Bei einem Hirnabszess handelt es sich um eine räumlich begrenzte (abgekapselte) Eiteransammlung im Hirngewebe. Durch die Infektion geht das Gewebe unter und wird eingeschmolzen. In der Folge entsteht eine eitergefüllte Abszesshöhle, welche von einer Kapsel umgeben ist. Die Eiteransammlung ist meist unter der Hirnhaut, der Dura mater (subdural), lokalisiert. Sie kann aber auch oberhalb der harten Hirnhaut liegen (epidural).
Die Erkrankung wird vor allem durch Bakterien (Streptokokken, Staphylokokken und Anaerobier) oder Fremdkörper ausgelöst. Häufig besteht aber auch eine Mischform. Aufgrund der Entzündungsprozesse und der räumlichen Ausdehnung kommt es zu einer Flüssigkeitsansammlung (Ödem), die den Abszess umgibt und vermehrt Druck auf das gesunde Gewebe ausübt. Die Druckerhöhung ist für ein Teil der später auftretenden Beschwerden verantwortlich.
Auch heute gilt ein Hirnabszess als potenziell lebensbedrohliche Erkrankung und tritt vor allem zwischen dem 4. und 7. (bei Kindern) sowie dem 20. und 30. Lebensjahr (bei Erwachsenen) auf. Insgesamt kommen Hirnabszesse eigentlich eher selten vor. Pro Jahr entsteht bei rund einem von 100.000 Menschen ein neuer Hirnabszess.
Die Abszessbildung beginnt in der Regel etwa ein bis zwei Wochen nach eine Infektion, kann aber auch erst Monate und Jahre nach einem Ereignis auftreten.
Je nach Entstehungsprozess werden verschiedene Formen unterschieden:
Eine bakterielle Entzündung im Bereich des Kopfes bzw. benachbarter Strukturen wie z.B. Mittelohrentzündung, wird in das Gehirn fortgeleitet. Auch eine spät erkannte und unzureichend ausgeheilte Hirnhautentzündung kann zu einem Hirnabszess führen. Bei den meisten Hirnabszessen handelt es sich um fortgeleitete Infektionen, welche als einzelner Abszess auftreten.
Hierzu gehören vor allem Kopfverletzungen, die sich bis in das Gehirn ausdehnen oder nach einer Operation im Kopfbereich entstandene Abszesse. Hierbei kann das Hirngewebe auf direktem Weg mit Bakterien infiziert werden. Traumatische Abszesse liegen meist an der Hirnoberfläche. Solche Abszesse können sich sogar noch Jahre oder Jahrzehnte, nach dem traumatischen Ereignis ausbilden.
Die Infektion wird über das Blut in das Gehirn fortgeleitet und kann hier zu mehreren Abszessen gleichzeitig führen. Ausgangspunkt dieser Streuung kann sich überall im Körper befinden. Häufig wird sie durch eine Lungenentzündung oder eine entzündete Herzinnenhaut hervorgerufen. Hämatogene Abszesse sind meist an der Grenze zwischen der Hirnrinde und dem Mark lokalisiert, also zwischen weißer und grauer Substanz.
Ursachen sind bakterielle Infektionen. Die Entstehung des Abszesses wird zudem durch ein schwaches Immunsystem begünstigt. Viele Bakterienarten können einen Abszess hervorrufen. Meist handelt es sich um Streptokokken, Staphylokokken und Anaerobier (Keime, die ohne Luftsauerstoff wachsen). Die Bakterien verursachen im Gehirn eine örtlich begrenzte Entzündung, die im weiteren Verlauf zu einer abgekapselten Eiteransammlung führt. Abszesse sind vor allem im Großhirn lokalisiert, seltener im Kleinhirn oder Hirnstamm. Zudem ist die Lokalisation des Abszesses auch abhängig von der Ursache. So finden sich fortgeleitete Abszesse meist im Frontal- oder Temporallappen.
Abhängig von Sitz, Größe und Ausmaß des Abszesses können unterschiedliche Symptome auftreten.
Häufig werden folgende Beschwerden beobachtet:
Erste Hinweise auf ein Hirnabszess können Symptome liefern wie Lähmungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Fieber sowie Bewusstseinsstörungen, die zudem mit vorangegangenen Unfällen, Mittelohrentzündungen oder Nasennebenhöhlen-Entzündungen sowie anderen entzündlichen Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang stehen.
Entzündliche Prozesse im Gehirn können auch durch eine labormedizinische Blutuntersuchung nachgewiesen werden. Bei einem Abszess sind die Entzündungszeichen und Antikörper gegen die verantwortlichen Erreger im Blut feststellbar. Man findet eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen (Leukozytose) sowie eine erhöhte Konzentration von C-reaktivem Protein (CRP). Eine CRP-Erhöhung gehört zu den wichtigsten diagnostischen Parametern, ist aber nicht bei jedem Patienten erhöht.
