Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist ein Überbegriff für rheumatische Erkrankungen unbekannter Ursache (idiopathisch) von Kindern unter 16 Jahren, die länger als sechs Wochen andauern. Leiden Kinder über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen unter Gelenkschmerzen, muss auch an Rheuma gedacht werden
Es gibt sieben Untergruppen der JIA, allen gemeinsam ist die Arthritis (Gelenksentzündung). Gelenkschmerzen, die in Verbindung mit der Gelenkentzündung auftreten, werden von Kinder anders wahrgenommen als von Erwachsenen. Häufig fallen Bewegungsunlust, morgendliche Steifheit, Schonhaltung oder geschwollene, warme Gelenke auf.
Je nach betroffenem Gelenk und begleitenden Symptomen unterscheidet man:
Die Ursachen für die Entstehung der juvenilen idiopathischen Arthritis (früher auch juvenile rheumatoide Arthritis) bei Kindern und Jugendlichen sind bisher nicht eindeutig geklärt. Vererbung scheint eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hauptauslöser ist wahrscheinlich eine Autoimmunreaktion. Das heißt, der Körper greift eigene Körperstrukturen an.
Zu Grunde liegt eine Infektion mit Erregern, deren Antigene den körpereigenen Gewebeantigenen ähneln. Liegen Fehler im Abwehrsystem vor, werden daraufhin körpereigene Strukturen, in diesem Fall die Gelenkinnenhaut, durch das Immunsystem angegriffen. Dadurch kommt es zur Entzündung der Gelenkinnenhaut. Diese schwillt an und produziert vermehrt Gelenkflüssigkeit. Bei längerem Bestehen werden auch Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder angegriffen. Die Erkrankung verläuft meist chronisch, daher besteht die Gefahr, dass Gelenke durch die Entzündung dauerhaft geschädigt werden.
Bei allen sieben Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) ist das Hauptsymptom die Gelenksentzündung (Arthritis). Allerdings werden die Gelenkschmerzen von Kindern anders wahrgenommen als von Erwachsenen. Anzeichen sind Bewegungsunlust, humpeln oder geschwollene, warme Gelenke. Um die Schmerzen zu lindern, wird eine Schonhaltung eingenommen, die unbehandelt zu bleibenden Gelenksfehlstellungen und Gelenkschäden führen kann. Auch Wachstumsstörungen können je nach Alter des Patienten und betroffenem Gelenk auftreten. In einigen Fällen führt dies zum Kleinwuchs. Ein weiteres Symptom, das sich erst im frühen Erwachsenenalter ausprägt, ist die geringere Knochendichte, die zur Osteoporose (Knochenbrüchigkeit) führt.
Je nach Untergruppe fallen weitere Symptome auf.
Die systemische („den ganzen Körper betreffend“) juvenile idiopathische Arthritis (SJIA) betrifft den ganzen Körper. Sie beginnt mit Fieber und Hautausschlag, die Gelenksentzündung tritt häufig erst nach einigen Wochen auf. Betroffen sind meist Kinder im Alter von acht Jahren.
Bei einer Oligoarthrits (OA) sind nur wenige (ein bis vier) große Gelenke entzündet. Zusätzlich kommt es oft zur Entwicklung einer chronischen Iridozyklitis (Augenentzündung, betroffen sind Linse und Ziliarkörper). Sie tritt im Kleinkindalter von zwei bis sechs Jahren auf. Mädchen sind häufiger betroffen, daher wird sie auch als Kleinmädchenform bezeichnet.
Polyarthritis (PA) bedeutet, dass viele Gelenke (mehr als fünf) betroffen sind. Bei der seronegativen Form kann kein Rheumafaktor nachgewiesen werden (Autoantikörper gegen Immunglobuline). Es bricht im Vorschulalter und häufiger bei Mädchen auf.
Bei der seropositiven Polyarthritis ist ein Rheumafaktor im Blut nachweisbar. Sie tritt erst im Jugendalter auf und betrifft ebenfalls häufiger Mädchen. Wie bei der seronegativen Polyarthritis sind mehr als fünf Gelenke betroffen. Häufig sind zunächst kleine Gelenke (zum Beispiel die Fingergelenke) betroffen.
Arthritis mit Neigung zur Enthesitis (auch Enthesitis-assoziierte Arthritis; EAA) bedeutet, dass außer den Gelenken auch Sehnenansätze entzündet sind (Enthesitis). Schmerzen treten nachts oder früh morgens und nach Belastung auf, zum Beispiel an der Ansatzstelle der Achillessehne an der Ferse, an Sehnenansätzen der Kniescheibe, an Becken oder Rücken. Gelenksentzündungen sind häufig an den Beinen, Schulter und Kiefergelenken. Später ist der Übergang von Becken- und Lendenwirbelsäule betroffen. Krankheitsbeginn ist meist erst im Schulalter. Jungen erkranken häufiger.
