Die Huntington-Krankheit äußert sich durch eine Vielzahl von Symptomen, darunter Bewegungsstörungen sowie psychische und kognitive Beeinträchtigungen, die oft vor den sichtbaren Anzeichen auftreten. Der Krankheitsverlauf wird maßgeblich durch genetische Faktoren bestimmt, insbesondere durch die Anzahl der CAG-Repeats im Huntingtin-Gen, die den Zeitpunkt des Ausbruchs und die Schwere der Symptome beeinflussen.
Prof. Saft: Die Symptome der Huntington-Erkrankung sind vielfältig, vor allem handelt es sich um eine Bewegungsstörung. Häufig tritt dabei die sogenannte Chorea auf. "Chorea" bedeutet auf Griechisch "Tanz" und beschreibt die unkontrollierten, tanzartigen Bewegungen. Betroffene haben oft eine motorische Unruhe: Die Hände und Schultern sind ständig in Bewegung, es gibt auffällige Gesichtsbewegungen und andere unkontrollierbare Bewegungen. Zusätzlich kommt es häufig zu einer Verlangsamung der Bewegungen, sodass schnelle, wiederholende Bewegungen schwerfallen, was in der Untersuchung zum Beispiel beim Finger-Tapping auffällt. Insbesondere jüngere Patienten oder Kinder, die selten auch betroffen sein können, haben statt der Chorea oft verdrehte, dystone Bewegungen und eine allgemeine Bewegungsverlangsamung.
Im Verlauf der Krankheit verschlechtern sich die Bewegungsstörungen mit dann auch einer Gangunsicherheit, wodurch es zu Stürzen kommen kann. Es kommt zu Schluckstörungen und undeutlicher Sprache, was später zu Komplikationen wie Lungenentzündungen durch Verschlucken führen kann. Insgesamt handelt es sich um eine schwere neurologische, neurodegenerative Erkrankung. Ein weiteres typisches Merkmal ist, dass manche Patienten schon Jahre vor den motorischen Symptomen eine Depression, vermehrt Reizbarkeit, Aggressivität oder Apathie zeigen können. Diese psychischen Veränderungen treten im Rahmen eines hirnorganischen Psychosyndroms auf, das durch die Veränderungen im Gehirn verursacht wird.
Prof. Saft: Die Huntington-Erkrankung ist eine genetisch vererbte Krankheit. In der Regel ist die Krankheit also in der Familie schon bekannt. Sie wird dominant vererbt, was bedeutet, dass das Vererbungsrisiko bei 50% liegt. Das ist ein relativ hohes Risiko. Wenn also Vater oder Mutter betroffen sind, habe ich als Kind ein 50-prozentiges Risiko, ebenfalls diese Erkrankung zu bekommen. Die Huntington-Krankheit ist eine sogenannte CAG-Repeat-Krankheit. In unserem Huntingtin-Gen, das jeder Mensch besitzt und braucht, gibt es eine bestimmte Stelle, an der die drei Basen CAG immer wieder hintereinander vorkommen. Unsere gesamte DNA besteht aus den vier Basen C, A, G und T. An dieser Stelle wiederholt sich CAG immer wieder.
Ob jemand an Huntington erkrankt oder nicht, hängt davon ab, wie oft diese Wiederholungen auftreten. Es gibt einen Grenzbereich zwischen 36 und 39 Wiederholungen. In diesem Bereich kann die Krankheit ausbrechen, dann meist erst im höheren Lebensalter, es ist aber auch möglich, dass man die Krankheit gar nicht erlebt und vorher verstirbt. In diesem Fall kann es auch sein, dass die Krankheit erst in der nächsten Generation ausbricht, als sogenannte Spontanmutation. Etwa 8-10% unserer Patienten haben keine Familienanamnese.
Ab 40 CAG-Repeats muss man davon ausgehen, dass die Krankheit im Laufe des Lebens ausbricht. Diese hohe Anzahl an Repeats führt zu einer 100-prozentigen Penetranz der Erkrankung. Die meisten Patienten haben mehr als 40 Wiederholungen, typischerweise zwischen 40 und 45. Wenn die Anzahl der Wiederholungen weiter ansteigt, z.B. auf 60, 70 oder 80 CAG-Wiederholungen oder mehr, können auch Kinder betroffen sein, die dann häufig eine verlangsamte Form der Krankheit haben. Diese wird auch als Westfal-Variante bezeichnet, bei der nicht die typischen Chorea-Symptome, sondern eher eine Verlangsamung und Parkinson-ähnliche Symptome auftreten.
