Prof. Sehouli: Das Endometriumkarzinom wird auch als Gebärmutterkörper- oder Gebärmutterschleimhaustkrebs bezeichnet. Im Gegensatz zum Gebärmutterhalskrebs, dem Zervixkarzinom, der nur den äußeren Bereich der Gebärmutter, dem Gebärmutterhalsbetrifft, handelt es sich beim Gebärmutterkörperkrebs um den inneren Bereich der Gebärmutter, der Schleimhaut.
In dieser Region findet die Menstruation statt, d.h. die Gebärmutterschleimhaut wird abgebaut und verursacht die monatliche Blutung bei Frauen. Der Gebärmutterkörperkrebs ist somit ein Drüsenkrebs, während der Gebärmutterhalskrebs, der dort auftritt, wo der Abstrich beim Frauenarzt entnommen wird, eine Art „Hautkrebs“ und meist als Plattenepithelkarzinom auftritt. Der Abstrich beim Frauenarzt ist empfindlich für Gebärmutterhalskrebs, aber nicht für Gebärmutterkörperkrebs, hier existiert somit kein echtes Vorsorgeprogramm.
Prof. Sehouli: Für das Endometriumkarzinom gibt es keine spezifische Früherkennungsuntersuchung. Wir werden später noch auf die Risikofaktoren eingehen, aber es gibt für Frauen keine üblichen Vorsorgeuntersuchungen wie Abstriche oder Bluttests zur Erkennung von Gebärmutterkörperkrebs. Es gibt jedoch einige Ausnahmen, insbesondere wenn eine genetische Belastung vorliegt. Ein Beispiel ist das sogenannte Lynch-Syndrom. Diese Erkrankung tritt manchmal zusammen mit Darmkrebs, Gebärmutterkörperkrebs und gelegentlich auch Eierstockkrebs auf.
Wenn diese Erkrankung in der Familie gehäuft auftritt, kann eine spezielle Vorsorgeuntersuchung durchgeführt werden. Bei dieser Untersuchung handelt es sich nicht um den klassischen Gebärmutterhalsabstrich, sondern um eine sogenannte Pipelle-Untersuchung. Dabei wird ein Stift in die Gebärmutter eingeführt, und zwar nicht nur von außen wie bei einer Hautuntersuchung, sondern direkt in das Organ hinein. Diese Methode ist nur für eine sehr kleine und seltene Gruppe von Patientinnen mit Lynch-Syndrom indiziert, bei denen Darmkrebs, Gebärmutterkörperkrebs, Eierstockkrebs und sehr selten auch Hirntumore in der Familie vorkommen.
Für das Endometriumkarzinom gibt es keine spezifische Früherkennungsuntersuchung.
Prof. Sehouli: Gebärmutterkörperkrebs ist ein klassischer Tumor, der bei älteren Frauen auftritt. Ein entscheidendes Symptom, das in der Medizin als Kardinalsymptom bezeichnet wird, ist die postmenopausale Blutung. Das bedeutet, dass eine Frau, die bereits die Wechseljahre hinter sich hat, plötzlich wieder zu bluten beginnt. Typischerweise betrifft dies Frauen im Alter von etwa 60 bis 70 Jahren. Diese Blutung sollte immer als mögliches Anzeichen für Gebärmutterkörperkrebs angesehen werden.
Natürlich gibt es auch andere Ursachen für solche Blutungen, wie z.B. Blutverdünner bei Herzerkrankungen oder Entzündungen, die zu Ausfluss führen können. Wichtig ist jedoch, dass nicht nur ältere Frauen an Gebärmutterkörperkrebs erkranken können. Auf dem weltgrößten Krebskongress in Chicago wurde festgestellt, dass auch jüngere Frauen im Alter von 20 bis 29 Jahren zunehmend von Gebärmutterkörperkrebs betroffen sind. Dies hängt mit dem Lebensstil zusammen, da Bewegungsmangel und Übergewicht als Risikofaktoren gelten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gebärmutterkörperkrebs zwar klassischerweise eine Erkrankung älterer Frauen ist, aber auch jüngere Frauen betroffen sein können. Frauen jeden Alters sollten daher auf entsprechende Symptome achten und gegebenenfalls ärztlichen Rat einholen.
