Die Frozen Shoulder ist eine Erkrankung der Schulter, die zu starken Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in drei Phasen führt: zunehmende Steifheit (Freezing-Phase), anhaltende Steifheit mit nachlassenden Schmerzen (Frozen-Phase) und langsame Besserung (Thawing-Phase). Die genauen Ursachen sind unklar, aber Entzündungen und Autoimmunreaktionen spielen eine Rolle. Die Behandlung reicht von Schmerzmitteln und Physiotherapie bis hin zu neuen Verfahren wie der TAPE-Methode zur Schmerzlinderung.
Dr. Gilbert: Eine Frozen Shoulder, auch Schultersteife oder adhäsive Kapsulitis genannt, ist eine schmerzhafte Erkrankung des Schultergelenks, bei der die Beweglichkeit der Schulter stark eingeschränkt wird. Typischerweise beginnt die Erkrankung plötzlich mit Schmerzen, die sich mit der Zeit verschlimmern, während die Beweglichkeit des Gelenks immer weiter abnimmt.
Der Verlauf wird in drei Phasen unterteilt:
Die Erkrankung betrifft häufiger Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr und ist häufig mit anderen Erkrankungen wie Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Diabetes assoziiert. Die Krankheit dauert oft zwei bis drei Jahre, und obwohl sie sich meist von selbst verbessert, bleibt bei vielen Patienten eine gewisse Einschränkung der Schulterbeweglichkeit bestehen.
Dr. Gilbert: Die genauen Ursachen einer Frozen Shoulder sind nicht vollständig geklärt, aber mehrere Faktoren werden als mögliche Auslöser diskutiert. Man unterscheidet zwischen einer primären (idiopathischen) und einer sekundären Frozen Shoulder, wobei die primäre ohne klare Ursache auftritt. Erkrankungen, die in Assoziation mit der FS stehen, sind Schilddrüsenfunktionsstörungen, kardiovaskuläre oder pulmonale Erkrankungen oder vorausgegangene Schlaganfälle.
Die genaue Pathogenese ist weiterhin unbekannt. Die bisherige Literatur deutet ein zugrundeliegendes inflammatorisches Geschehen mit Fibrosierung und Schrumpfung der Kapsel an. Eine sekundäre Frozen Shoulder entsteht z.B. nach Unfällen oder Operationen im Bereich der Schulter. Auch eine mögliche infektiöse Ursache insbesondere mit Blick auf den anaeroben Hautkommensalen Cutibacterium acnes wird diskutiert.
Die genauen Ursachen einer Frozen Shoulder sind nicht vollständig geklärt, aber mehrere Faktoren werden als mögliche Auslöser diskutiert.
Dr. Gilbert: Bei einer Frozen Shoulder treten die Symptome in drei Phasen auf, die sich über mehrere Monate bis Jahre erstrecken. In der ersten Phase, der sogenannten Freezing-Phase, kommt es zu einem plötzlichen Beginn von Schmerzen in der Schulter, die sich im Laufe der Zeit verschlimmern. Die Schmerzen sind meist diffus und tief und verstärken sich insbesondere bei Bewegung sowie nachts. Parallel dazu nimmt die Beweglichkeit des Schultergelenks allmählich ab, was zu einer zunehmenden Einschränkung im Alltag führt. Diese Phase dauert in der Regel zwischen 10 und 36 Wochen.
In der zweiten Phase, der Frozen-Phase, klingen die Schmerzen zwar allmählich ab, aber die Steifheit der Schulter bleibt bestehen. In dieser Phase ist die Beweglichkeit der Schulter stark eingeschränkt, insbesondere die Außenrotation. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, alltägliche Bewegungen wie das Heben des Arms oder das Greifen nach Gegenständen hinter dem Rücken auszuführen. Diese Phase kann zwischen 4 und 12 Monaten andauern.
In der dritten Phase, der Thawing-Phase, verbessert sich die Beweglichkeit der Schulter allmählich und die Schmerzen klingen weiter ab. Die Schulter "taut auf" und der Bewegungsumfang nimmt wieder zu. Diese Phase kann bis zu 12 bis 42 Monate andauern. Obwohl viele Patienten nach dieser Phase eine deutliche Besserung erleben, erreichen nicht alle das vollständige Bewegungsniveau vor Beginn der Erkrankung. Einige Patienten behalten langfristig eine gewisse Einschränkung der Schulterbeweglichkeit bei.
Dr. Gilbert: Die Diagnose einer Frozen Shoulder von anderen Schultererkrankungen zu unterscheiden, erfordert eine sorgfältige klinische Untersuchung und den Ausschluss anderer Ursachen. Hier sind einige wichtige Merkmale, die eine Frozen Shoulder charakterisieren und von anderen Schultererkrankungen abgrenzen:
Eine der wichtigsten Eigenschaften der Frozen Shoulder ist die fortschreitende Einschränkung der Beweglichkeit sowohl in aktiver als auch passiver Bewegung. Im Gegensatz zu anderen Schultererkrankungen, wie der Rotatorenmanschettenruptur oder der Schultergelenksarthrose, sind bei der Frozen Shoulder sowohl die eigene Anstrengung (aktive Bewegung) als auch die durch den Arzt ausgeführte Bewegung (passive Bewegung) stark eingeschränkt, insbesondere bei der Außenrotation. Diese Einschränkung tritt unabhängig von Schmerzen auf, was ein diagnostisches Merkmal der Frozen Shoulder darstellt.