Wenn Huntington in der Familie vorkommt und im Bereich der vollen Penetranz liegt, muss man davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu erkranken, bei 50% liegt. Dies ist im Gegensatz zu vielen anderen genetisch bedingten Krankheiten relativ hoch.
Bei den meisten Patienten, die etwa 40 bis 45 CAG-Repeats haben, treten die ersten Symptome im Alter von 40 bis 60 Jahren auf. Dies entspricht auch den Angaben in medizinischen Lehrbüchern. Bei sehr hohen Wiederholungszahlen kann die Erkrankung auch schon bei Kindern und Kleinkindern auftreten, was aber extrem selten ist. Im Bereich der unvollständigen Penetranz zwischen 36 und 39 CAG-Repeats können die ersten Symptome auch erst im Alter von 70 oder 80 Jahren auftreten. Die Huntington – Krankheit kann also letztlich in jedem Alter auftreten.
Prof. Saft: Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit dieser Frage. Die Hauptursache sind eindeutig CAG-Repeats in dem Huntington-Gen, die meist eine hundertprozentige Penetranz haben. Allerdings gibt es große Unterschiede, wann die Krankheit ausbricht. Bei einigen Patienten bricht die Krankheit 20 bis 30 Jahre früher aus als bei anderen, obwohl sie die gleiche Anzahl von CAG-Repeats aufweisen. Dies ist sowohl auf Umweltfaktoren als auch auf andere genetische Faktoren zurückzuführen.
In der großen Beobachtungsstudie "Enroll-HD", an der viele betroffene Patienten und ihre Familien teilnehmen, konnten wir weitere Gene identifizieren, die einen Einfluss haben und diese Gene haben etwas mit Genreparatur zu tun. Diese Reparaturmechanismen können zu einer Verlängerung des Gens im Gehirn führen. Dies kann aber nur nach dem Tod untersucht werden, wenn der Betroffene zu Lebzeiten sein Einverständnis gegeben hat. Es hat sich gezeigt, dass sich das Gen massiv verlängern kann und dass dies von den Genreparaturmechanismen abhängt.
Diese Verlängerung des Gens durch eine falsche Reparatur nennt sich somatische Expansion. Diese Mechanismen sind ein Ansatzpunkt für neue Therapieansätze. Wir haben erste Ideen entwickelt, wie man das therapeutisch nutzen könnte, aber wir sind noch nicht so weit, dass diese Therapien am Patienten angewendet werden können.
Bei einigen Patienten bricht die Krankheit 20 bis 30 Jahre früher aus als bei anderen, obwohl sie die gleiche Anzahl von CAG-Repeats aufweisen.
Prof. Saft: Die Hauptdiagnose wird nach wie vor anhand der motorischen Störungen gestellt. Dabei achten wir auf bestimmte Auffälligkeiten wie eine verlangsamte Augenfolge und eine verzögerte Sakkadeninitiierung. Das bedeutet, dass schnelle Augenbewegungen, wie z.B. das schnelle Hin- und Herschauen, verlangsamt und unrhythmisch sind. Das Finger-Tappen ist verlangsamt, es gibt Auffälligkeiten bei speziellen Gangproben und anderes. Solche Bewegungsstörungen werden, ähnlich wie die Chorea, von den meisten Patienten anfangs nicht unbedingt wahrgenommen, während die Angehörigen oft bemerken, dass etwas nicht stimmt. Bei eindeutigen Symptomen wird die Huntington-Krankheit klinisch diagnostiziert.
Studien, bei denen Jahre zuvor Kernspintomographien des Kopfes gemacht wurden, haben gezeigt, dass 10 bis 15 Jahre vor dem Auftreten von Symptomen bestimmte Hirnregionen, vor allem das Striatum, Veränderungen aufweisen. Diese Erkenntnisse haben meine Kollegin Sarah Tabrizi aus London dazu veranlasst, ein neues Staging-System vorzuschlagen, das diese frühen Veränderungen und Biomarker als erstes Stadium einbezieht. Dieses Staging-System ist zunächst aber nur wichtig im Kontext von Studien. In der klinischen Routine sind motorische Auffälligkeiten für die Diagnose entscheidend. Ein MRT kann unterstützend eingesetzt werden, um die diagnostizierten Veränderungen zu bestätigen.
