Das Pseudoexfoliationsglaukom, kurz PEX-Glaukom, ist eine Form des Grünen Stars (Glaukom). Es zählt zu den sogenannten Offenwinkelglaukomen. Als Ursache werden erblich bedingte Veränderungen des Bindegewebes angenommen. Die Diagnose wird anhand des Nachweises weißer Ablagerungen auf Linse, Iris und im Kammerwinkel gestellt. Beschwerden treten vielfach erst zutage, wenn sich Gesichtsfeldausfälle bemerkbar machen. Eine ursächliche Behandlung des PEX-Glaukoms ist nicht vorhanden. Somit muss der für ein Glaukom typische erhöhte Augeninnendruck gesenkt werden.
Finden sich im Auge sogenannte PEX-Materialien, dann führt dies in 40 bis 60 Prozent zum Bild des Pseudoexfoliationsglaukoms. Knapp ein Viertel aller Glaukome sind darauf zurückzuführen. Das Risiko einer Erkrankung wächst mit zunehmendem Alter. Ab dem 60. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit innerhalb der Gesamtbevölkerung auf 10 bis 15 Prozent. Insbesondere Frauen und die Bewohner nördlicher Länder müssen mit einem höheren Risiko eines Pseudoexfoliationsglaukoms rechnen.
Der Grüne Star oder Glaukom ist eine uneinheitliche Gruppe von Erkrankungen des Auges. Es ist im Wesentlichen durch den Anstieg des Augeninnendrucks gekennzeichnet, der zu Schäden am Sehnerv führt. Der Druck wird durch ein überhöhtes Volumen von Kammerwasser im Auge verursacht. Kammerwasser wird kontinuierlich gebildet und muss demnach in gleichem Maße wieder entsorgt werden. Im Randbereich der vorderen Augenkammer (Kammerwinkel) wird es durch das sogenannte Trabekelwerk (maschenartige Struktur) in den Schlemm'schen Kanal und weiter in die Blutbahn befördert.
Beim Pseudoexfoliationsglaukom lagern sich Eiweißstrukturen von elastischen Fasern wie winzige Schuppen an allen Strukturen der vorderen Augenkammer ab. Typischerweise sind diese Ablagerungen auf der Linse für den Augenarzt als sogenannte Kapselhäutchen zu erkennen. Daher stammt auch der bisweilen verwendete Begriff Kapselhäutchenglaukom. Gelangen diese Fasern in das Trabekelwerk des Kammerwinkels, kommt es zum Stau des Kammerwassers, wodurch der Augeninnendruck ansteigt.
Der Studie einer isländisch-amerikanischen Firma zufolge sind zwei Defekte an einem Gen (Träger von Erbinformation) für die Ausbildung von PEX-Materialien verantwortlich, die den Abfluss verlegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind alle Fälle, bei denen sich solche Materialien bilden, auf diesen Gendefekt zurückzuführen.
Link zur Studie (veröffentlicht in der Science am 07. September 2007): Common Sequence Variants in the LOXL1 Gene Confer Susceptibility to Exfoliation Glaucoma
Neben diesem Mechanismus werden noch zusätzliche Möglichkeiten diskutiert, welche zum Verschluss des Kammerwinkels führen könnten. Beim Pigmentdispersionssyndrom löst sich der Farbstoff Melanin unter gewissen Umständen von der Iris und wird in den Kammerwinkel befördert. Auch der Abrieb von Zellen der Hornhaut (Cornea) oder eine Erhöhung der Eiweißkonzentration im Kammerwasser sind als verstärkende Ursache denkbar.
Die Erhöhung der Eiweißkonzentration scheint insbesondere im Zusammenhang mit einer vorangegangenen Katarakt-Operation (OP eines Grauen Stars) oder dem Einsatz pupillenerweiternder Medikamente (Miotika) erwähnenswert. PEX-Ablagerungen können dabei zu Verwachsungen zwischen Iris und Linse führen.
Heute weiß man, dass Ablagerungen dieser Art nicht nur ein Phänomen der Augenkunde darstellen. Offensichtlich lassen sich diese auch in anderen Organen wie der Haut, Herz, Lunge, Nieren sowie im Bindegewebe von Gehirn und Rückenmark (Meningen) nachweisen. Dort führen sie nicht zu solch schwerwiegenden Problemen wie beim Pseudoexfoliationsglaukom. Aufgrund des gemeinsamen Auftretens in unterschiedlichen Organen ist man von der Bezeichnung PEX-Glaukom abgekommen und spricht vom Pseudoexfoliations-Syndrom (PEX-Syndrom).
Im Gespräch ist auch die Möglichkeit einer Schädigung des Sehnervs durch PEX-Ablagerungen auf den Hirnhäuten.
Im Vergleich zur häufigsten Art des Glaukoms, dem primären Offenwinkelglaukom, ist beim PEX-Glaukom mit einem raschen Fortschreiten der Erkrankung zu rechnen. Für den Patienten wird das Geschehen meist erst durch erste Ausfälle des Gesichtsfeldes offenkundig.
