Faszien sind Bindegewebsstrukturen, die Muskeln, Organe, Sehnen und Nerven umhüllen und den gesamten Körper miteinander verbinden. Sie spielen eine zentrale Rolle im Körper, da sie den Stoffwechsel beeinflussen, Schmerzen regulieren und Beweglichkeit ermöglichen. Bei "Verklebungen der Faszien", die durch Faktoren wie Bewegungsmangel oder falsche Ernährung entstehen, können Hydratationstechniken und regelmäßiges Faszientraining Abhilfe schaffen. Faszien-Trainingfördert die Gesundheit, indem es die Elastizität des Gewebes verbessert und das Verletzungsrisiko verringert.
Dr. Slomka: Wenn man noch vor einigen Jahren den Begriff "Faszie" definierte, dann sprach man von dem Gewebe, welches die Muskelzellen (Endomysium) umhüllt, die Muskelfaserbündel (Perimysium) oder auch den gesamten Muskel (Epimysium). Heute definieren wir weiter und sprechen vom "faszialen System", das gemeinsam mit dem Herz-Kreislaufsystem, dem Muskelsystem und dem neuronalen System die physiologische Basis bildet. Es ist die Basis zur Gesundheitsentwicklung (Salutogenese) und spielt eine wichtige Rolle bei der Leistungsentwicklung.
Zum faszialen System gehören Bänder, Sehnen, derbe bindegewebige Platten (Aponeurosen), die Muskelfaszien, aber auch das Unterhautbindegewebe, die Knochenhaut, die Hüllen von Gefäßen und Nerven, sowie das lockere Bindegewebe, welches die Organe umhüllt (viszerale Faszien). Das Besondere an diesem System ist, dass es alles mit allem in Verbindung stellt. Es ist unser wichtigstes Kommunikationssystem, der Ort der Stoffwechselaktivität. Hier werden energetische Potentiale/Spannung aufgebaut (messbare elektrische Energie) und weitergeleitet. Es entscheidet darüber, wie beweglich wir sind oder auch wieviel Schmerz wir empfinden.
Über 250 Millionen Nervenzellen sind mit ihren Rezeptoren im faszialen System verortet. Einige Autoren bezeichnen das Fasziensystem sogar gern als ein "sensorisches Organ". Das fasziale System ist wahrscheinlich das komplexeste System unseres Körpers. Besonders in den letzten 15 Jahren wurden unfassbar viele, teils überraschende, Ergebnisse aus der Faszien-Forschung zu Tage gefördert. Heute wissen wir über das fasziale System und seine Aufgaben, Behandlungs- und Trainierbarkeit so viel, wie noch nie zuvor und dennoch geht die fasziale Reise zum Ergründen des Systems immer weiter.
Es ist die Basis zur Gesundheitsentwicklung (Salutogenese) und spielt eine wichtige Rolle bei der Leistungsentwicklung.
Dr. Slomka: "Meine Faszien sind verklebt" - das höre ich in der Tat in meiner Sporttherapeutischen Trainingspraxis recht häufig. Es ist wahrscheinlich ein schönes Bild, für das, was wir spüren: wir sind fest und unbeweglich, etwas hält uns und schmerzt teilweise sogar. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas tiefer in das fasziale System eintauchen. Jede fasziale Struktur besteht aus Zellen (Faszienzellen, Immunzellen, Nervenzellen), aus Fasern (Kollagen und Elastin) und der Grundsubstanz (unsere Körperflüssigkeit, die interstitielle Flüssigkeit, die flüssige Faszie). Jede dieser Bestandteile kann für das Gefühl von fest und unbeweglich verantwortlich sein.
Beginnen wir mit der Grundsubstanz, der flüssigen Faszie. Diese flüssige Faszie kann sehr zähflüssig sein, hoch viskös, fast fest oder aber sehr fluide, gering viskös, nahezu wassergleich fließen. Ist die Grundsubstanz gering viskös, haben wir eine gute Stoffwechselaktivität, alle Strukturen gleiten nahezu reibungslos übereinander, wir sind beweglich, gut versorgt und energiereich. Im Gegensatz dazu kann die Grundsubstanz densifizieren. Dann ist sie sehr zähflüssig. Unsere Bewegungen werden ungeschmeidig und wir fühlen uns unbeweglich, "verklebt". In der Tat kann sich die Grundsubstanz so weit molekular verändern, dass sie wie ein innerer Klebstoff wirkt.