Prof. Sehouli: Ich halte es für sehr wichtig, dass man sich beim Thema Vorsorge darauf konzentriert, was überhaupt krank macht. Es wird schnell klar, dass der Lebensstil einen besonderen Einfluss auf unsere Gesundheit hat - und nicht nur auf eine bestimmte Krankheit. Gesundheit ist definiert als körperliches, soziales und psychisches Wohlbefinden. Wenn ich von Risikofaktoren spreche, meine ich die klassischen Faktoren, die zu Schlaganfall, Herzinfarkt, Brustkrebs oder auch Darmkrebs führen können. Bewegung und Körpergewicht spielen dabei eine zentrale Rolle. Gebärmutterkörperkrebs ist da keine Ausnahme.
Es gibt genetische Risikofaktoren, aber sie sind nicht so wichtig wie bei Brust- oder Eierstockkrebs. So kommt das BRCA-Gen, das mit einem erhöhten Risiko für Brust- und Eierstockkrebs in Verbindung gebracht wird, bei 15 bis 20% der Bevölkerung vor. Bei Gebärmutterkörperkrebs ist das Lynch-Syndrom viel seltener, es betrifft nur etwa 3 bis 5% der Frauen. Der Lebensstil spielt eine große Rolle und es ist wichtig, auch das familiäre Risiko zu berücksichtigen.
Prof. Sehouli: Gebärmutterkörperkrebs kann verschiedene Symptome verursachen. Das klassische Symptom ist die postmenopausale Blutung. Das lateinische Wort "post" bedeutet "danach", d.h. dieses Symptom tritt auf, wenn die letzte Regelblutung bereits hinter Ihnen liegt und plötzlich wieder Blutungen auftreten. Es ist eines der ersten Kardinalsymptome und Sie sollten sofort einen Gynäkologen aufsuchen, auch wenn es sich nur um eine leichte Blutung handelt. Der Arzt wird dann den Bereich der Gebärmutter untersuchen und eventuell eine Ultraschalluntersuchung durchführen.
Manchmal ist der Ausfluss fleischfarben. Das kann darauf hinweisen, dass sich Gewebe von der Gebärmutterschleimhaut gelöst hat und in die Scheide gelangt ist. Auch ein neuer, verfärbter oder übelriechender Ausfluss kann ein Risikosymptom sein. Bei unklaren Unterleibsbeschwerden, die nach zwei bis drei Wochen nicht verschwinden, empfehle ich ebenfalls, eine Frauenärztin/-arzt aufzusuchen. Dieser kann dann die Gebärmutter, die Eierstöcke und die Eileiter untersuchen. Es ist wichtig zu wissen, dass Symptome wie Müdigkeit und Nachtschweiß, die bei anderen Tumoren, wie Blutkrebs häufig auftreten, bei Gebärmutterkörperkrebs sehr selten sind. Im Vergleich zu Eierstockkrebs wird Gebärmutterkörperkrebs oft in früheren Tumorstadien diagnostiziert, da er schneller Beschwerden verursacht.
Meine Mutter erkrankte auch an Gebärmutterkörperkrebs und hat sich zuerst nicht getraut, darüber zu sprechen, weil die Blutung sehr gering war. Es kommt aber nicht auf die Menge oder die Farbe an. Bei jedem dieser Symptome sollte man auf jeden Fall einen Gynäkologen aufsuchen.
Das klassische Symptom ist die postmenopausale Blutung...dieses Symptom tritt auf, wenn die letzte Regelblutung bereits hinter Ihnen liegt und plötzlich wieder Blutungen auftreten.
Prof. Sehouli: Vor der Behandlung stehen immer Diagnose und Anamnese. Dabei wird geklärt, welche Beschwerden Sie haben und ob es Begleiterkrankungen gibt. Es ist gar nicht so selten, dass eine Frau mit Gebärmutterkörperkrebs zusätzlich an Bluthochdruck oder Diabetes leidet. Wir wissen, dass Diabetes nicht nur zu Übergewicht führt, sondern auch das Immunsystem schwächt. Deshalb ist die Anamnese so wichtig.
