Prof. Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel ist laut Weltgesundheitsorganisation die größte Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Er ist besonders gefährlich, weil er globale Auswirkungen auf das System Erde hat. Diese Auswirkungen betreffen auch den Menschen als System. Man kann sogar sagen, dass der Klimawandel uns in vielerlei Hinsicht krank macht. Viele Krankheiten entstehen durch den Klimawandel neu oder werden - im wahrsten Sinne des Wortes - verstärkt.
Prof. Traidl-Hoffmann: Die größte Herausforderung des Klimawandels ist die Hitze. Sie spielt vor allem deshalb eine zentrale Rolle, weil sie ganze Regionen der Erde unbewohnbar macht. Menschen können dort unter diesen extremen Bedingungen nicht mehr leben. Betrachtet man diese Entwicklung in Deutschland, so zeigt sich, dass Hitze nicht nur zu neuen Krankheiten führt, sondern auch bestehende Krankheiten verschlimmert. Besonders gefährdet sind Menschen, die im Freien arbeiten, zum Beispiel auf Straßen oder Dächern. Sie sind den hohen Temperaturen oft nicht gewachsen und erleiden einen Hitzekollaps. Das bedeutet, dass vorher gesunde Menschen plötzlich krank werden oder sogar sterben können.
Hinzu kommen Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Asthma, neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Allergien. Bei diesen Patienten verschlimmern sich die Symptome bei Hitze. Es gibt also nicht nur neue Krankheitsbilder, die durch Hitze ausgelöst werden, wie z.B. Herzinfarkte bei vorher gesunden Menschen, sondern auch eine Verschlimmerung chronischer Erkrankungen.
Die größte Herausforderung des Klimawandels ist die Hitze.
Prof. Traidl-Hoffmann: Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle nehmen aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Hitze zu. Gleichzeitig haben Allergien aufgrund der verursachten Umweltveränderungen durch den Klimawandel massiv zugenommen. Eine der Hauptursachen für viele Allergien sind Pollen. Durch die Klimaerwärmung hat sich die Pollensaison verändert: Die Pollen fliegen früher im Jahr, bleiben länger in der Luft, sind in höherer Konzentration vorhanden und auch aggressiver. Außerdem gibt es neue Pollenarten. Das hat zur Folge, dass Allergiker stärker leiden. Außerdem werden immer mehr Menschen allergisch, weil sie schon in jungen Jahren mit diesen Pollen in Kontakt kommen und es ist bekannt, dass dies das Allergierisiko erhöht.
Prof. Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel führt zu einer deutlichen Zunahme von Allergien. Unsere europäischen Daten der letzten 20 bis 30 Jahre zeigen, dass die Pollensaison länger wird, was in direktem Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte steht. Es gibt kaum noch pollenfreie Tage. Hinzu kommt, dass Pflanzen, vor allem Bäume wie Birken und Gräser, in Stresssituationen wie z.B. bei Trockenheit mehr Pollen produzieren. Auch die Pollen selbst werden aggressiver, da sie Abwehrproteine bilden. Diese Eiweiße lösen beim Menschen Allergien aus, dienen den Pollen aber als Immunsystem, was darauf hindeutet, dass auch die Pollen unter Stress stehen und beim Menschen stärkere allergische Symptome hervorrufen.
Hinzu kommt das Auftreten neuer Pollenarten, insbesondere des beifußblättrigen Traubenkrauts, auch Ambrosia genannt. Diese Pflanze, die sich zunehmend in Europa ausbreitet, produziert besonders allergene Pollen, die tiefer in die Lunge eindringen und starke asthmatische Reaktionen auslösen können. Der Klimawandel wirkt sich also eindeutig auf die Zunahme von Allergien aus, und es wird erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt. Die Europäische Akademie für Allergie und klinische Immunologie geht sogar so weit zu prognostizieren, dass bis 2050 die Hälfte aller Europäer allergisch sein wird.
Der Klimawandel führt zu einer deutlichen Zunahme von Allergien.