Dieser Densifizierungsprozess ist die Folge einer chemischen Milieuverschiebung der Grundsubstanz, hervorgerufen durch schlechte Ernährung (hohe Säure- und Zuckerlast), Übertraining (Anhäufung von Stoffwechselendprodukten), akuten oder auch stillen Entzündungen (silent inflammation) oder auch zu wenig Bewegung (verlangsamter Stoffwechsel). Zum Training der fluidalen Eigenschaften und besseren Versorgung habe ich 5 Hydrationstechniken für die Bewegung entwickelt:
Auf eine verklebte, hoch visköse, densifizierte Grundsubstanz kann über Hydrationstechniken positiv Einfluss genommen werden.
Wenden wir uns dem zweiten Bestandteil zu: den Fasern. Auch Kollagenfasern können in einen "verklebten" Zustand geraten. Im optimalen Fall hat das Fasernetzwerk der Faszien eine geordnete Faserarchitektur. Wir stellen es uns als eine Art Gitternetzwerk vor. Einseitiges Training, Überlastung, oder auch Entzündung kann dazu führen, dass die Kollagenarchitektur gestört wird. Unphysiologische Crosslinks werden gebildet, die die Kollagenfasern miteinander "verkleben" oder es wird ein anderer Kollagen-Typ gebildet, Kollagen-Typ III, der die wunderbare Ordnung des Kollagen-Typ I gar nicht erst besitzt.
Ist die individuelle "Verklebung" im Fasernetzwerk verortet und nicht in der Grundsubstanz, ist der Weg zur Wiederherstellung einer gesunden Gewebestruktur etwas langwieriger. Es braucht eine Veränderung im Trainings- und Alltagsverhalten. Alle Faktoren, die meist sehr langsam zu dieser gestörten Kollagenarchitektur geführt haben, müssen verändert werden. Zudem hilft ein Dehnungstraining mit Wirkung auf die Faszienzelle (Fascial Stretch), um die Kollagensynthese zu steigern, denn die "Verklebung" der Fasern kann nur über eine Neubildung des Fasernetzwerks aufgelöst werden. Regelmäßige (beweglichkeitssteigernde) Trainingsreize über eine Dauer von 6-12 Monaten führen hier zu sehr guten Ergebnissen.
Unphysiologischen Verklebungen der Fasern kann durch regelmäßiges Beweglichkeitstraining (Fascial Stretch) entgegengewirkt werden.
Anfänglich sprach ich von einem Gefühl von "fest & unbeweglich", dass mir Klienten rückkoppeln, wenn sie von verklebten Faszien berichten. Dieses Gefühl kann auch von den Faszienzellen ausgehen. Einige dieser Zellen besitzen kontraktile Eigenschaften (Myofibroblasten). Übertraining, Fehlernährung, Stress oder auch fehlende Pausen führen nicht selten zu einer Dauerkontraktion dieses Zell-Typus. In dem Fall können wir zwar nicht von "verklebt" sprechen, aber das Gefühl der Menschen ist häufig dasselbe und wir sollten uns hier nicht in die Irre führen lassen. Bei einem hohen Tonus der Faszienzellen helfen diverse Formen von Entspannungstechniken (Vibration, sanfte Dehnung, sanfte Drücke, Atemtechniken oder mentale Entspannungstechniken).
Faszienzellen können Spannung aufbauen. Somit können Faszien regional verspannen. Hier sprechen wir nicht von Verklebungen. Entspannungstechniken helfen, die Spannung zu lösen.
Dr. Slomka: Es gibt Autoren (Heine, 2015; Pischinger, 2010), die das Fasziensystem als das Grundgewebe unseres Körpers bezeichnen. Es ist der Ort des Stoffwechsels. Hier werden Nährstoffe aufgenommen, Giftstoffe und Stoffwechselendprodukte abtransportiert. Es ist die Autobahn der Botenstoffe im Körper. Erkrankt das fasziale System, ist die Architektur des Fasernetzwerks gestört oder aber die Grundsubstanz zu zähflüssig, werden wir krank. Es sind Gelenke, die sich entzünden und degenerieren oder systemische Schmerzen, die entstehen, bis hin zur Fibromyalgie. Jede Erkrankung kann ihre Ursache im faszialen System haben.