Der nächste Schritt ist die Untersuchung des Gebärmutterkörpers. Dazu wird ein Ultraschall über die Scheide gemacht, um die Gebärmutterschleimhaut zu sehen. Bei einer 60-jährigen Frau sollte die Schleimhaut sehr dünn sein. Ist sie verdickt, ist das verdächtig. In diesem Fall wird eben eine Hysteroskopie durchgeführt, indem man eine Kamera in die Gebärmutter einführt und eine Gewebeprobe entnimmt. So lässt sich die Diagnose am besten sichern.
Prof. Sehouli: Die gute Nachricht ist, dass sich das Wissen über Gebärmutterkörperkrebs in den letzten 10 Jahren revolutioniert hat. Dieses neue Verständnis betrifft sowohl die Biologie des Tumors als auch die therapeutischen Möglichkeiten, die heute als revolutionär gelten. Früher galt das Endometriumkarzinom als eine Erkrankung, die vor allem ältere, eher gebrechliche Frauen betrifft, und die Behandlung beschränkte sich meist auf die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie), die Entfernung regionaler Lymphknotenund eventuell eine Strahlentherapie. Diese Sichtweise ist jedoch überholt und sollte auf jeden Fall überholt sein!
Heute ist Gebärmutterkörperkrebs eine der Krankheiten, bei denen die personalisierte Behandlung am weitesten fortgeschritten ist. Es gibt Situationen, in denen die Gebärmutter erhalten und stattdessen medikamentös behandelt werden kann. Auch die chirurgische Technik hat große Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Thematik der Lymphknoten. Auch die Immuntherapie hat sich rasant entwickelt.
Die schlechte Nachricht ist, dass diese Fortschritte noch nicht allen Patienten zugutekommen. Das liegt daran, dass die notwendigen Strukturen noch nicht überall vorhanden sind und viele immer noch glauben, dass jeder Arzt Gebärmutterkörperkrebs behandeln kann. Das ist falsch. Die alte Medizin, die Tumorproben nur unter dem Mikroskop betrachtet, ist überholt. Heute wird erwartet, dass die genetische Information des Tumors genauer untersucht wird, um zu sehen, ob der Tumor bestimmte Proteine enthält, ob er Anzeichen von Instabilität bei der DNA-Reparatur zeigt, ob er hormonempfindlich ist oder bestimmte Mutationen aufweist, die das Immunsystem aktivieren können.
Diese personalisierte Therapie ist jedoch noch nicht überall verfügbar. Deshalb ist es so wichtig, dass es Gesundheitsportale gibt, die Patienten informieren und aufklären, damit sie die beste Diagnose, Therapie und Nachsorge erhalten. Besonders beim Gebärmutterkörperkrebs müssen wir uns anstrengen, da es für diese Erkrankung noch keine spezialisierten Zentren gibt, aber zertifizierte gynäkologische Krebszentren. Auf europäischer Ebene arbeiten wir intensiv daran, diese Netzwerke zu verdichten. Ich freue mich, dass wir an der Charité das erste zertifizierte Zentrum für Gebärmutterkörperkrebs haben und bin optimistisch, dass wir mit Unterstützung die Behandlung in ganz Deutschland verbessern können.
Prof. Sehouli: Das Endometriumkarzinom ist eine Erkrankung, die glücklicherweise Zeit zum Nachdenken lässt. Im Gegensatz zu schnell fortschreitenden Erkrankungen, wie der akuten Leukämie, bei der sofort behandelt werden muss, wächst der Tumor beim Endometriumkarzinom, also beim Gebärmutterkörperkrebs, in der Regel langsamer.
Beim Gebärmutterkörperkrebs versuchen wir, minimal-invasiv zu operieren, entweder laparoskopisch durch ein Schlüsselloch oder roboterassistiert. Bei Gebärmutterhalskrebs hat sich diese Methode allerdings als weniger sinnvoll erwiesen, wie Studien gezeigt haben. Unser Ziel ist es, bei Gebärmutterkörperkrebs den schonendsten Weg zu wählen und das ist in der Regel die minimal-invasive Operation. Dennoch sollte man vor einer Operation das Gewebe genauer untersuchen und molekulare Signaturen analysieren, um das Risiko für die Patientin abzuschätzen. Möglicherweise ist ein weniger radikaler Eingriff ausreichend.