Die Diagnose wird vor allem mit bildgebenden Verfahren gesichert. Mithilfe einer Magnetresonanztomographie (MRT) kann die Erkrankung bereits im Frühstadium, wenn oft noch keine Abszesskapsel vorliegt, erkannt werden. Auch mit der Computertomographie (CT) ist die Abszesskapsel nach Kontrastmittelgabe als ringförmige Struktur sichtbar.
Die Eiteransammlung kann jedoch auch wie ein Schlaganfall oder ein Hirntumor aussehen und fehldiagnostiziert werden.
Der Abszess ist auch durch eine nuklearmedizinische Untersuchung mit bestimmten radioaktiv markierten, weißen Blutkörperchen (Granulozyten) nachweisbar. Zudem können die Erreger auch durch eine Gewebeprobe oder Blutkulturen identifiziert werden. Dies erfolgt durch Punktion, Drainage oder Exzision (Herausschneiden) des betroffenen Gewebes, ist jedoch nicht immer einfach durchführbar, weshalb man sofort mit einer Antibiotikabehandlung beginnt.
Die Behandlung besteht in der Regel aus operativen Maßnahmen und Antibiotika.
Die Möglichkeit einer konservativen medikamentösen Behandlung hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere von der Lokalisation, der Größe und der Ausdehnung des Abszesses.
Bei der Wahl des Antibiotikums spielt der Erreger eine besondere Rolle. Ist der Erreger unbekannt, so wird eine Kombination aus Cefotaxim oder Cefotriaxon, Metronidazol und einem gegen Staphylokokken wirksamen Antibiotikum verabreicht. Die Therapie dauert mindestens vier bis sechs Wochen, wobei der Behandlungserfolg etwa alle zwei Wochen durch die Computer- oder Kernspintomographie kontrolliert wird.
Eine neurochirurgische Entfernung ist vor allem dann erforderlich, wenn sich bereits eine Abszesskapsel gebildet hat oder der Abszess größer als 2,5cm ist. Oberflächlich liegende Hirnabszesse können meist sofort operativ entfernt werden. Dagegen müssen tiefer gelegene Abszesse zunächst über ein Bohrloch punktiert werden, um den Eiter abzulassen und die Abszesshöhle anschließend mit Antibiotika zu spülen (Abszessaspiration). Das ist das Standardverfahren.
Besteht zudem ein Hirnödem, so können zusätzlich Kortikosteroide und Mittel wie Mannit verabreicht werden, um bleibende Hirnschäden zu vermeiden.
Die Genesung kann rasch oder langsam erfolgen. Sie ist unter anderem abhängig vom Erfolg des operativen Eingriffs, der Immunlage des Patienten und der Anzahl der Abszesse.
Etwa 50 Prozent aller Patienten werden wieder gesund, ohne dass bleibende Schäden entstehen. Die Genesung ist vor allem abhängig von Größe und Lage des Abszesses sowie der eingesetzten Therapie. Bei einer vollständigen operativen Entfernung ist die Prognose günstig. Ein Viertel der Erkrankten leidet als bleibende Folge der Erkrankung, unter epileptischen Anfällen. Bei etwa fünf Prozent kommt es trotz erfolgreicher Behandlung erneut zu einem Hirnabszess (Rezidiv). Die Sterblichkeit konnte dank modernster Antibiotikatherapie auf vier bis zehn Prozent gesenkt werden.
Da der Abszess infolge einer bakteriellen Infektion auftritt, sollte man eine Übertragung der Erreger auf das Gehirn verhindern. Vor allem Erkrankungen mit einem erhöhten Risiko für Hirnabszesse müssen konsequent behandelt werden. Beachten Sie vor allem, dass Sie Antibiotika, die Sie zur Behandlung bakterieller Erkrankungen verschrieben bekommen, bis zur letzten Tablette einnehmen und die Einnahme nicht frühzeitig abbrechen. Die Einnahme sollte streng nach ärztlicher Anweisung erfolgen, auch wenn Sie sich schon besser fühlen.
Bei Hirnabszessen, die sich insbesondere in der mittleren oder vorderen Schädelgrube befinden, sollte eine Prophylaxe epileptischer Anfälle erfolgen. Hierzu verschreibt der Arzt so genannte antikonvulsive Medikamente, wie Phenytoin, die zwei bis drei Wochen eingenommen werden.
aktualisiert am 14.12.2023