Häufig wird auch eine genetische Absicherung der Diagnose erwogen. Eine genetische Untersuchung kann, wenn ich aus einer Huntington-Familie komme, bereits vor dem Auftreten von Symptomen durchgeführt werden. Dies sollte aber gut überlegt sein. Es gibt keine Empfehlung dafür oder dagegen. Es ist wichtig, sich die Zeit zu nehmen und gut zu überlegen, ob man diese Informationen wissen möchte, denn es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen. Es ist ratsam, vor einer genetischen Untersuchung über Versicherungen, wie z.B. Berufsunfähigkeitsversicherungen, nachzudenken. Eine Beratung durch einen Humangenetiker sollte erfolgen. Es gibt ein bestimmtes Verfahren, Richtlinien, das Beratungsgespräche und psychotherapeutische Kontakte umfasst, um die Entscheidung gut zu begleiten. Nicht alle Angehörigen betroffener Familien nehmen diese Möglichkeit wahr.
Wenn Beschwerden auftreten, kann die genetische Untersuchung differentialdiagnostisch einfacher durchgeführt werden, da klinisch bereits der Verdacht auf eine Huntington-Krankheit besteht. Mit oder ohne Familienanamnese kann dann ein Bluttest durchgeführt werden, dessen Ergebnis nach drei bis vier Wochen vorliegt und die Diagnose genetisch absichern kann. In diesen Fällen wünschen sich die meisten Patienten Klarheit über ihre Erkrankung.
Prof. Saft: Häufig treten psychische Auffälligkeiten zum Teil Jahre vor den motorischen Symptomen auf. Man kann dann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob das mit der Huntington-Krankheit im Sinne einer Veränderung des Gehirns zusammenhängt, ob das also hirnorganisch bedingt ist oder ob das vielleicht daher kommt, dass ein Elternteil erkrankt ist und man sich um ihn sorgt. Vielleicht hat man selbst Ängste – "was ist mit mir", weil gerade ein Geschwisterteil erkrankt ist. Dadurch hat man mehr Stress und Sorgen als viele andere Menschen. Diese Belastungen können zu Depressionen führen. Allein anhand der psychischen Beschwerden kann man also nicht eindeutig sagen, ob es sich um ein Frühsymptom der Huntington-Krankheit handelt. Für die Behandlung ist das aber relativ unwichtig, diese sollte natürlich so oder so erfolgen.
Studien zeigen, dass es typisch ist, dass psychische Störungen vor den leichten motorischen Störungen auftreten, die motorischen Symptome verstärken sich dann im Laufe der Jahre typischer Weise, während sich die psychischen Symptome oft sogar bessern. Die Huntington-Krankheit entwickelt sich langsam und ist eine schwere, neurodegenerative Erkrankung. Ich bin aber überzeugt, dass man auch mit dieser Krankheit zu Beginn lange Zeit gut leben kann, ähnlich wie mit der Parkinson-Erkrankung. Man kann die Symptome lindern, aber die Krankheit ist bis heute nicht heilbar. Sie führt zu zunehmenden Gangstörungen, häufigem Stolpern und Stürzen. Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu Bettlägerigkeit und Schluckstörungen kommen, die häufig zu Lungenentzündungen führen. Der Tod tritt durchschnittlich 15 bis 20 Jahre nach Krankheitsbeginn ein.
Allein anhand der psychischen Beschwerden kann man also nicht eindeutig sagen, ob es sich um ein Frühsymptom der Huntington-Krankheit handelt.
Prof. Saft: Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die die Symptome lindern können. Es wird zwar intensiv geforscht, aber wir können die Krankheit noch nicht eindeutig verzögern oder verhindern. Bei einigen degenerativen Erkrankungen gibt es Fortschritte, z.B. bei der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung mit Antikörpern. Bei einer genetisch bedingten Form der ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) bei SOD1-Mutation wurde kürzlich eine Antisense-Therapie zugelassen. Bei der Huntington-Krankheit ist man noch nicht so weit, aber die Forschung läuft.
Körperliche Aktivität und ein gesunder Lebensstil werden empfohlen, auch wenn wir nicht genau sagen können, wie viel das wirklich ausmacht. Wir können Medikamente geben, um die Symptome zu lindern, ähnlich wie bei Parkinson. Zum Beispiel können wir die Chorea mit Medikamenten dämpfen oder die Verlangsamung der Bewegungen beeinflussen. Psychische Störungen wie Depressionen können mit Antidepressiva behandelt werden. Bei erhöhter Reizbarkeit helfen bestimmte Medikamente, die Stimmungsschwankungen zu kontrollieren. Es ist wichtig, diese Medikamente auszuprobieren und zu besprechen, was hilft und was nicht. Nebenwirkungen sind oft ein Thema und es muss individuell herausgefunden werden, welche Medikamente am besten wirken und verträglich sind. Unterstützende Psychotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie sind ebenfalls wichtige Bestandteile der Behandlung.