Bevor an eine Operation gedacht werden kann, muss ein Tumorkonzept erstellt werden. Dafür braucht man die Erfahrung eines spezialisierten Zentrums, am besten eines von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Gynäkologischen Krebszentrums. Diese Zentren haben hohe Qualitätsstandards und halten regelmäßig Tumorkonferenzen ab. Sie bieten auch Zugang zu Studien, die neueste Therapien und zusätzliche Qualitätskriterien garantieren. Gerade in einem gynäkologischen Krebszentrum, dass über eine gute Struktur und Expertise verfügt, ist es wichtig, eine Zweitmeinung einzuholen. Dies gilt sowohl für die Planung der Operation als auch für die Nachbehandlung. Oft wird noch nach dem alten Muster "immer Chemo oder immer Bestrahlung" vorgegangen, aber das muss nicht immer so sein. Deshalb empfehle ich, vor jeder Operation oder Therapie, sei es Chemotherapie, Immuntherapie, Bestrahlung oder endokrine Therapie, eine Zweitmeinung in einem gynäkologischen Krebszentrum einzuholen. Die Zeit dafür ist in der Regel vorhanden.
Beim Gebärmutterkörperkrebs versuchen wir, minimal-invasiv zu operieren, entweder laparoskopisch durch ein Schlüsselloch oder roboterassistiert.
Prof. Sehouli: Die sogenannte Checkpoint-Inhibition hat wirklich einen Durchbruch in der Behandlung von Gebärmutterkörperkrebs gebracht. Ich habe selbst an den Studien mitgewirkt, die diese Methode eingeführt haben. Viele Jahre lang glaubte man, Gebärmutterkörperkrebs könne nicht richtig behandelt werden. Checkpoint-Inhibition bedeutet, dass das Immunsystem und die Krebszellen miteinander interagieren. Bei vielen Patientinnen mit Gebärmutterkörperkrebs besteht das Problem darin, dass das Immunsystem den Krebs nicht erkennt, weil sich die Krebszellen als körpereigene Zellen tarnen. Diese Tarnung täuscht das Immunsystem, sodass es die Krebszellen nicht angreift.
Es gibt jedoch Medikamente, die diese Tarnung aufheben. Diese sogenannten Checkpoint-Inhibitoren entlarven die Krebszellen als fremd. Dann kann das Immunsystem die Krebszellen angreifen und zerstören. Diese Immuntherapie, insbesondere die Checkpoint-Inhibition, ist ein großer Fortschritt. Wir haben damit begonnen, die Checkpoint-Inhibition bei einer bestimmten Gruppe von Patienten einzusetzen, nämlich bei sogenannten Mikrosatelliten-Instabilen (MSI) Tumoren. Diese Tumoren haben eine instabile DNA, die sich nicht gut selbst reparieren kann. In Studien, in denen Patienten mit und ohne diese Therapie verglichen wurden, zeigten sich signifikante Unterschiede und eine klinisch relevante Überlegenheit der Immuntherapie allein oder in Kombination mit Chemotherapie.
Inzwischen ist diese Therapie sowohl in den USA als auch in Europa und weltweit zur Erstlinientherapie, also zu einer Standardbehandlung geworden. Immuntherapien sind unverzichtbar geworden. Wir haben viele Situationen, in denen wir keine Chemotherapie mehr geben, sondern nur noch diese Therapie einsetzen, vor allem bei Rückfällen. Die Checkpoint-Inhibition begann ursprünglich beim Hautkrebs und hat sich inzwischen auf andere Krebsarten wie Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Darmkrebs, Nierenzellkrebs und Lungenkrebs ausgeweitet. Diese Therapie hat die Behandlungslandschaft massiv zum Positiven verändert.
Ich habe viele Frauen behandelt, die noch vor wenigen Jahren als hoffnungslos galten. Diese Frauen hatten z.B. Metastasen in der Lunge oder Leber. Und jetzt, im dritten oder vierten Jahr mit dieser Immuntherapie, haben sie kein Tumorwachstum mehr und dieses Wachstum ist praktisch zum Stillstand gekommen.
