Die medizinische Bezeichnung Kompartmentsyndrom steht für eine massive Druckerhöhung in einem Kompartment. Bei einem Kompartment handelt es sich um einen durch straffes Bindegewebe (Faszien) eingeschlossenen Körperbereich. Durch dieses straffe Bindegewebe kann sich der Druck bei einem Kompartmentsyndrom nicht ausdehnen. Hierdurch erleiden die Muskulatur und die Nerven in dem betroffenen Körperbereich bei Nichtbehandlung irreparable Schäden. Das Kompartmentsyndrom tritt meistens an der Wadenmuskulatur oder am Unterarm auf. Ein akutes Kompartmentsyndrom ist ein medizinischer Notfall. Die massive Druckerhöhung in einem Kompartment führt innerhalb kürzester Zeit zu den erwähnten Schäden an Muskeln und Nerven. Betroffene Patienten müssen sofort fachgerecht behandelt werden, um Schäden zu vermeiden.
Hauptursachen für ein akutes Kompartmentsyndrom sind Verletzungen durch Unfälle, wie beispielsweise Prellungen und Knochenbrüche. Besonders Mehrfachverletzungen wie ein Polytrauma oder eine Verbrennung können ein Kompartmentsyndrom auslösen. Das Kompartmentsyndrom tritt in der Regel 12 bis 36 Stunden nach einem Unfall auf. Es kommt zu einer Gewebeschwellung des betroffenen Bereichs, der den Druck im betroffenen Gewebe und in der Muskulatur in kürzester Zeit ansteigen lässt. Durch die engen Faszien in dem betroffenen Körperbereich kann sich das Gewebe nicht ausdehnen. Der entstandene Druck wirkt verstärkt auf die Muskeln, Sehnen, Nerven und Blutgefäße ein. Es entstehen schnell Schäden und das Gewebe stirbt aufgrund von Durchblutungsstörungen ab. In seltenen Fällen kann ein Kompartmentsyndrom durch einen zu eng angelegten Verband und durch eine zu eng Naht nach einer OP entstehen.
Bei Leistungssportlern kann sich ein Kompartmentsyndrom durch eine Überlastung der Muskulatur einstellen. Eine Überlastung durch Leistungssport kann zu einem Muskelödem führen, der ein Kompartmentsyndrom auslöst. Hierbei sprechen die Mediziner von einem funktionellen Kompartmentsyndrom. Unter bestimmten Umständen kann ein funktionelles Kompartmentsyndrom chronisch werden und wiederholt auftreten. Vor allem Langstreckenläufer tragen ein erhöhtes Risiko auf ein funktionelles Kompartmentsyndrom. Zudem ist das Risiko auf Sportverletzungen bei vielen Ballsportarten erhöht. Beispielsweise erleiden viele Fußballer Prellungen im Wadenbereich, die ein akutes Kompartmentsyndrom nach sich ziehen können.
Grundsätzlich ist ein Kormpartmentsyndrom in jeder Körperregion möglich, in der Gewebe durch eine Faszie (nicht elastische Hülle) umhüllt ist.
In Bezug auf die Symptome muss zwischen einem funktionellen und einem akuten Kompartmentsyndrom unterschieden werden.
Ein funktionelles (chronisches) Kompartmentsyndrom zeigt ausschließlich Symptome unter Belastung der jeweiligen Muskulatur auf. Der Sportler leidet unter starken Schmerzen im betroffenen Körperbereich. Diese Schmerzen klingen im Ruhezustand zumeist von alleine ab. Allerdings kann es bei der nächsten Belastung der Muskulatur erneut zu Schmerzen kommen.
Das akute Kompartmentsyndrom zeigt sich durch pralle und harte Schwellungen an der betroffenen Muskulatur. Der Patient leidet unter heftigen Schmerzen und unter einem erheblichen Spannungsgefühl in der jeweiligen Muskulatur. Die Schmerzen können auch durch Schmerzmittel kaum beeinflusst werden.
Ein typisches Symptom für ein Kompartmentsyndrom ist der Schmerz bei passiver Dehnung. Unter bestimmten Umständen kann es durch ein akutes Kompartmentsyndrom zu Lähmungen und zu Gefühlsstörungen kommen. Diese Gefühlsstörungen zeigen sich als Taubheitsgefühl oder Kribbeln und sind das Resultat der Druckauswirkungen auf Nerven. Die Beweglichkeit der betroffenen Extremität ist oft eingeschränkt. Motorische Ausfälle und ein Pulsverlust im betroffenen Bereich sind ebenfalls keine Seltenheit. Treten erhebliche Durchblutungsstörungen auf, kann der Patient eine blasse und kühle Haut aufzeigen.
