Prof. Blum: Kachexie kann man als Auszehrung übersetzen. Es geht um Muskelverlust bei schwerer Krankheit, der sich in einem Gewichtsverlust äußern kann. Dieser Muskelverlust kann mit einer eingeschränkten Funktion und Lebensqualität einhergehen. Dazu kann auch ein Appetitverlust kommen, dann spricht man manchmal vom Anorexie-Kachexie Syndrom.
Prof. Blum: Früher hat man gedacht, dass ein Tumor den Patienten auffrisst, also dass er all die Nährstoffe für sich beansprucht. Heute weiß man, dass eine Kachexie durch einen Entzündungszustand im Körper ausgelöst wird. Es entsteht eine Art Sturm an Entzündungsfaktoren, die Symptome auslösen, wie etwa bei einer Grippe, wo man auch unter Appetitverlust und Schlappheit leidet. Zudem kommt noch dazu, dass Abbauvorgänge beschleunigt und Aufbauvorgänge im Körper gehemmt werden. Der Grundumsatz ist dabei erhöht. Zusammen mit einer erniedrigten Zufuhr an Nährstoffen ist dies doppelt schädlich für die Patienten. Bei Kachexie sprechen wir von einem multifaktoriellen Syndrom. Es gibt also verschiedene ursächliche Faktoren, die zusammenspielen und vieles ist auch noch unbekannt.
Heute weiß man, dass eine Kachexie durch einen Entzündungszustand im Körper ausgelöst wird.
Prof. Blum: Muskelschwäche, Müdigkeit - wir sprechen dann von Fatigue - Appetitverlust, oft auch mit Geruchs- und Geschmacksstörungen und frühes Sättigungsgefühl können die Patienten sehr belasten. Aber auch die Veränderung des Köperbildes, dass Patienten krank und ausgezehrt aussehen, kann sehr belastend seid.
Prof. Blum: Häufig kommt Kachexie bei Tumorerkrankungen vor, besonders bei Lungenkrebs oder Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Tracktes, wie zum Beispiel Bauchspeicheldrüsenkrebs. Kachexie kann aber auch bei anderen schweren Krankheiten wie schweren Lungenerkrankungen oder Herzschwäche auftreten.
Prof. Blum: Bei Tumorerkrankungen entsteht im Körper oft eine Entzündungsreaktion, die die Kachexie mit auslöst. Zudem kommt noch, dass Krebspatienten durch ihre Krankheit, aber auch durch die Krebsbehandlung, unter Symptomen leiden können, die die Nahrungsaufnahme zusätzlich hindert. Von Entzündungen der Mundschleimhaut bis hin zu schwerer Verstopfung, aber auch Schmerzen oder Depression.
Prof. Blum: Zuerst soll die Grunderkrankung behandelt werden. Ist dies möglich und erfolgreich, verschwindet oft auch die Kachexie. Bei einigen oder fortgeschrittenen Krebserkrankungen ist das leider nicht immer der Fall und manchmal verschlechtert die Krebsbehandlung auch die Kachexie, wenn Chemotherapien zum Beispiel den Muskelabbau und die Fatigue verstärken. Zweitens ist eine ausreichende Ernährung wichtig! Da geht es vor allem um eine ausreichende Zufuhr von Energie, also Kalorien und Eiweißen. Die Bilanz muss stimmen. Drittens ist Bewegung wichtig, da eine Kachexie ein Syndrom des Muskelabbaus ist, soll eine Bewegungstherapie erfolgen, denn das ist der besten Stimulus zur Erhaltung der Muskelmasse. Ganz wichtig ist auch die psychologische Begleitung dieses belastenden Syndroms.
Zuerst soll die Grunderkrankung behandelt werden.