Für den Arzt ist das PEX-Glaukom zusätzlich durch einen durch häufige Schwankungen charakterisierten Augeninnendruck erkennbar. Beim Blick in das Auge könnte das PEX-Glaukom fälschlicherweise mit einem Glaukomanfall verwechselt werden.
Zur Diagnose wird üblicherweise die Spaltlampe herangezogen. Mit dieser lässt sich ein detaillierter Blick auf die inneren Strukturen des Auges werfen. Im fortgeschrittenen Stadium lassen sich die Kapselhäutchen auf der Linse erkennen. Schwieriger gestaltet sich der Nachweis, wenn die Erkrankung im Frühstadium ist oder wenn die Ablagerungen aufgrund von Verklebungen (durch eine vorangegangene Behandlung mit Pilocarpin) nicht sichtbar sind.
Am besten gelingt der Nachweis des Pseudoexfoliationsglaukoms unter dem Elektronenmikroskop, auch wenn dies für die Routinediagnostik nicht geeignet ist.
Ferner kann der Arzt bei einer PEX-Symptomatik die Lockerung der Linse des Auges in ihrem Halteapparat feststellen. Die Linse kann dabei aus ihrer Aufhängung teilweise herausgleiten und sich in Teilen auflösen. Diese seltene Komplikation ist unter dem Namen phakolytisches Glaukom bekannt.
Ziel der Therapie ist es, den Augeninnendruck zu senken und damit eine weitere Schädigung zu vermeiden. Da es sich um einen Gendefekt handelt ist, eine ursächliche Behandlung nicht möglich. Dem Arzt stehen vor allem für die örtliche Behandlung Augentropfen mit unterschiedlicher Wirkweise zur Verfügung. Die Verabreichung von Pilocarpin, das sonst bei einigen Formen des Glaukoms eingesetzt wird, geschieht jedoch nur unter Vorbehalt. Dieses Medikament kann das Krankheitsgeschehen erheblich verschlechtern.
Das Pseudoexfoliationsglaukom geht häufig mit einem rasch ansteigenden Augeninnendruck einher. Daher ist ein operativer Eingriff vielfach nicht zu vermeiden. Als Methode mit einer günstigen Prognose hat sich einer Studie zufolge das Anlegen einer zusätzlichen Öffnung, durch die das Kammerwasser abfließt (mikrochirurgische Trabekulektomie), herausgestellt. In den ersten beiden Jahren nach der Operation kamen die Ergebnisse demselben Eingriff bei der häufigsten Glaukomform (dem primären Offenwinkelglaukom) gleich. Später mussten die teilnehmenden Patienten zunehmend auf örtlich wirkende Augentropfen zurückgreifen.
Ein gleichwertiges Ergebnis scheint die Wiederherstellung des Abflusses durch die Methode der Trabekuloplastik zu erbringen. Als Komplikation werden nach dem Eingriff entzündliche Reaktionen des Auges sowie ein vorübergehender Anstieg des Augeninnendrucks beobachtet. Die Patienten sollten sich daher im Anschluss einer engmaschigen Kontrolle unterziehen.
Leider führen die Therapieansätze nicht in jedem Fall zu einer zufriedenstellenden Besserung. Als letztes Mittel wird eine Grauer-Star-Operation durchgeführt. Da die Linse entfernt wird, wird bei der OP die Ursache des Pseudoexfoliationsglaukoms beseitigt. Auf diese Weise kann eine dauerhafte Senkung des Augeninnendrucks erreicht werden. Im Extremfall kann eine komplette Entfernung des Auges (Enukleation) erforderlich sein.
Ein frühzeitiges Erkennen eines Pseudoexfoliationsglaukoms kann zu einer günstigen Prognose führen. Vielfältige Behandlungsmöglichkeiten lassen heute eine auf den Patienten individuell zugeschnittene Therapie zu.
Universitätsklinikum Erlangen, Augenklinik – Spezialgebiet: Pseudoexfoliations (PEX)-Syndrom und PEX-Glaukom: https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung-und-lehre/erlanger-glaukomregister/spezialgebiet-pseudoexfoliations-pex-syndrom-und-pex-glaukom/ (online, letzter Abruf: 17.04.2020)
Bayerisches Ärzteblatt, Prof. Dr. med. habil. Ines Lanzl – Drei Highlights aus der Augenheilkunde: https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/inhalte/details/news/detail/News/drei-highlights-aus-der-augenheilkunde.html (online, letzter Abruf: 17.04.2020)
Selbsthilfegruppe Glaukom Lörrach – Pseudoexfoliationsglaukom: https://www.glaukom-shg-loerrach.de/html/pex-glaukom.html (online, letzter Abruf: 17.04.2020)
Ärzteblatt – Gen für Kapselhäutchenglaukom entdeckt: https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=321&typ=1&nid=29454&jahr=2007 (online, letzter Abruf: 17.04.2020)
DISSERTATION: Die Hornhautendothelzelldichte in Abhängigkeit vom Schweregrad der Pseudoexfoliation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor medicinae (Dr. med.) vorgelegt der Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin von Mechthild Wünscher: https://d-nb.info/1023750260/34 (online, letzter Abruf: 17.04.2020)
aktualisiert am 17.04.2020