Prof. Sehouli: Nun, ich bin ein Mensch, der sehr gerne über Heilsamkeit spricht und nicht nur über Heilung, obwohl die Patienten immer Heilung wollen. Es ist wie bei der Fußballweltmeisterschaft: Alle reden vom Finale, aber ich sage: Wie wäre es mit einer Vorrunde, einem Achtelfinale, einem Viertelfinale, einem Halbfinale? Ja, Gebärmutterkörperkrebs ist heilbar und das ist auch das Ziel. Wenn der Tumor wiederkommt, ist es schwierig, von Heilung zu sprechen. Aber wir haben Frauen, die einen Rückfall hatten und trotzdem seit über fünf Jahren tumorfrei sind. Bei einem Rezidiv, also Wiederauftreten des Tumors, fällt es schwer, von Heilung zu sprechen, aber das Langzeitüberleben (“cancer survivorship“) haben wir.
Gerade für Frauen mit Gebärmutterkörperkrebs, die länger als fünf Jahre tumorfrei sind, haben wir eine Sprechstunde etabliert. Das ist sehr häufig und das ist auch gut so. Bei Gebärmutterkörperkrebs ist es wichtig, die anderen Erkrankungen nicht zu vernachlässigen. Häufig sind es Bluthochdruck, Herzschwäche und deshalb ist es wichtig, dass man in der Nachsorge nicht nur das kleine Becken, sondern die Frau als Ganzes sieht und sich auf die allgemeine Gesundheit konzentriert. Gebärmutterkörperkrebs ist heilbar!
Bei Gebärmutterkörperkrebs ist es wichtig, die anderen Erkrankungen nicht zu vernachlässigen.
Prof. Sehouli: Es ist wichtig, die Familiengeschichte zu kennen. Es gibt bestimmte Kriterien: Wenn in der Familie jemand an Darmkrebs, Eierstock- oder Gebärmutterkörperkrebs erkrankt ist oder als Jugendlicher einen Hirntumor hatte, sollte man an das sogenannte Lynch-Syndrom denken. Dabei handelt es sich um eine angeborene Erkrankung mit erhöhtem Risiko, die besondere Vorsorgemaßnahmen wie regelmäßige Ultraschalluntersuchungen, Abstriche und Darmspiegelungen erfordert. Das betrifft aber nur eine kleine Gruppe.
Ansonsten gilt es, gesund zu bleiben. Gesundheit bedeutet, auf die Ernährung zu achten, denn wir alle essen zu viel und bewegen uns zu wenig. Das ist relativ banal und deshalb schlägt die WHO Alarm. Viele Milliarden Menschen leiden an Bewegungsmangel und falscher Ernährung und sterben nicht nur an Herzinfarkt oder Schlaganfall, sondern auch an Krebs. Gebärmutterkörperkrebs ist einer der häufigsten Tumore bei Frauen.
Prof. Sehouli: Ich bin seit 28 Jahren in der Medizin tätig und in dieser Zeit hat sich so viel verändert, dass ich Sie nicht mit allen Neuerungen überfordern möchte. Es gibt viele Entwicklungen, oft in kleinen Schritten, manchmal kaum bemerkt, aber die Veränderungen sind rasant und die Reise geht weiter. Deshalb sind wir in Deutschland so aktiv.
Wir haben zwei große Studiengruppen: die Nord-Ostdeutsche Gesellschaft für Gynäkologische Onkologie (NOGGO) und die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO). Gemeinsam versuchen wir, die Therapie auf europäischer und globaler Ebene schnell zu verändern und führen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und Studien zu diesem Thema durch.
Das Wichtigste ist, dass wir den Tumor nicht mehr nur so beschreiben, wie er unter dem Mikroskop aussieht. Vielmehr verstehen wir immer besser, dass wir in die Krebszelle und ihre Umgebung hineinschauen müssen, in die Erbinformation und die Proteine. Wir schauen also nicht nur auf das, was man von außen an den Zellen sieht, sondern gehen in die Tiefe und untersuchen Proteine und Rezeptoren. So haben wir neue Therapiekonzepte entwickelt. Der Tumor ist nicht mehr eine einheitliche Krankheit, sondern besteht aus verschiedenen Typen, die jeweils unterschiedliche Therapiekonzepte erfordern. Das ist das Geheimnis der personalisierten Medizin.