Bei der Psoriasisarthritis (PsoA) leiden Kinder unter einer Entzündung weniger oder mehrerer Gelenke und zeitgleich oder zeitlich versetzt unter Schuppenflechte (Psoriasis). Die Schuppenflechte zeigt sich oft an Haaransatz, an der Streckseite der Gelenke, die einer starken Belastung ausgesetzt sind oder in der Nabelregion. Typische Symptome sind die Tüpfelung von Fingernägeln, auch in Kombination mit Entzündung aller Gelenke dieses Fingers.
Zur undifferenzierten Arthritis zählen Rheumaarten, die sich keiner der Untergruppen zuordnen lassen.
Gelenkschmerzen werden durch Kinder anders wahrgenommen oder nicht als solche beschrieben. Eltern fallen Bewegungsunlust (wollen häufiger getragen werden), Morgensteifigkeit, Schonhaltung oder Müdigkeit auf. Um den Schmerzen auszuweichen, werden Entlastungshaltungen eingenommen. Je nach betroffenem Gelenk humpeln Kinder oder haben Schwierigkeiten beim Essen, Anziehen oder Schreiben. Das Gelenk kann geschwollen oder überwärmt sein.
Die Diagnose ist letztendlich eine Ausschlussdiagnose. Zahlreiche Erkrankungen erscheinen mit ähnlichen Symptomen und müssen zunächst ausgeschlossen werden.
Zunächst wird der Kinderarzt eine ausführliche Befragung der Eltern (Dauer der Erkrankung, Symptome) und eine gründliche klinische Untersuchung des kleinen Patienten durchführen. Grundsätzlich müssen alle Gelenke untersucht und ihre Funktion getestet werden.
Eine Blutuntersuchung wird durchgeführt, um andere Erkrankungen auszuschließen. Manchmal können sie Hinweise auf Rheuma geben (Rheumafaktor häufig allerdings nicht nachweisbar), dienen aber in der Regel nur der Bestätigung der klinischen Befunde.
In der Ultraschalluntersuchung der Gelenke können Entzündungszeichen wie Flüssigkeit (Gelenkserguss), Sehnenansatzentzündungen oder Veränderung der Knochen- und Knorpeloberfläche erkannt werden.
Im MRT (Magnetresonanztomographie) werden Gelenke untersucht, die mit Ultraschall nicht erfasst werden können (zum Beispiel Kiefergelenk, Fuß- und Handwurzelknochen).
Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen sind zum Beispiel:
Wenn Patienten bereits seit mehr als sechs Wochen unter den Beschwerden einer Gelenksentzündung leiden, muss Rheuma immer als Verdachtsdiagnose in Betracht gezogen werden.
Die reaktive Arthritis tritt im Rahmen von Infektionen anderer Organe (Magen-Darm- oder Atemtrakt) durch abwandernde Krankheitserreger auf, ist aber bei Beschwerden über einen so langen Zeitraum eher auszuschließen.
Zu früheren Zeitpunkten helfen Blutuntersuchungen (Blutbild, Entzündungswerte, Rheumafaktor etc.) und bildgebende Verfahren (Röntgenuntersuchungen zum Ausschluss von Knochenveränderungen, Brüchen, Tumoren) bei der Diagnose.
Bei der gefürchteten systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis kommt es zu täglichen Fieberschüben besonders in den Abendstunden über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen. Die Gelenksentzündung folgt meist erst im Anschluss, was die Diagnose erschwert. Manchmal tritt an Armen und Beinen ein lachsfarbener Hautausschlag auf und könnte richtungsweisend sein. Besonders hier ist ein gründlicher Ausschluss aller fieberhaften Allgemeinerkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausschlaggebend.
Ziel der Behandlung ist es, die Schmerzen zu lindern, Entzündungsprozesse aufzuhalten, Gelenkfunktionen wieder herzustellen und Folgeschäden an Augen, Gelenken oder inneren Organen zu verhindern. Die Behandlung richtet sich nach der jeweiligen Unterklasse der juvenilen idiopathischen Arthrtitis und wird speziell an den Patienten angepasst. Physio- oder Ergotherapeuten, Sozialpädagogen oder Psychologen sowie Kinderärzte bzw. Kinderrheumatologen arbeiten zusammen.