Prof. Blum: Die Prognose der Kachexie ist, wie zuvor gesagt, von der Prognose der Grunderkrankung abhängig, aber es ist eben auch umgekehrt. Gerade bei der Behandlung von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen ist neben der Krebstherapie die Ernährung und Bewegung essentiell. Diesen beiden Faktoren wird leider oft nicht genügend Beachtung geschenkt. Bis zu 50% der Krebspatienten versterben an oder mit schwerer Kachexie. Es ist aber zu betonen, dass am Lebensende eine Kachexie manchmal nicht mehr behandelbar ist und es darum geht, die Symptome zu lindern. Sterbende soll man nicht mit künstlicher Ernährung oder Bewegungsprogrammen belasten. Aber früher im Krankheitsverlauf, also während einer Tumortherapie, ist eine Ernährungs- und Bewegungstherapie essentiell.
Prof. Blum: Die Ernährung soll bedarfsdeckend sein, wobei der Bedarf bei schwerer Krankheit erhöht ist. Wie zuvor angesprochen, geht es um eine ausreichende Zufuhr von Energie, also Kalorien und Eiweißen. Es ist also nicht angezeigt zu „gesund“, wie etwa nur Salat und Früchte zu essen, sondern es muss geschaut werden, dass genug gegessen wird. Es darf ruhig recht deftig gegessen werden, mit Fleisch und Fisch, Rahm und Quark und auch Süßigkeiten sind erlaubt. Vegetarisch ist auch möglich, aber da muss man besonders auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten. Damit genügend aufgenommen werden kann, lohnt es es sich oft, auch Zwischenmahlzeiten einzuplanen. Manchmal sind auch Proteindrinks hilfreich. Meist lohnt sich die Begleitung durch einen Ernährungsberater.
Prof. Blum: Eine Kachexie kann schwere Auswirkungen haben, etwa auf das Ansprechen von Tumortherapien, auf die Lebensqualität und das Überleben. Geschmacks- und Geruchstörungen und auch die Störung des Appetits können sehr belastend sein, auch für die Angehörigen. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass Patienten Lust auf ein Gericht haben, doch sobald sie den Geruch wahrnehmen, diese Lust schlagartig vergeht. Das kann schwierig sein, für den Partner, der liebevoll gekocht hat. Solche Situationen können zu Spannungen führen. Auch die Körperbildveränderung: dass man nicht mehr wie früher oder krank aussieht, kann sehr bedrücken. Früher haben wir oft über die Belastung durch Gewichtsverlust gesprochen. Bei einer allgemeinen Zunahme von Übergewicht in der Bevölkerung steht das heute etwas weniger im Vordergrund, denn zu Beginn wird Gewichtsverlust oft begrüßt, aber wenn er größer wird, dann kann das natürlich sehr belastend sein. Auch Müdigkeit und Kraftlosigkeit machen den Patienten schwer zu schaffen.
Geschmacks- und Geruchstörungen und auch die Störung des Appetits können sehr belastend sein, auch für die Angehörigen.
Prof. Blum: Das Verständnis der Kachexie hat sich gewandelt. Das beginnt mit einer gemeinsamen Definition, damit klar ist, dass man vom Gleichen spricht. Die multimodale Therapie, zusammengesetzt aus einer Therapie der Grunderkrankung, Ernährung und Bewegung und psychosozialer Begleitung hat sich etabliert. Zudem ist eine stadienabhängige Behandlung neu. Diese beinhaltet Prävention, bevor sich das Vollbild entwickelt. Dann strebt man eine multimodale Behandlung an mit dem Ziel der Linderung der Symptome sowie der Belastung im Endstadium.
Prof. Blum: Einerseits forscht man weiter an der Diagnostik, also wie man Muskelverlust zum Beispiel in einem Computertomogramm früh erkennen kann. Ein weiteres Forschungsfeld ist natürlich die Therapie. Es werden Medikamente zur Appetitsteigerung, zum Muskelaufbau und zur Behandlung der Entzündung geprüft. Eine wichtige Frage ist auch, wie solche Medikamente in die multimodale Therapie integriert werden können, denn durch die verschiedenen Ursachen ist es unwahrscheinlich, dass ein Medikament alleine die Kachexie heilen kann. Ein weiteres Forschungsgebiet ist die bessere Einteilung der Stadien der Erkrankung. In der Kachexie-Forschung gibt es also noch viel zu entdecken.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 05.04.2024.