Während die Frozen Shoulder typischerweise schleichend beginnt und zu einer allmählichen Versteifung führt, sind andere Schultererkrankungen oft durch spezifische Verletzungen oder Überlastungen ausgelöst. Zum Beispiel ist die Rotatorenmanschettenruptur oft mit einem akuten Trauma oder einer wiederholten Belastung verbunden und zeigt sich durch starke Schmerzen bei bestimmten Bewegungen, insbesondere beim Anheben des Arms über den Kopf, aber ohne die starke Einschränkung der passiven Beweglichkeit, wie sie bei der Frozen Shoulder vorliegt.
Auch die Krankheitsphasen können helfen bei der Differenzierung: Die Frozen Shoulder verläuft klassischerweise in den drei beschriebenen Phasen (Freezing, Frozen und Thawing), während andere Erkrankungen wie Tendinitis oder Bursitis sich typischerweise nicht so phasenhaft entwickeln. Bildgebende Verfahren wie Röntgenaufnahmen oder MRTs können ebenfalls hilfreich sein, um andere Erkrankungen auszuschließen. Bei der Frozen Shoulder sind diese meist unauffällig oder zeigen eine Schrumpfung der Gelenkkapsel, während andere Erkrankungen wie Arthrose, Sehnenverletzungen oder Gelenkentzündungen spezifische Veränderungen wie Knochenabnutzungen oder Sehnenrisse zeigen können.
Eine der wichtigsten Eigenschaften der Frozen Shoulder ist die fortschreitende Einschränkung der Beweglichkeit sowohl in aktiver als auch passiver Bewegung.
Dr. Gilbert: Es wird vermutet, dass eine dysregulierte Immunantwort zur Entstehung der Frozen Shoulder beitragen könnte. Es gibt Hinweise darauf, dass Autoimmunprozesse beteiligt sein könnten, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise körpereigenes Gewebe angreift, was zu einer Entzündung und Fibrosierung der Schultergelenkkapsel führt. Dies könnte auch erklären, warum die Erkrankung häufig in Verbindung mit systemischen Erkrankungen wie Diabetes, Schilddrüsenfunktionsstörungen und anderen Autoimmunerkrankungen auftritt.
Diese Erkrankungen sind bekannt dafür, dass sie das Immunsystem beeinflussen und möglicherweise eine übermäßige oder fehlerhafte Immunantwort auslösen. Gleichzeitig kann ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis theoretisch dazu führen, dass jede Schulter nur einmal betroffen sein kann, weil das Immunsystem den gesamten Zyklus bereits einmal durchlaufen hat und eine spezifische Reaktion erlernt hat die verhindert dass die gleiche Art von Entzündung erneut auftritt. Letztlich sind dies alles Hypothesen, die genauen Ursachen und Mechanismen hinter der Frozen Shoulder bleiben seit ihrer Erstbeschreibung weiterhin ein Mysterium.
Dr. Gilbert: Ab dem mittleren Alter beginnt das Immunsystem sich zu verändern. Dieser Prozess, bekannt als Immunoseneszenz, führt zu einer Verringerung der Effizienz des Immunsystems, insbesondere der Regulation von Entzündungen. Dies könnte erklären, warum Entzündungsprozesse, wie sie bei der Frozen Shoulder auftreten, in diesem Altersbereich häufiger sind. Das gestörte Gleichgewicht zwischen entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Prozessen könnte zu einer übermäßigen und anhaltenden Entzündungsreaktion in der Schultergelenkkapsel führen, was eine Fibrosierung und Versteifung des Gewebes begünstigt.
Dr. Gilbert: Es gibt unterschiedliche Ausprägungsgrade einer Frozen Shoulder. Eine grundsätzliche Behandlungsbedürftigkeit ist bei gering symptomatischen Verläufen nicht gegeben, da die Erkrankung als selbstlimitierend gilt. Oftmals haben die Patienten aber einen erheblichen Leidensdruck und suchen aufgrund ausbleibender Besserung der Therapien zahlreiche Behandler auf. Auch in der Therapie gibt es bisher keinen klaren Konsens, zusätzlich unterscheiden sich die Ansätze abhängig von dem jeweiligen Stadium. Weit verbreitet ist in erster Linie die Einnahme von Nichtsteroidalen Antirheumatika-(NSAR) zur Analgesie, sowie ein konservatives Therapieschema mittels Physiotherapie.