Folgende Symptome treten bei einem akuten Kompartmentsyndrom auf:
Für die Diagnose ist in erster Linie eine umfangreiche Anamnese wichtig. Der Arzt beurteilt im Rahmen eines Gesprächs die geschilderten Symptome des Patienten. Die genaue Diagnose erweist sich bei nicht ansprechbaren Patienten als schwierig. Unter Umständen sind Unfallpatienten nicht bei Bewusstsein und können ihre Symptome nicht schildern. Derselbe Umstand tritt bei Patienten auf, die sich in Narkose befinden oder die in ein künstliches Koma versetzt wurden. In diesen Fällen muss der Arzt die Diagnose ausschließlich mithilfe der optischen Betrachtung der Extremität, einer funktionellen Untersuchung, der Temperaturmessung und einer Pulsmessung erstellen.
Des Weiteren gibt es heute spezielle Diagnoseverfahren, mit deren Hilfe der Arzt den Gewebedruck in einem bestimmten Körperbereich messen kann. Für die Druckmessung sticht der Arzt mit einer speziellen Hohlnadel in die betroffene Muskulatur. Ein an die Nadel angeschlossenes Messgerät zeigt dem Arzt den Druck im jeweiligen Muskel an. Allerdings existieren keine klaren Grenzwerte für den Gewebedruck. Somit dient die Gewebedruckmessung nur als begleitende Diagnosemaßnahme.
Bei einem akuten Kompartmentsyndrom handelt es sich um einen Notfall. Der Arzt muss umgehend die nötigen Behandlungsschritte einleiten. Bei einer unklaren Diagnose gilt es noch ähnliche Erkrankungen und Verletzungen auszuschließen. Vor allem folgende Krankheiten muss der Arzt bei unklarer Diagnose abgrenzen:
Um diese Erkrankungen und Verletzungen abgrenzen zu können, setzen die Ärzte bei einem Verdacht spezielle Diagnoseverfahren ein. Sind mithilfe der Abgrenzung alle Zweifel an einem Kompartmentsyndrom beseitigt, leiten die Ärzte umgehend die entsprechenden Behandlungen ein.
In Bezug auf die richtige Therapie muss generell zwischen einem funktionellen und akuten Kompartmentsyndrom unterschieden werden. Das akute Kompartmentsyndrom ist wie angesprochen ein Notfall. Die Ärzte müssen umgehend dafür sorgen, dass der Druck im Gewebe abnimmt. Nur auf diesem Weg lassen sich Gewebeschäden durch Durchblutungsstörungen und Nervenschäden verhindern. Ein funktionelles oder chronisches Kompartmentsyndrom kann meistens ohne OP durch Entlastung der Gliedmaße behandelt werden.
Für Patienten mit einem einem funktionellen Kompartmentsyndrom ist es ratsam, die Gliedmaße für die Ruhigstellung tief zu lagern. Zudem sollte der betroffene Bereich gekühlt werden, um der Schwellung durch die Überlastung der Muskeln entgegenzuwirken. Massagen, Wärmebehandlungen und der Einsatz von Heparinsalben werden bei einem funktionellen Kompartmentsyndrom vermieden. 48 Stunden nach Ruhigstellung der Gliedmaße kann der Patient mithilfe von elektrotherapeutischen, detonisierenden und resorptionsfördernden Maßnahmen behandelt werden. Sport und eine erneute Anstrengung der betroffenen Muskulatur gilt es, tunlichst zu vermeiden.
Das akute Kompartmentsyndrom erfordert in den meisten Fällen eine Notfall-OP. Als Erste-Hilfe-Maßnahme raten die Ärzte ebenfalls zu einer Tieflagerung der Gliedmaße und zur Kühlung der betroffenen Muskulatur. Zudem ist es wichtig, einengende Verbände oder Kleidungsstücke zu entfernen. Danach muss der Patient sofort in die Notaufnahme, wo er einer Not-OP unterzogen wird. Die Ärzte sind bei dieser OP bemüht, den Gewebedruck schnellstmöglich zu normalisieren. Nur auf diese Weise lassen sich Folgeschäden an Muskeln und Nerven vermeiden. Im Rahmen der Notfall-OP setzen die Ärzte einen Schnitt an der betroffenen Muskulatur an, welcher die Faszie in dieser Region spaltet. Dieser Schnitt wird über die gesamte Länge der vom Kompartmentsyndrom betroffenen Region durchgeführt. Die Ärzte verbinden die Wunde nach der Spaltung locker zusammen und die Schnittwunde verbleibt für bestimmte Zeit unverschlossen. Erst wenn der Gewebedruck abgenommen hat, vernähen die Ärzte die OP-Wunde. Bestehen erhebliche Gewebeschäden, dann wird im Rahmen dieser Operation abgestorbenes Muskelgewebe entfernt.
