Prof. Bauer: Als Harninkontinenz wird jeglicher unwillkürlicher Urinabgang bezeichnet, dies können kleine Urinmengen bis hin zur kompletten Blasenentleerung sein.
Prof. Bauer: Harninkontinenz hat viele verschiedene Ursachen. Die häufigsten Ursachen sind: Beckenbodenschwäche, Schließmuskelschwäche bzw. Schäden am Beckenboden oder Schließmuskel, neurologische Erkrankungen, Alterungsprozesse, vergrößerte Prostata bei Männern, Hormonmangel bei Frauen, aber auch Erkrankungen oder Verletzungen am Rückenmark, Operationen an der Wirbelsäule oder im kleinen Becken sowie Diabetes mellitus.
Prof. Bauer: Frauen sind von einer Harninkontinenz deutlich häufiger betroffen als Männer. Gründe dafür sind u.a. die Belastung durch Schwangerschaft und Geburt mit einem dadurch geschwächten Bindegewebe und Beckenbodenmuskulatur. Daher wird Harninkontinenz oft als Frauenleiden betrachtet und Männer mit einer Inkontinenz eher stiefmütterlich behandelt. Dabei leiden Männer mindestens so sehr wie Frauen unter einer Harninkontinenz. Auch ist das Thema Harninkontinenz bei Männern ein noch größeres Tabu.
Frauen haben häufig nach Geburten die ersten Inkontinenzerfahrungen. Durch Rückbildungsgymnastik und Beckenbodentraining ist diese Inkontinenz (Belastungsinkontinenz) meist wieder gut in den Griff zu bekommen. Mit der Menopause steigt dann wieder das Risiko für eine Inkontinenz, häufig eine Mischinkontinenz (d.h. sowohl eine Belastungsinkontinenz als auch Dranginkontinenz liegt vor).
Frauen sind von einer Harninkontinenz deutlich häufiger betroffen als Männer.
Prof. Bauer: Bei der Belastungsinkontinenz tritt der Urinverlust aufgrund von körperlicher Belastung und bei körperlichen Aktivitäten wie Husten, Niesen, Lachen, Laufen, Hüpfen, Sport auf. Von der Belastungsinkontinenz sind überwiegend Frauen betroffen, da die Hauptursache ein schwacher Beckenboden und Schließmuskel ist, z.B. infolge der Belastung des Beckenbodens während Schwangerschaften und Geburten. Frauen haben außerdem ein schwächeres Bindegewebe und ein breiteres Becken. Das führt dazu, dass der Beckenboden eher „durchhängt“ als bei Männern.
Bei Männern tritt eine Belastungsinkontinenz meist nach Operationen an der Prostata auf. Bei der Dranginkontinenz spricht man auch von einer „überaktiven Blase“. Betroffene verspüren wie aus dem Nichts plötzlich einen sehr starken Harndrang und schaffen es dann oft nicht rechtzeitig zur Toilette. Als Ursachen spielen oft Veränderungen durch Alterungsprozesse, Medikamentennebenwirkungen, Diabetes aber auch neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson und Wirbelsäulenprobleme wie z.B. Bandscheibenvorfall eine Rolle.
Bei Frauen kommt außerdem der Östrogenmangel nach der Menopause als Ursache hinzu. Bei Männern kann die Ursache außerdem eine vergrößerte Prostata sein.
Prof. Bauer: Eine Belastungsinkontinenz der Frau beginnt typischerweise mit Urinverlust, der tropfenweise beim Husten und Niesen erfolgt. Die Belastungsinkontinenz beim Mann tritt hingegen meist nach einer Katheterentfernung bei einer Prostata-Operation auf. Die Dranginkontinenz ist erst einmal nur eine überaktive Blase mit überfallsartigem Harndrang, später kann auch hier ein Urinverlust tropfenweise auf dem Weg zur Toilette auftreten.
Prof. Bauer: Die Behandlung hängt von der Form und Ursache der Inkontinenz ab. Die primäre Therapie bei der Belastungsinkontinenz ist Beckenbodentraining, ggf. mit Biofeedbacktherapie. Wenn dies nicht zum Erfolg führt und eine weitere Therapie gewünscht ist, wird für Frauen und Männer eine operative Therapie empfohlen.
Bei Frauen wird ein “Tension-Free Vaginal Tape”, ein Kunststoffband aus Polypropylene, unter die Harnröhre gelegt, um diese zu stabilisieren. Es ist die häufigste operative Behandlungsform bei Frauen mit Belastungsinkontinenz in Deutschland. Daneben gibt es noch andere operative Techniken, die aber deutlich seltener angewandt werden. Momentan sehr en vogue ist die Laserbehandlung. Bei dieser neuen Form der Behandlung wird ein Laser in die Scheide eingeführt, der Laser soll die gesamte Muskulatur in diesem Bereich stärken. Dies kann bei geringer Inkontinenz hilfreich sein.
Für Männer mit Belastungsinkontinenz werden - je nach Schweregrad - unterschiedliche Bandsysteme eingesetzt. Bei sehr schwerer Belastungsinkontinenz erfolgt die Implantation eines künstlichen Schließmuskels.
Bei der überaktiven Blase/Dranginkontinenz erfolgt eine medikamentöse Therapie zur Beruhigung der Blase, ggf. in Kombination mit Beckenbodentraining, Blasentraining und Elektrostimulation. Bei nicht ausreichender Besserung wird die Injektion von Botulinumtoxin in den Blasenmuskel oder die Implantation eines Blasenschrittmacher (sakrale Neuromodulation) empfohlen.
Momentan sehr en vogue ist die Laserbehandlung.
Prof. Bauer: In seltenen Fällen wie z.B. nach einer Operation, nach Behandlung einer inkontinenzauslösenden Erkrankung oder im Rahmen von Harnwegsinfektionen, die eine temporäre Inkontinenz auslösen können, kann dies durchaus der Fall sein.
Prof. Bauer: Einen negativen Einfluss auf die Harninkontinenz haben u.a. ein hoher Kaffeekonsum, Hormonmangel, Nebenwirkungen von Medikamenten, akute Harnwegsinfektion, schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Bestrahlungen im kleinen Becken, Verschlechterung der zugrundeliegenden neurologischen Erkrankung und natürlich das Älterwerden.
Prof. Bauer: Die wichtigsten Punkte sind die Stärkung des Beckenbodens sowie Adipositas (Übergewicht) und metabolisches Syndrom vermeiden.
Prof. Bauer: Zunächst einmal ist zu beobachten, dass häufig auch schon ein geringer Urinverlust nicht mehr toleriert wird und nicht mehr als „als normaler Alterungsprozess“ angesehen wird, mit dem man leben muss. Erfreulicherweise ist das Thema Harninkontinenz nicht mehr ein “absolutes“ Tabuthema und immer mehr Betroffene „outen“ sich. Insgesamt steigt der Wunsch der Patienten nach immer minimalinvasiveren Methoden.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 13.02.2024.