Prof. Saft: Auch zunehmende Konzentrationsprobleme und eine Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit gehören zu den Symptomen der Krankheit, die wir bisher noch nicht angesprochen haben. Es handelt sich in der Regel zwar nicht um eine hochgradige Demenz wie bei der Alzheimer-Krankheit, aber häufig treten Störungen des Kurzzeitgedächtnisses auf, während das Langzeitgedächtnis oft relativ gut bleibt. Auch die exekutiven Funktionen, also die Fähigkeit, bestimmte Handlungen auszuführen, sind betroffen.
Diese Symptome lassen sich oft schon Jahre vor den offensichtlichen motorischen Symptomen in Tests nachweisen. Solche kognitiven Beeinträchtigungen können zusammen mit motorischen und psychischen Störungen zu einer verminderten Leistungsfähigkeit im Beruf führen. Dies kann dazu führen, dass Betroffene ihren Beruf vorzeitig aufgeben oder entlassen werden. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist daher besonders wichtig, da viele Betroffene nicht mehr in der Lage sind, ihre gewohnte Leistung zu erbringen. Diese Probleme treten häufig in der Phase der Familiengründung oder des Hausbaus auf, was zusätzliche soziale Probleme mit sich bringt.
Solche kognitiven Beeinträchtigungen können zusammen mit motorischen und psychischen Störungen zu einer verminderten Leistungsfähigkeit im Beruf führen.
Prof. Saft: Es gibt spezialisierte Zentren, die man im Internet finden kann, z.B. das Europäische Huntington-Netzwerk, wo solche Zentren aufgelistet sind. Es ist sinnvoll, sich an ein Zentrum zu wenden, um über die neuesten Forschungsergebnisse informiert zu bleiben. Wertvolle Unterstützung bieten auch Selbsthilfegruppen wie die Deutsche Huntington-Hilfe. Selbsthilfegruppen gibt es in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. Obwohl es sich um eine seltene Erkrankung handelt und daher nicht viele Menschen an den Gruppen teilnehmen, leisten die aktiven Mitglieder eine großartige Arbeit.
Bei der Deutschen Huntington-Hilfe gibt es Informationsmaterial, Unterstützung bei sozialen und rechtlichen Fragen und Informationen zum Gentest. Außerdem gibt es in letzter Zeit auch YouTube-Videos mit Tipps und Informationen zu Themen wie der Präimplantationsdiagnostik. Diese Diagnostik kann helfen sicherzustellen, dass ein Kind die Krankheit nicht erbt. Regelmäßige Treffen auf lokaler, Landes- und Bundesebene bieten ebenfalls eine Plattform für Austausch und Information. Häufig werden Experten eingeladen, die über die neuesten Entwicklungen berichten. Darüber hinaus gibt es Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern können, wie zum Beispiel spezielle Huntington-Sessel oder Esshilfen.
Prof. Saft: Ich glaube, es ist ganz wichtig, sich erst einmal bewusst zu machen, dass die Krankheit sehr langsam fortschreitet. Wenn man sich das bewusst macht, merkt man, dass man nicht sofort schwer betroffen ist. Man kann viele Jahre gut mit der Krankheit leben, ähnlich wie bei anderen Krankheiten auch. Ein weiterer Punkt ist die Frage des Gentests. Die Entscheidung für oder gegen einen solchen prädiktiven Test sollte gut überlegt sein und nicht überstürzt oder in Panik getroffen werden.
Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und zu überlegen, ob man mit dem Ergebnis leben kann. Viele Menschen kommen nach dem Test gut damit zurecht, während andere große Schwierigkeiten damit haben. Das sollte man vorher bedenken. Es gibt aber auch Menschen, die sich ihr Leben lang Sorgen machen, obwohl sie das Gen nicht haben. Auch diese Angst kann belastend sein und die Lebensplanung beeinflussen.
