Prof. Grifka: Auch bei Vorliegen einer Arthrose des Hüftgelenkes sollte zunächst immer versucht werden, alle Möglichkeiten der konservativen Therapie auszuschöpfen. Dazu gehört immer auch eine physiotherapeutische Trainingstherapie. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einer Kräftigung der hüftumgreifenden Muskulatur, Verbesserung der Beweglichkeit und einem Koordinationstraining.
Die Entscheidung für ein künstliches Gelenk darf nicht allein auf das Röntgenbild gestützt werden. Auch bei fortgeschrittenen Arthrosen gibt es Betroffene, die wenig Schmerzen und kaum eine Beeinträchtigung im Alltag haben. Wichtig ist, inwiefern eine Beeinträchtigung vorliegt. Wenn die Mobilität maßgeblich eingeschränkt ist, die Eigenständigkeit reduziert ist, Schmerzen vorliegen, die man mit Medikamenten nicht ausreichend bessern kann, dauerhaft Schmerzmedikamente eingenommen werden müssen oder die Nachtruhe gestört ist, dann muss man bei einer nachgewiesenen Arthrose des Hüftgelenkes an ein künstliches Gelenk denken.
Die Versorgung ist aber praktisch nie ein Notfall, sondern sollte immer sorgfältig abgewogen werden. Der Hausarzt ist gefragt, wenn gleichzeitig andere Erkrankungen vorliegen und man durch eine gezielte Vorbereitung die operative Versorgung und den ganzen Verlauf verbessern kann.
Auf der anderen Seite sollte man auch nicht unnötig lange warten und sich mit Schmerzen und Einschränkungen quälen. Auf Dauer baut sich die Muskulatur ab, das Gelenk wird zunehmend steifer und dadurch kann die Operation und die Nachbehandlung erschwert sein. Die Entscheidung zur Operation mit einem künstlichen Gelenk sollte gemeinsam mit dem Hausarzt und dem Operateur getroffen werden.
Wichtig ist, inwiefern eine Beeinträchtigung vorliegt.
Prof. Grifka: Bei den im allgemeinen für Hüftarthrosen verwendeten Prothesenmodellen gibt es keine großen Unterschiede. Eine solche Prothese besteht aus einem Schaft, der im Oberschenkelknochen verankert wird, einer Pfannendachschale, die im Becken verankert wird und der gelenkigen Verbindung zwischen Kopf und dem Inlay der Pfannendachschale. Die Anteile, die im Knochen fixiert werden, sind üblicher Weise aus Titan. Für den Hüftkopf gibt es Metall oder Keramik und für das Pfanneninlay Polyethylen. Den Prothesentyp sucht der Operateur nach seiner Erfahrung und der von ihm angewendeten OP-Technik aus.
Prof. Grifka: Grundsätzlich sollte die Operation möglichst schonend sein und der Patient sollte schnell wieder mobil sein. Oft werden heute noch seitliche Schnitte oder gar hintere Schnitte gemacht. Bei diesen Zugängen wird die Muskulatur durchschnitten. Es blutet, die Muskulatur muss erst wieder heilen und die Rehabilitation ist dadurch erschwert. Oft liegen Patienten auch noch 24 Stunden im Bett, haben Schläuche, also Drainagen aus der Wunde und Katheter. Sie sind auf fremde Hilfe angewiesen, bis hin zur Bettpfanne. Solche Unannehmlichkeit und Einschränkungen nach einer Operation sind heute nicht mehr nötig.
Ich wende eine Technik an, die wir nach Präparationen in der Anatomie entwickelt und auch an Kollegen weiter gegeben haben. Der Schnitt ist auch bei großen Menschen etwa 7 cm lang und liegt zwischen Vorderseite und Außenseite des Oberschenkels. Ich schiebe die Muskeln mit den Fingern auseinander und operiere durch eine Muskellücke. Dadurch werden Blutungen vermieden, die Muskeln bleiben intakt, müssen also nicht erst zusammenheilen, sondern funktionieren direkt nach der Operation.
Für die Betäubung braucht man keine Vollnarkose. Es genügt eine Teilnarkose des Beines. Direkt vor Ort nutze ich ein Lokalanästhetikum, wie beim Zahnarzt, um dem Schmerz vorzubeugen. Dadurch werden Schmerzen und Blutungen vermieden. Der Patient verliert praktisch kaum Blut, braucht keine Drainagen und Schmerzkatheter. Er kann etwa zwei bis drei Stunden nach der Operation wieder aufstehen und laufen, hat nicht die Unannehmlichkeiten mit Hilfsbedürftigkeit, sondern versorgt sich selbst und geht zur Toilette.
Ich schiebe die Muskeln mit den Fingern auseinander und operiere durch eine Muskellücke.