Zur Schmerzlinderung werden zunächst nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) verordnet. Neben der Schmerzlinderung wirken sie auch entzündungshemmend, zum Einsatz kommen Medikamente mit den Wirkstoffen Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen. Bei starken Gelenksentzündungen wird häufig Cortison direkt in das entsprechende Gelenk injiziert.
Kann mit nichtsteroidalen Antirheumatika oder Cortisoninjektionen keine ausreichende Wirkung erreicht werden, kommen sogenannte Basistherapeutika zum Einsatz - der Wirkstoff ist Methotrexat. Die Behandlung erfolgt in niedriger Dosierung über einen langen Zeitraum. Methotrexat hemmt die Überaktivität des Immunsystems. Es hat auf den akuten Krankheitsprozess und das Fortschreiten der Erkrankung Einfluss. Die Wirkung setzt allerdings erst nach drei bis vier Wochen ein. Daher wird es zu Beginn meist mit nichtsteroidalen Antirheumatika oder Cortison kombiniert.
Treten unter der Behandlung mit Methotrexat starke Nebenwirkungen auf oder reicht die Wirkung nicht aus, werden Biologika eingesetzt. Hierbei handelt es sich um gentechnisch hergestellte Eiweißstoffe, die entzündungsfördernde Substanzen des Immunsystems abfangen.
Physio- oder Ergotherapeuten unterstützen die Therapie. Mit gezielten Übungen werden Gelenkfehlstellungen vorgebeugt. Kälte- oder Wärmetherapie, Massagen, Lymphdrainage und Ultraschalltherapie wirken schmerzlindernd, abschwellend und entspannen die Muskulatur. Gelenkschonende Sportarten unterstützen die Muskel- und Knochenstabilität. Nach Rücksprache mit dem Arzt kommen Schwimmen, Nordic Walken, Radfahren oder Gymnastik in Frage.
Eine intensive Zusammenarbeit mit Psychologen oder Psychotherapeuten soll psychische Folgeschäden verhindern. Sie unterstützen Patienten und Familie im Alltag.
Der Verlauf der Erkrankung ist sehr unterschiedlich und der Heilungserfolg nur schwer vorauszusagen. Sie kann einen leichten oder schwerwiegenden Verlauf mit psychischen Symptomen nehmen. Je früher Patienten erkranken und je länger die Gelenksentzündung anhält, desto stärker sind Wachstumsstörungen und dauerhafte Schäden. Eine günstige Prognose haben eher die Oligoarthritis, Entheittis assoziierte Arthritis und die Psoriasisarthritis.
Die systemische Arthritis nimmt einen schweren Verlauf, wenn viele Gelenke betroffen sind und das Fieber länger als drei Monate besteht. Seronegative und seropositive Polyarthritis haben beide ein hohes Risiko für eine fortschreitende Gelenkzerstörung mit bleibender Funktionseinschränkung. Der Verlauf ist abhängig von Alter des Patienten und den betroffenen Gelenken.
Da die Entstehung der Erkrankung weitestgehend unbekannt ist, kann man sich vor ihr nicht schützen. Wichtig ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung.
Um die Gelenkschmerzen zu lindern, nehmen Kinder häufig eine Schonhaltung ein. Daraus können sich im weiteren Verlauf dauerhafte Gelenkfehlstellungen oder Gelenkschäden entwickeln. Die Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Cortison oder Basistherapeutika (Methotrexat) soll dies vermeiden. Die Gefahr ist, dass sich bei längerem Bestehen der Entzündung Entzündungsprodukte im Körper ausbreiten und zu schweren Organschäden führen.
Bei der Oligoarthritis sind regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt wichtig (zu Beginn der Erkrankung alle sechs bis zwölf Wochen). Nur so kann die häufig begleitend auftretende Iridozyklitis rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Sehstärke dauerhaft beeinträchtigt wird.
Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis haben ein deutlich höheres Risiko, an Infektionen zu erkranken, was wiederum zu einer Verschlimmerung des Rheumas führen kann. Deswegen sollten betroffene Kinder, ihre Familie und Bezugspersonen (zur Verhinderung der Erregerübertragung) einen vollständigen Impfstatus besitzen.
Auf folgender Seite finden sie wichtige Adressen rund um das Thema Rheuma (Kliniken, Ärzte, Rheumazentren etc.): http://www.rheumanet.org/
Die Kinder-Rheumastiftung gibt Betroffenen zahlreiche Hilfestellungen im Umgang mit der Erkrankung: https://www.kinder-rheumastiftung.de/
Leitlinien für die juvenile idiopathische Arthritis: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-020.html
aktualisiert am 29.01.2021