Prof. Hach-Wunderle: Es stellen sich Patienten mit arteriellen, venösen und lymphatischen Durchblutungsstörungen vor. Im arteriellen Gefäßsystem geht es häufig um die Einschätzung von atherosklerotischen (kalkhaltigen) Ablagerungen an den Halsschlagadern und um die Abklärung der sogenannten Schaufensterkrankheit, der wichtigsten Durchblutungsstörung in den Beinarterien. Im Venensystem spielen Krampfadern und Thrombosen eine große Rolle. Eine Beinschwellung durch ein Lymphödem ist vergleichsweise seltener, für Betroffene aber von großer Tragweite.
Prof. Hach-Wunderle: Unser Venensystem ist ein riesiges Netz aus oberflächlichen und tiefen Venen; die beiden Venensysteme sind wiederum durch zahlreiche Verbindungsvenen miteinander verbunden. Krampfadern betreffen immer oberflächliche Venen. Eine Venenthrombose kann tiefe Venen oder oberflächliche Venen betreffen. Wenn eine Schädigung in einem der beiden Venensysteme auftritt, wird diese bestmöglich durch das andere, nicht betroffene Venensystem kompensiert. Das ist ein großer Glücksfall für alle Menschen mit Venenkrankheiten.
Krampfadern betreffen immer oberflächliche Venen. Eine Venenthrombose kann tiefe Venen oder oberflächliche Venen betreffen.
Prof. Hach-Wunderle: Schmerzen und Schwellungen, die im Laufe des Tages sowie bei langem Stehen und bei Hitze zunehmen. Bei einer Venenthrombose handelt es sich um einen Notfall, bei dem die Beschwerden meistens schlagartig, quasi aus dem Nichts heraus, auftreten. Krampfadern entwickeln sich über einen längeren Zeitraum, die Symptome nehmen im Laufe der Jahre kontinuierlich zu.
Prof. Hach-Wunderle: Krampfadern sind vorwiegend genetisch geprägt; meistens sind ein oder sogar beide Elternteile ebenfalls betroffen. Weitere Risiken sind starkes Übergewicht sowie vorwiegendes Arbeiten im Stehen und in Hitze. Auch Schwangerschaften führen zu einer Überlastung der oberflächlichen Venen, jedoch mit Rückbildung nach den Geburten. Für Venenthrombosen gibt es ebenfalls angeborene Risikofaktoren und zwar bestimmte Blutgerinnungsstörungen, aber auch Krebskrankheiten, große Operationen, eine längere Bettlägerigkeit bei gleichzeitiger Entzündungsreaktion im Körper oder die Ruhigstellung eines Beins im Gipsverband. Vollständig vermeiden lassen sich Venenkrankheiten nicht, vorbeugend wirken sich aber regelmäßige Bewegung bzw. Ausdauersport und Normalgewicht aus.
Prof. Hach-Wunderle: Die Behandlungsmethode hängt von der Lage und Größe einer Krampfader ab und reicht von einer Verödung (Einspritzen einer Flüssigkeit zum Verkleben des Gefäßes) über Katheterverfahren mit Laser oder Radiowellenenergie bis zur operativen Entfernung. Oftmals werden die Verfahren kombiniert eingesetzt. Die Auswahl der am besten geeignetsten Methode erfordert Erfahrung des untersuchenden Arztes. Die jeweiligen Vor- und Nachteile von Behandlungsverfahren sollten eingehend mit den Patienten erörtert werden, sodass eine individuelle Entscheidung möglich ist.
Prof. Hach-Wunderle: Die Standardtherapie ist: sofortige gerinnungshemmende Therapie (Antikoagulation), Kompressionstherapie des betroffenen Beins oder Arms und Mobilisation. Seit mehr als 20 Jahren werden Patienten mit Venenthrombose vorzugsweise ambulant behandelt und explizit zum Gehen aufgefordert. Vor dieser Ära erfolgte immer eine Krankenhausaufnahme mit Bettlägerigkeit. Das ist der entscheidendste Wandel im Laufe der Jahre. Darüber hinaus hat sich die Palette der blutgerinnungshemmenden Medikamente erweitert und verbessert. Heute erfolgt die Behandlung meistens mit einem sogenannten direkten Antikoagulans (DOAC, direktes orales Antikoagulan), einem Präparat, das entweder sofort oder nach einwöchigem Heparinspritzen als Tablette eingenommen werden kann.