Prof. Traidl-Hoffmann: Die psychische und mentale Gesundheit wird durch den Klimawandel stark beeinflusst. Zum einen führt der Klimawandel zu einer Belastung des Nervensystems, die das Auftreten von chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Demenz und Alzheimer begünstigt. Steigende Temperaturen verschlimmern diese Erkrankungen. Gleichzeitig wirkt sich der Klimawandel indirekt auf die Psyche der Menschen aus. Viele entwickeln Zukunftsängste und fragen sich, ob es angesichts der Klimakrise noch verantwortbar ist, Kinder in die Welt zu setzen. Wie wird ihre Zukunft aussehen? Solche Ängste können zu Unzufriedenheit und sogar zu Depressionen führen. Für diese spezifische Angst vor den Folgen des Klimawandels gibt es den Begriff "Solastalgie". Dabei handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine weit verbreitete Sorge um die Zukunft. Der fortschreitende Verlust der Artenvielfalt, das Absterben von Bäumen und Pflanzen, all das trägt zu diesen Ängsten bei. Der Klimawandel hat somit einen erheblichen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Menschen.
Prof. Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel wirkt sich je nach Geschlecht und Alter unterschiedlich aus. Noch einmal das Beispiel Hitze: Hier sind besonders verletzliche Gruppen betroffen. Dazu gehören insbesondere Kleinkinder sowie ältere und kranke Menschen. Das heißt, sowohl sehr junge als auch ältere Menschen sind besonders von Hitze betroffen.
Auch bei den Allergien ist die Situation besorgniserregend. Ein Kind, das heute geboren wird, hat ein sehr hohes Risiko, im Laufe seines Lebens eine Allergie zu entwickeln. Bereits heute zeigen 30 bis 40 Prozent der Kinder eine Neigung zu Allergien. Diese Kinder werden durch die veränderten Umweltbedingungen besonders sensibilisiert, was das Allergierisiko erhöht.
Andere Krankheiten, die durch den Klimawandel und die Veränderung der Ökosysteme verursacht werden, sind Krankheiten, die durch Vektoren übertragen werden, wie z.B. durch Mücken und Zecken. Diese Krankheiten betreffen alle Altersgruppen und Geschlechter gleichermaßen. Es gibt hier keine Unterschiede.
Prof. Traidl-Hoffmann: Das Problem bei Hitze ist nicht ein einzelner heißer Tag. Solche Tage können von vielen Menschen noch kompensiert werden. Die eigentliche Herausforderung, vor allem für ältere Menschen und Kleinkinder, sind lang anhaltende Hitzeperioden. Mit jedem weiteren Tag über 35 oder gar 40 Grad sinkt die Fähigkeit der Menschen, mit der Hitze umzugehen. Das Schlafverhalten verschlechtert sich und viele Menschen trinken zu wenig. Dies führt vor allem bei Menschen mit Nierenerkrankungen zu gesundheitlichen Problemen. Nach mehreren Tagen extremer Hitze kann es vorkommen, dass Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Die eigentliche Gefahr sind also die Hitzeperioden. Je länger sie andauern, desto mehr Menschen erkranken oder sterben sogar. Erschreckend ist, dass im Jahr 2022 in Europa 70.000 Menschen an den Folgen der Hitze gestorben sind. Das sind alarmierende Zahlen, über die man nachdenken muss.
Die eigentliche Herausforderung, vor allem für ältere Menschen und Kleinkinder, sind lang anhaltende Hitzeperioden.
Prof. Traidl-Hoffmann: Nein, der Mensch kann sich nicht an extreme Hitze anpassen. Das zeigt sich daran, dass es bereits heute Regionen auf der Erde gibt, die unbewohnbar sind. Prognosen gehen davon aus, dass diese Regionen zunehmen werden. Das bedeutet zwangsläufig, dass Menschen aus diesen Gebieten in lebenswertere Regionen abwandern müssen. Wir können uns nicht an Temperaturen von 50 Grad anpassen. Deshalb müssen wir dringend Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu begrenzen oder zumindest abzuschwächen, wenn wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben wollen.
Prof. Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel gefährdet unsere Gesundheit. Es wird immer wärmer, besonders in Deutschland. Tatsächlich haben wir in Deutschland das Ziel des Temperaturanstiegs bereits überschritten. Es wird prognostiziert, dass es in Deutschland durchschnittlich 4°C wärmer wird. Es liegt auf der Hand, dass wir uns anpassen müssen.