Das Wichtigste, was ich betonen möchte, ist, dass man ruhig an die Sache herangehen sollte und jeder für sich selbst entscheiden muss, ob Forschung für ihn in Frage kommt. Für mich persönlich als Forscher wäre das mein Weg, aber das muss jeder für sich selbst herausfinden. Es ist bei einer solch seltenen Erkrankung sicher sinnvoll, sich in einem spezialisierten Zentrum vorzustellen und nachzufragen, ob es Studien gibt, an denen man teilnehmen kann. Bei pharmakologischen Studien gibt es allerdings bestimmte Ein- und Ausschlusskriterien, die beachtet werden müssen. Es kann also nicht Jeder oder Jede an jeder Studie teilnahmen. Letztendlich kann es für viele Patienten hilfreich sein, aktiv gegen die Krankheit vorzugehen und sich umfassend zu informieren und zu entscheiden, was für sie der beste Weg ist.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, sich erst einmal bewusst zu machen, dass die Krankheit sehr langsam fortschreitet.
Prof. Saft: Wir haben durch Beobachtungsstudien viel über die Krankheit gelernt, was für die Früherkennung und Diagnose sehr wertvoll ist. Unser Ziel ist es, eines Tages eine Therapie zu entwickeln, die die Krankheit behandeln kann, idealerweise bevor sie ausbricht. Damit könnten wir den Ausbruch der Krankheit verzögern oder sogar verhindern. Das wäre natürlich ein Traum, auf den wir hinarbeiten. Dazu müssen wir den Verlauf der Krankheit genau verstehen. Wir haben bereits Fortschritte gemacht, indem wir zum Beispiel durch Kernspinuntersuchungen oder durch die Messung einer bestimmten Substanz im Blut oder Nervenwasser, die auf Nervenschäden hinweist (Neurofilament-Erhöhung), Hinweise auf die Krankheit Jahre oder gar Jahrzehnte vor ihrem Ausbruch erkennen können.
Statistisch lässt sich aufgrund der CAG-Verlängerungen berechnen, wie weit jemand vom Ausbruch der Krankheit entfernt ist. Das ist für den Einzelnen nicht hilfreich, da es große Schwankungen gibt, aber für Gruppenanalysen zur Erforschung der Krankheit ist das sehr nützlich. Seit 2016 sind wir an verschiedenen Medikamentenstudien beteiligt, die an der RNA ansetzen. Ziel wäre es, direkt an der DNA anzusetzen, die für die Krankheit verantwortlich ist, indem der veränderte Genabschnitt blockiert oder verkürzt wird. Diese Ansätze, wie CRISPR/Cas9 – die Genschere - oder Zinkfingerproteine, befinden sich noch im Forschungsstadium, aber es gibt bereits erste Erfolge mit CRISPR/Cas9 bei seltenen Bluterkrankungen, wie der Sichelzellanämie oder Thalassämie.
Derzeit arbeiten wir daran, die mRNA zu blockieren, die als Kopie der DNA als Bauplan für das krankmachende Protein dient. Dies geschieht mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden oder kleinen Molekülen, die die mRNA blockieren oder deren Produktion – und damit die Produktion des Eiweiß - verringern. Welcher Ansatz der beste ist, wissen wir noch nicht, denn alle Methoden haben Vor- und Nachteile. In den letzten Wochen haben wir viele positive Nachrichten über Zwischenergebnisse von Studien erhalten. Es gibt Hinweise, dass wir das krankheitsverursachende Protein Huntingtin reduzieren können. Das messen wir in der Rückenmarksflüssigkeit der Patienten. Auch die Motorik könnte beeinflusst werden, aber das müssen die Studienergebnisse noch bestätigen. Wahrscheinlich werden weitere große Studien notwendig sein, um diese Ergebnisse zu verifizieren.
Ein früherer Antisense-Ansatz zeigte zunächst auch positive Ergebnisse, führte aber in einer größeren Studie dann zu einer Verschlechterung, statt zu einer Verbesserung, vermutlich wegen einer zu hohen Dosierung. Dieses Medikament wird nun erneut in niedriger Dosis getestet. Rückschläge gehören leider dazu, aber es gibt auch positive Nachrichten. Ich habe Hoffnung, dass wir bald Medikamente haben werden, die die Krankheit zumindest behandelbar machen. Eine Heilung wird noch Zeit brauchen. Es gibt auch Medikamente, die nicht an der mRNA, sondern über Rezeptoren an der Zelle selbst ansetzen, um deren Stabilität zu erhöhen und Proteine abzubauen. Eines dieser Medikamente ist zur Zeit bei den Gesundheitsbehörden zur Zulassung eingereicht und wir hoffen auf positive Nachrichten Anfang nächsten Jahres.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 11.08.2024.