Prof. Grifka: Die schonende Operationstechnik kommt allen Patienten zugute. Alle Patienten sind nach diesem Fast-Track-Verfahren wenige Stunden nach der Operation wieder mobil. Da keine Schläuche nötig sind und die Patienten kaum Schmerzen haben, kann diese Technik sogar problemlos ambulant durchgeführt werden. Damit habe ich 2019 begonnen. Für die ambulante Hüftprothesenimplantation haben wir ein komplettes Behandlungskonzept ausgearbeitet. Dafür führt der Patient vor der Operation ein Übungsprogramm mit fünf Einheiten durch. Es ist genau definiert, was geübt werden muss, z.B. ein Koordinationstraining oder das Treppensteigen. Zudem lernt der Patient Verhaltensmaßnahmen.
Alle Patienten sind nach diesem Fast-Track-Verfahren wenige Stunden nach der Operation wieder mobil.
Prof. Grifka: Ein Check beim Hausarzt ist immer sinnvoll, um z.B. die Blutwerte zu kontrollieren. Man sollte keine erhöhten Entzündungswerte akzeptieren. Eine Entzündung mit Bakterien kann zur Vereiterung der Prothese führen. Das kann dann schreckliche Auswirkungen mit möglichem Ausbau der Prothese haben.
Eine physiotherapeutische Übungsbehandlung vor einer Implantation eines künstlichen Gelenkes ist sinnvoll, wenn noch eine ausreichende Beweglichkeit möglich ist. Man soll sich nicht quälen, aber wenn die Muskulatur und die Koordination trainiert werden kann, das ist von Vorteil. Ein weiterer Punkt ist, dass man auf jeden Fall vor der Operation lernen sollte, wie man mit Gehstützen geht, einschließlich Treppentraining. Nach der Operation ist es viel schwieriger, das ohne vorheriges Training umzusetzen.
Prof. Grifka: Je nach Mobilität und Selbstständigkeit kann ein Patient entscheiden, ob er in eine ambulante oder stationäre Rehabilitation gehen möchte. Bei meiner OP-Technik darf der Pateinten nach 2 Wochen ohne Gehstützen gehen. Insgesamt rechnet man 6 Wochen bis die Prothese fest in den Knochen integriert ist. Bis dahin sollte man auch mit übermäßiger Bewegung vorsichtig sein und z.B. nicht die Beine übereinander schlagen und nicht tief sitzen.
Insgesamt rechnet man 6 Wochen bis die Prothese fest in den Knochen integriert ist.
Prof. Grifka: Nach 6 Wochen ist ein Kunstgelenk üblicherweise voll integriert. Bei Sportarten ist grundsätzlich darauf zu achten, dass keine Stoßbelastung und kein Stop-and-Go auftritt, also keine Sportarten mit Erschütterungen, wie Laufen oder Springen und kein Tennis oder Squash.
Prof. Grifka: Wie schon gesagt, muss man sich vor zu großen Krafteinwirkungen in Acht nehmen. Nicht die Prothese leidet, sondern der Knochen. Die Prothesen werden mit Millionenzyklen mit verschiedenen Belastungen getestet. Es gibt fast keinen Abrieb der Materialien. Der Knochen ist allerdings unsere Schwachstelle. Bei vermehrter Belastung der Prothese baut sich der umliegende Knochen ab. Je jünger ein Patient ist, desto schneller geschieht dies. Bei jüngeren Menschen ist der Knochen noch stoffwechselaktiver als bei älteren, er baut sich schneller um. Zudem sind jüngere Menschen durch Beruf und private Aktivitäten vermehrten Belastungen ausgesetzt. Sie strapazieren ihr Kunstgelenk ohnehin mehr als ältere, die einen ruhigeren Tagesablauf haben.
Prof. Grifka: Dazu kann man keine generelle Aussage treffen. Es kommt wesentlich darauf an, wie man das Hüftgelenk beansprucht. Wie soeben genannt, sollte man keine vermehrte Krafteinwirkung auf den Knochen riskieren. Ich sehe Patienten, die schon 20 Jahre ein künstliches Hüftgelenk haben und keine Beschwerden haben.
Prof. Grifka: Hinsichtlich Implantaten und Materialien können wir keine wesentlichen Verbesserungen erwarten. Meine OP-Technik bietet ein Optimum für eine gute, schonende Versorgung mit schneller Mobilisierung und Re-Integration des Patienten in den normalen Alltag. Für die Vorbereitung auf die Operation und bei der Nachbehandlung können wir mit modernen Trainingsprogrammen einiges verbessern. Dazu arbeite ich an Trainingsprogrammen, die dem Patienten auch ermöglichen, sich gezielt vorzubereiten und eine zusätzliche Hilfestellung für das Training nach der Operation zu bekommen. Dies ist möglich indem Patienten selbst zu Hause ohne besondere Hilfsmittel trainieren können. Schon heute habe ich das Übungsprogramm mit Videoinstruktionen in meinem Patientenratgeber umgesetzt.
Vielen Dank für das Interview!
Ratgeber Hüfte, Springer-Verlag
Erscheinung voraussichtlich 3/2024
Letzte Aktualisierung am 26.12.2023.