Personalisierte Medizin erfordert viel mehr Zeit, Technik und Wissen, aber auch mehr Einfühlungsvermögen, um die richtige Behandlung für den Patienten zu finden. Meine Gespräche mit den Patienten werden immer komplizierter, weil ich immer mehr weiß und immer mehr Informationen brauche. Ich muss mit Pathologen und Radiologen sprechen und gemeinsam diskutieren, denn oft gibt es nicht nur eine Therapiemöglichkeit.
Das ist die Kunst: der Patientin mehr als eine Option anzubieten und gemeinsam zu entscheiden, welche Therapie am besten geeignet ist. Wenn man zu einem Arzt geht, der einem nur eine Therapie empfiehlt, ist das nicht gut. Es gibt immer mehrere Therapiemöglichkeiten und es ist wichtig zu klären, was das Ziel der Behandlung ist: Geht es um Lebensqualität, Heilung oder die Zeit bis zum nächsten Tumorrezidiv? Diese Fragen sind entscheidend und machen meine Arbeit herausfordernd, aber ich finde sie großartig eine Lösung im Schulterschluss mit der Patientin zu finden, auf Augenhöhe und Herzenshöhe.
Der Tumor ist nicht mehr eine einheitliche Krankheit, sondern besteht aus verschiedenen Typen, die jeweils unterschiedliche Therapiekonzepte erfordern.
Prof. Sehouli: Grundsätzlich gibt es viel Forschung in diesem Bereich. Es ist wichtig zu wissen, dass Forschung bedeutet, nicht nur eine Patientin zu untersuchen, sondern alle Patienten aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und mehrfach zu untersuchen. Das ist der Mehrwert von Forschung. Eine Klinik, die an Studien teilnimmt, ist in der Regel besser als eine, die nicht teilnimmt. Denn sie setzt sich intensiver mit den Themen auseinander. Studien haben gezeigt, dass das auch für die Prognose wichtig ist, nicht nur bei Gebärmutterkörperkrebs, sondern bei allen Erkrankungen.
Forschungsthemen gibt es viele. Ein wichtiges Thema ist die stärkere Einbeziehung von Patienten in die Planung, Durchführung und Interpretation von Studien. Sie sollen nicht nur Versuchskaninchen sein, sondern aktiv mitwirken - das nennt man Partizipation. Ein weiterer Schritt ist, die Lebensqualität stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Das nennt man patientenorientierte Forschung, bei der Aspekte der Lebensqualität und Nebenwirkungen, insbesondere von Chemotherapien, eine große Rolle spielen. Chemotherapien sind oft unpräzise und verursachen starke Nebenwirkungen wie Haarausfall, Taubheit in Fingern und Füßen, Müdigkeit und Geschmacksstörungen.
Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft ganz auf Chemotherapie verzichten können. Es wird immer Situationen geben, in denen eine Chemotherapie notwendig ist, genauso wie Operationen. Aber die Strategie ist, von der Chemotherapie wegzukommen oder sie durch neue Medikamente zu verändern. Es gibt neue Krebsmedikamente, die eine Mischung aus Chemotherapie und Immuntherapie sind, sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Sie versuchen, mit einem Trick in die Tumorzelle einzudringen, um dort die Chemotherapie freizusetzen, eine höhere Dosis zu erreichen und immunologische Prozesse auszulösen.
Die Zukunft liegt in der Kombination neuer Krebsmedikamente mit der Immuntherapie. Die Frage ist, ob dies als Cocktail oder nacheinander geschieht. Eine weitere Herausforderung ist die Kombination der Immuntherapie mit der Antihormontherapie bei Gebärmutterkrebs. Derzeit gibt es vier Gewebetypen in der molekularen Signatur, aber ich bin sicher, dass wir bald mehr als vier haben werden, vielleicht sechs oder acht. Dann werden wir für jede Patientin spezifische Algorithmen haben, die zeigen, welche Therapie am besten passt. Ich freue mich, dass die Therapie immer komplexer wird. Die Herausforderung ist, komplizierte Dinge einfach zu erklären. Das zeigt, ob man sie verstanden hat. Aber es gibt keine Alternative!
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 10.10.2024.