Auch Corticosteroide haben intraartikulär injiziert oder oral verabreicht vor allem kurzfristig bis zu 3 Wochen nach Krankheitsbeginn einen positiven Effekt auf das Schmerzniveau sowie das Inflammationsgeschehen. Längerfristig nimmt dieser Effekt ab und es überwiegen die zahlreichen Nebenwirkungen, insbesondere bei systemischer Gabe. Weiterhin existieren Behandlungen mit intra-artikulären Sodium-Hyaluron-Injektionen, Hydrodilatation der Schulterkapsel oder Suprascapulärer Nervenblockade, insgesamt mit relativ geringer Evidenz.
Bei erfolgloser konservativer Therapie und persistierender Bewegungseinschränkung kann eine arthroskopische Arthrolyse zu einer Verbesserung der langfristigen Beweglichkeit führen. (Date & Rahman, 2020) Eine Standardisierung des Eingriffs mit definiertem Ausmaß des Kapselrelease fehlt bisher jedoch und ist daher stark mit der Erfahrung des Operateurs variiert.
Eine relativ neue Methode zur Behandlung der Frozen Shoulder ist die sogenannte TAPE (Transarterielle periartikuläre Embolisation). Bei diesem Verfahren werden im Rahmen einer digitalen Subtraktionsangiographie (DSA) über einen transarteriellen Zugang selektiv kleine periartikuläre Arterien mittels eines Gemischs aus Imipenem/Cilastatin und jodhaltigem Kontrastmittel für etwa 48 Stunden temporär verschlossen. Das Verfahren konnte in mehreren Studien eine gute Wirksamkeit insbesondere für die Schmerzkomponente der Frozen Shoulder zeigen.
Eine relativ neue Methode zur Behandlung der Frozen Shoulder ist die sogenannte TAPE (Transarterielle periartikuläre Embolisation).
Dr. Gilbert: In der Regel ist die Erkrankung nach 1-3 Jahren selbstlimitierend.
Dr. Gilbert: Insbesondere in der Schmerzphase bringt Physiotherapie erfahrungsgemäß relativ wenig. In der Freezing Phase und nach Abklingen der Schmerzsymptomatik ist die Physiotherapie unserer Erfahrung nach hilfreich, um die Beweglichkeit des Schultergelenkes zu verbessern. Spezielle Übungen umfassen hierbei die Fingerleiter-Übung, die Außenrotation mit Stock, der Handtuch-Stretch oder die Kletterübung am Türrahmen.
Dr. Gilbert: Eine Frozen Shoulder kann eine erhebliche Auswirkungen auf das Arbeits- und Sozialleben der Patienten haben. Es können bereits Aktivitäten, die normalerweise selbstverständlich sind, wie das Kämmen der Haare, das Anziehen der Kleidung oder das Greifen der Gegenstände in höheren Regalen extrem schwierig oder unmöglich werden. Berufe mit körperlicher Arbeit, die den Einsatz der Arme erfordern, können beeinträchtigt sein und bis zur (vorübergehenden) Berufsunfähigkeit führen.
Aber auch die psychosoziale Komponente einer Frozen Schoulder muss beachtet werden. Die Patienten fühlen sich durch die Erkrankung extrem belastet, gleichzeitig aber auch frustriert, da die konventionellen Therapien oft versagen und das Krankheitsbild grundsätzlich als harmlos betrachtet wird. Der Leidensdruck und die damit einhergehenden Einschränkungen werden aber als stark empfunden. Dies kann bis zur Entwicklung von manifesten Depression führen.
Berufe mit körperlicher Arbeit, die den Einsatz der Arme erfordern, können beeinträchtigt sein und bis zur (vorübergehenden) Berufsunfähigkeit führen.
Dr. Gilbert: Neben den zuvor genannten psychosozialen Folgen, die in der Regel nach Ausklingen der Erkrankung besser werden, kann eine Frozen Shoulder zu einer langfristigen Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes durch die Fibrosierung der Kapsel führen. Chronische Schmerzzustände sind vereinzelt beschrieben aber insgesamt als selten zu betrachten.
Dr. Gilbert: Ein besonders vielversprechender neuer Behandlungsansatz ist die sogenannte TAPE. Hierbei werden kleinste periartikuläre Arterien vorübergehend embolisiert (d.h. verschlossen). Hierbei zeigt sich eine gute Modulation der Schmerzkomponente, bei geringem Risikoprofil der Therapie. Die Therapie wurde zunächst in Japan etabliert und wird nun auch sukzessive in Europa angeboten. Langfristige klinische Daten oder komparative Studien, die unterschiedliche Therapien mit der TAPE vergleichen, fehlen aber bisher, sodass aktuell die Evidenz nur aus Fallserien betrachtet werden kann.
Dr. Gilbert: An der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) wird die TAPE-Therapie im Rahmen des sogenannten Frozen Registry erforscht, insbesondere im Hinblick auf die Modulation der Inflammation und auf die klinische Wirkung. Wir erhoffen uns von der Untersuchung mehr Evidenz für dieses neue Therapieverfahren, um eine objektive Beurteilung der TAPE im Rahmen der Frozen Shoulder zu ermöglichen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 21.08.2024.