Ein zentraler Aspekt der Anpassung ist ein gesunder Lebensstil. Gesundheit fördern wir durch regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung. Gerade bei der Ernährung kann es zu sogenannten "double profit"-Situationen kommen. Wenn wir uns zum Beispiel überwiegend pflanzlich ernähren, profitieren sowohl wir als auch unser Planet. Das Gleiche gilt, wenn wir das Auto stehen lassen und stattdessen das Fahrrad nehmen: Das tut nicht nur unserer körperlichen Gesundheit durch Bewegung gut, sondern auch der Umwelt. Nicht zu rauchen ist ohnehin gut für uns und hat auch positive Auswirkungen auf unsere Umwelt.
Es gibt also viele Möglichkeiten, wie wir etwas für unsere Gesundheit tun und gleichzeitig zum Wohlergehen unseres Planeten beitragen können. Dieses Konzept wird als "planetare Gesundheit" bezeichnet. Denn eines ist klar: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Besonders motivierend ist dabei die oben beschriebene doppelte Gewinnsituation.
Prof. Traidl-Hoffmann: Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Als Sonderbeauftragte des Bayerischen Gesundheitsministeriums für Klimaresilienz und Prävention stehen für mich vor allem zwei Punkte im Vordergrund:
Erstens: Es ist wichtig, die Menschen auf sich verändernden Umweltbedingungen vorzubereiten. Das Gesundheitswesen muss in allen Disziplinen sensibilisiert werden. Wir müssen uns auf mehr und neue Krankheiten einstellen und unsere Patienten durch Frühwarnsysteme und medikamentöse Anpassungen in Hitzeperioden schützen. Dieses Thema fällt unter den Begriff "Klimaresilienz" oder "Umweltresilienz".
Zweitens: Der Gesundheitssektor selbst verursacht 5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das bedeutet, dass wir im Sektor selbst eine große Verantwortung tragen. Der Großteil dieser Emissionen entsteht vor den Krankenhäusern - von der Anlieferung der Waren über die Auswahl der Produkte bis hin zur Art und Weise, wie die Mitarbeiter zur Arbeit kommen. Viele Menschen arbeiten im Gesundheitswesen, und wenn alle mit dem Auto zur Arbeit fahren, ist das nicht nachhaltig. Alternative Mobilitätsformen wie Bahn und Fahrrad können hier Abhilfe schaffen und die CO2-Bilanz verbessern.
Zusammenfassend sind zwei Dinge entscheidend: Erstens die Stärkung der Klimaresilienz und der Prävention, um Menschen vor Krankheiten zu schützen oder gar nicht erst zu Patienten werden zu lassen. Zweitens die Priorisierung von Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor, um nicht selbst zur Verstärkung des Klimawandels beizutragen. Das ist ein zentrales und wichtiges Thema.
Prof. Traidl-Hoffmann: Forschung im Bereich Klimaresilienz und Klimawandel ist von zentraler Bedeutung. Dabei reicht es nicht aus, sich nur auf den Klimawandel zu konzentrieren. Neben dem Klimawandel ist der Verlust der biologischen Vielfalt ein weiteres globales Problem, mit dem wir konfrontiert sind. Das Verständnis der molekularen Mechanismen ist ein zentraler Punkt dieser Forschung. Es geht darum zu verstehen, was auf mikroskopischer Ebene in der Zelle passiert, wenn sie Hitze oder Schadstoffen ausgesetzt ist. Wie wirken sich diese Faktoren auf den Menschen aus und führen letztlich zu Krankheiten? Ich nenne das die molekularen Mechanismen der Mensch-Umwelt-Interaktion. Hier besteht dringender Forschungsbedarf. Ein wichtiges Instrument dafür sind Beobachtungsstudien. In Augsburg führen wir zum Beispiel eine Panelstudie durch, bei der wir Menschen ein ganzes Jahr lang "begleiten". Sie nutzen eine App, tragen zum Teil Sensoren und verwenden persönliche Sampler. Damit messen sie, wo immer sie sind, zum Beispiel die Pollenkonzentration. Indem wir Umweltdaten mit körperlichen Reaktionen verknüpfen, können wir besser verstehen, wie die Umwelt den Menschen beeinflusst, sei es in Bezug auf Krankheiten oder auch in Bezug auf gesundheitsfördernde Effekte. Mit diesem Wissen können wir Risikofaktoren identifizieren und Präventionsmaßnahmen entwickeln, um diese zu minimieren. Genau das ist der Prozess, der in unserem Institut für Umweltmedizin abläuft.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 06.12.2023.