation die 6-Jahres-Molaren (das sind die ersten bleibenden Backenzähne) beziehungsweise die Schneidezähne.
Ob und wie Kreidezähne behandelt werden, hängt vom individuellen Erscheinungsbild der Erkrankung ab. Der Zahnschmelzdefekt kann in der Praxis unterschiedlich ausgeprägt sein.
Eine Zahnschmelzverfärbung ist ein sichtbares Zeichen für die Mineralisationsstörung. Die farblich veränderten Stellen machen aber noch lange keine aufwendige Versorgung erforderlich. Solange es bei diesen cremeweißen bis gelb-braunen vereinzelten Verfärbungen bleibt, sind die Zähne meist nicht reizempfindlich. Schwerwiegender wird die MIH, wenn zusammenhängende Areale mit Zahnschmelzverfärbung entstehen oder es sogar zu Defekten kommt. Letztere entstehen aufgrund des geschwächten Zahnschmelzes. Dieser ist so brüchig, dass er unter der Kaubelastung einbricht oder anfälliger für Karies wird.
Eine Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation ist für alle Beteiligten eine Herausforderung. Aufgrund der Zahnschmelzdefekte reagieren die Zähne auf Temperaturreize und mechanische Reize empfindlich. Weil dies für Betroffene sehr unangenehm ist, ergeben sich Probleme sowohl für die Behandlung als auch die Zahnhygiene.
Hintergrund: Weil die Betroffenen bei einer MIH anfällig für Karies sind, muss die Zahnpflege einen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Aufgrund der Schmerzen beim Zähneputzen oder der Verwendung anderer Zahnpflege-Präparate entwickelt sich eine Vermeidungshaltung bei Kindern.
Für die Behandlung bedeutet dies, dass beispielsweise der Einsatz von Luftpustern und anderen Maßnahmen abzuwägen ist. Aufgrund der Schmerzempfindlichkeit ist von den behandelnden Zahnärzten zu überdenken, ob eine örtliche Betäubung (Lokalanästhesie) oder eine Vollnarkose sinnvoll ist. Untersuchungen zeigen, dass es bei Verzicht auf die Schmerzausschaltung zu deutlich mehr Problemen in der MIH-Behandlung – bis zu Therapieverweigerung – kommen kann.
Eine vollständige Schmerzausschaltung zu erreichen, stößt bei Kreidezähnen auf Hürden. Nach Gabe der Betäubungsmittel (Anästhetika) bleibt mitunter eine Empfindlichkeit bestehen. Diese lässt sich mit anderen Wirkstoffen, die vor der Behandlung verabreicht werden, ausschalten.
Aufgrund der Tatsache, dass MIH als Diagnose erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit existiert, sind Therapiestrategien noch nicht vereinheitlicht. Sofern die Zähne nicht restauriert werden müssen, ist die Fissurenversiegelung (Versiegelung der Rillen in den Zähnen durch Kunststoff) und Fluoridierung angezeigt.
Allgemein haben sich bei einer nur leicht ausgeprägten MIH Fissurenversiegelungen als Therapie bewährt. Im Rahmen von Kreidezähnen vom Grad 2 ist eine Restaurierung – sprich die adhäsive Füllungstherapie – die Standardmethode in der Behandlung. Erst wenn es zu starken Einbrüchen des Zahnschmelzes kommt oder aufgrund der Schmerzempfindlichkeit die Mundhygiene sehr stark behindert wird, sind Überkronungen oder die Entfernung des Zahns (Extraktion) als Maßnahme in Erwägung zu ziehen.
Darüber hinaus werden Patienten mit Kreidezähnen sehr viel engmaschiger kontrolliert als Kinder ohne MIH. Das Zeitfenster der Wiedervorstellung liegt hier regulär bei drei Monaten.
Muss der Zahnarzt eine Restauration beziehungsweise Füllungstherapie vornehmen, stellen sich individuell unterschiedliche Herausforderungen dar. Ein Faktor ist die Auswahl des passenden Füllungsmaterials. Für die vorübergehende Versorgung kommen Glas-Ionomer-Zemente in Frage, dauerhaft kann ein betroffener Zahn mit Kompositen oder Kronen versorgt werden.
Zur Herausforderung wird das Entfernen des defekten Zahnschmelzes. Leider ist die Substanz, welche von den Fehlbildungen betroffen ist, nicht immer klar von den intakten Bereichen des Zahns abzugrenzen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass so wenig wie möglich an gesunder Zahnhartsubstanz durch die Behandlung in Mitleidenschaft zu ziehen ist. Auf der anderen Seite gibt der fehlerhaft mineralisierte Zahnschmelz dem Füllungsmaterial nur unzureichend Halt, was im weiteren Verlauf zum Problem werden kann.
Lässt sich in der Diagnose erkennen, dass der Zahnschmelzdefekt ausgedehnt ist, kommen Zahnkronen ins Spiel. Diese haben den Vorteil, dass Kreidezähne auf Dauer adäquat versorgt werden können. Die Art und Weise der Krone sowie die Vorbereitung des geschädigten Zahns hängen vom individuellen Krankheitsbild ab.
Muss ein Zahn entfernt werden (Extraktion), dann zieht dies eine gemeinsame Behandlungskooperation zwischen Zahnarzt und Kieferorthopäde nach sich. Das Ziel ist eine optimale Versorgung des kindlichen Gebisses. Wird die Extraktion der Zähne zwischen dem 9. bis 11. Lebensjahr vorgenommen, ist die Prognose im Regelfall gut, dass es zu einem ausreichenden Lückenschluss kommt.
aktualisiert am 16.11.2023