Bei zu später Behandlung eines Kompartmentsyndroms können sich massive Gewebeschäden an der betroffenen Muskulatur zeigen. In diesen Fällen müssen die Ärzte großflächige Amputationen am Muskel vornehmen, um das abgestorbene Gewebe zu entfernen. In einigen schwerwiegenden Fällen ist eine Amputation des jeweiligen Gliedmaßensegements notwendig.
Die Heilaussichten eines Kompartmentsyndroms hängen stark von den bestehenden Gewebeschäden und von einer schnellen Behandlung ab. Vor allem das akute Kompartmentsyndrom muss umgehend behandelt werden. Durch den starken Druck im Gewebe wird die Blutzufuhr beeinträchtigt, was in kurzer Zeit zu Gewebeschäden an den Muskeln führt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich der Patient mit akutem Kompartmentsyndrom umgehend in eine fachgerechte Behandlung begibt. Sofern der Gewebedruck rechtzeitig vermindert wird, stellt sich schnell wieder eine normale Durchblutung des Gewebes ein. In diesem Fall sind die Heilungschancen gut. Das Muskelgewebe erholt sich schnell vom Kompartmentsyndrom und eine vollständige Heilung ist möglich.
Wird ein Kompartmentsyndrom nicht rechtzeitig behandelt, stirbt das betroffene Muskelgewebe in kurzer Zeit ab und es bildet sich totes Gewebe. Dieser Vorgang wird Nekrose genannt. Die Folgen einer Nekrose sind Vernarbungen im Muskelgewebe. Es kann zu einer vollständigen Versteifung der betroffenen Gliedmaße kommen. Entsteht durch das Kompartmentsyndrom starker Druck auf wichtige Nerven, führt dies eventuell zu dauerhaften Nervenschäden. Lähmungserscheinungen in der Gliedmaße können die Folge sein. Schäden an Muskeln und Nerven durch ein zu spät behandeltes Kompartmentsyndrom sind zumeist irreparabel. Der Patient leidet daraufhin dauerhaft an Versteifungen, Bewegungseinschränkungen oder Lähmungen. Physiotherapien oder eine OP können unter Umständen die Mobilität in einem begrenzten Maße verbessern.
In einem besonders schweren Fall kann ein akutes Kompartmentsyndrom eine lebensbedrohliche Situation für den Patienten auslösen. Durch eine großflächige Nekrose am Muskelgewebe kann der Patient ein sogenanntes MSOF (multiple system organ failure) erleiden. Hierbei handelt es sich um einen multiplen Organausfall aufgrund der hohen toxischen Belastung durch große Mengen von abgestorbenem Gewebe im Körper. Von diesem multiplen Organversagen können Niere, Leber, Lunge und Darm betroffen sein. Zumeist führt ein MSFO zum Tod des Patienten. In Hinblick dessen ist es umso wichtiger, ein akutes Kompartmentsyndrom umgehend fachgerecht zu behandeln und den Druck im Gewebe zu reduzieren.
Die vorbeugenden Maßnahmen in Bezug auf ein Kompartmentsyndrom zielen grundlegend auf die Vermeidung von hohem Druck im Gewebe bei Verletzungen ab. Um einem akuten Kompartmentsyndrom vorzubeugen, muss bei Verletzungen dafür gesorgt werden, dass Durchblutungsstörungen umgehend fachgerecht versorgt werden. Hierfür sollte der Betroffene die Extremität vorerst hoch lagern. Hierdurch kann das Blut aus der Extremität besser abfließen und es kommt zu keinem Blutrückstau. Ferner ist es wichtig, dass der Arzt Maßnahmen für die Blutstillung durchführt, sofern aus der Verletzung Blutungen resultieren. Die Funktion der Nerven und der Gefäße gilt es regelmäßig zu kontrollieren. Sofern Blut in das umliegende Gewebe einläuft oder sich Gewebeflüssigkeit ansammelt, sollte eine medizinische Drainage gelegt werden. Über diese Drainage kann das Blut oder die Gewebeflüssigkeit abfließen und der Druck unter der Faszie wird normalisiert. Muss der Arzt nach einem Unfall einen Verband anlegen, sollte dieser nicht zu stramm anliegen. Der Verband darf die Muskulatur nicht einschnüren.
Synonym: Logensyndrom
aktualisiert am 12.08.2021