Prof. Hach-Wunderle: Die Kompressionstherapie ist eine ganz wichtige Säule bei der Behandlung aller Venenkrankheiten. Sie entstaut das Bein und reduziert damit die Schmerzen. Je schwerer die Krankheit ausgeprägt ist, umso wichtiger ist die Kompression. Das gilt vor allem für chronische Venenstauungen und ganz besonders für das Beingeschwür, das Ulcus cruris venosum. Kein Beingeschwür heilt ohne Kompression ab.
Die Kompressionstherapie ist eine ganz wichtige Säule bei der Behandlung aller Venenkrankheiten.
Prof. Hach-Wunderle: Hormone sind beim Auftreten von Venenthrombosen von Bedeutung, also in einer Schwangerschaft und bei Einnahme von sogenannten Verhütungspillen. Vor Verordnung einer Verhütungspille erfragen Frauenärzte die Vorgeschichte nach Risiken wie eigene oder familiäre Thrombosen, bekannte Gerinnungsstörungen etc. und entscheiden dann individuell, welches Präparat zur Anwendung kommt. Bei Risikopatienten werden von vornherein Verhütungsmethoden mit nur geringem Thromboserisiko verordnet.
Prof. Hach-Wunderle: Interessante Frage. Patienten können häufig nicht spontan zwischen Krankheiten in Arterien oder in Venen unterscheiden. Und - ein Lymphödem wird häufig mit einem Lipödem verwechselt. Aber, dafür sind wir Ärzte ja da, um darüber aufzuklären. Viele Patienten scheuen den Einsatz von Kompressionsmitteln; hier können wir aber heute so viele Behandlungsmöglichkeiten anbieten, dass sich fast immer eine individuelle Lösung findet. Patienten, die blutgerinnungshemmende Medikamente einnehmen, wollen wissen, ob das lebenslang sein muss und ob es Alternativen gibt.
Prof. Hach-Wunderle: Patienten sind unterschiedlich gut aufgeklärt über ihre Krankheiten. Krankheiten wirken sich immer individuell sehr unterschiedlich aus. Kein einziger Patient lässt sich direkt mit einem anderen vergleichen. Es ist uns wichtig, dass jede/r individuell so untersucht und aufgeklärt wird, dass er seine Krankheit und dessen langfristige Auswirkungen versteht und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen kann. Bei einer ersten Vorstellung nehmen wir uns deshalb besonders viel Zeit, um diese Ziele gemeinsam umsetzen zu können.
Es ist uns wichtig, dass jede/r individuell so untersucht und aufgeklärt wird...
Prof. Hach-Wunderle: Ja, ich freue mich über alle medizinischen Fortschritte und die werden ja immer durch eingehende wissenschaftliche Untersuchungen gewonnen. Es ist zum Beispiel eine große Errungenschaft, dass Patienten mit einer höhergradigen Einengung der wichtigen Halsschlagader, der Arteria carotis interna, bei fehlenden Beschwerden, die einen nahenden Schlaganfall ankündigen, erst einmal konservativ behandelt werden sollen (Lebensstilverbesserung, Acetylsalicylsäure und Fettsenker mit LDL-Cholesterinsenkung), denn eine sofortige Operation an diesem Gefäß birgt auch ihre Risiken. Und – manchmal können wir durch die Therapie sogar eine Rückbildung der Kalkauflagerungen im Ultraschall feststellen. Die neuen blutgerinnungshemmenden Medikamente sind ein enormer Fortschritt für die individuelle Behandlung der Venenthrombose, gerade auch die Erkenntnis, dass für die meisten Betroffenen bei lebenslang notwendiger Therapie eine geringere Dosis ausreicht. Bei der Behandlung von Krampfadern sind sogenannte endovasale Verfahren wie Laser und Radiowelle und auch die Schaumverödung Meilensteine.
Prof. Hach-Wunderle: Im arteriellen Gefäßsystem gibt es (im wahrsten Sinne) bahnbrechende Behandlungsmethoden mit speziellen Kathetern, die langstreckige (über eine Strecke von 20-30 cm) Verkalkungen auffräsen können, wofür wir früher immer überbrückende Gefäßbypässe benötigt haben. Und – Erweiterungen von Schlagadern können durch individuell angefertigte Gefäßprothesen ausgeschaltet werden, beispielsweise in der Bauchschlagader oder in der Kniekehlenschlagader. Die Entwicklung neuer Techniken und auch deren Einsatz in unserem Gefäßsystem schreitet sehr rasch voran.
Vielen Dank für das Interview!
aktualisiert am 23.08.2023