Im Auftrag unseres Gesundheitserhalts - oder besser gesagt der Gesundheitsentwicklung unseres Fitnesszustands (bis in die Zelle hinein) - ist es unerlässlich, das fasziale System zu pflegen und zu trainieren. Jeder profitiert davon! Je früher wir damit anfangen, desto besser. Am deutlichsten werden es allerdings die spüren, bei denen das System bereits gelitten hat. Eine Wiederherstellung der fluidalen Eigenschaften und eine gesunde Faserarchitektur wird nicht nur zu mehr Gesundheit, sondern auch zu mehr Lebensfreude führen.
Dr. Slomka: Faszientraining ist sehr vielfältig. Ich teile es in 5 Trainingssäulen:
Es gibt also nicht die eine spezielle Übung für das Fasziensystem. Zunächst sollten wir das Trainings-Ziel festlegen. Auf welchen Bestandteil soll das Training ausgerichtet sein? Erst dann ist es möglich, nach sinnvollen und effektiven Übungen, oder besser noch Übungsabfolgen zu suchen. Für die Trainingssäule "Fascial Flow" stellte ich unter Frage 2 schon einige Techniken vor. Im Vordergrund stehen weiche, fließende, variantenreiche Bewegungen, die in jedem Fall die Körpertemperatur moderat erhöhen, denn schon 1 Grad mehr Körpertemperatur (trainingsbedingt) führt zu 10 % mehr Enzymaktivität.
Bei "Fascial Stretch" heißt es: langkettig dehnen. Weg von dem lokalen Dehnen einzelner Muskeln. Wir dehnen myo-fasziale Einheiten, die sich als funktionelle Ketten zeigen. Intensive Dehnreize steigern die Kollagensynthese. Multidirektional ausgerichtete Dehnspannungen weisen die den jungen Kollagenfasern die Richtung und bilden sie zum einem gesunden Faser-Gitternetz aus. Das Motto bei "Fascial Elasticity" heißt: "Use it or lose it!". Federndes, elastisches Arbeiten fördert die elastischen Eigenschaften des Gewebes, baut Energieressourcen auf und sorgt beispielsweise für einen leichten, jugendlichen Gang und junges Erscheinungsbild.
"Fascial Power" unterstützt auf zweierlei Weise das Krafttraining. Zum einen können feste Muskelfaszien, wie ein Kompressionsgürtel wirken und der Muskelzelle so zu einer größeren Kraftentwicklungsmöglichkeit verhelfen. Dazu braucht es ein über längere Zeit ausgeführtes, hoch intensives, Krafttraining, damit die Faszien-Köcher entsprechend adaptieren. Ein zweiter Aspekt ist das Training von Spannungsketten. Wir nennen es tensegrales Training. Faszien sind in der Lage Energie aufzubauen und diese zu leiten. Das tun wir beim tensegralen Training. Wir lenken Spannungsfelder durch myofasziale Ketten: Sehnen, Muskelfaszien, bindegewebige Platten, Gelenkkapseln, etc.. Je häufiger wir einzelne myofasziale Bahnen trainieren, desto besser und vor allem schneller leiten sie die Energie und verhelfen so zu mehr Stabilität sowie Kraftübertragung in Sport und Alltag. Einige Übungen wie das Planking kennen wir schon lange als effektive Ganzkörperstabilisierungsübung. Die Plank ist ein Beispiel für tensegrales, myo-fasziales Krafttraining.
Die fünfte Trainingssäule, "Fascial Sense", bedient streng genommen gar nicht das fasziale System. Sie richtet sich an das neuronale System. Da eine große Anzahl der Sensoren des neuronalen Systems (man spricht von 80%) in den Faszien verortet sind, nehmen wir über die Faszien großen Einfluss auf dieses System. Es sind Schüttelungen, Vibrationen, Drücke, Streichungen oder auch Dehnungen, die die Sensoren des autonomen Nervensystems aktivieren. Schnelle, ruckhafte, intensive Reize aktivieren dabei vermehrt das sympathische System. Während langsame, spürsame Reize über den Parasympathikus eher zur Entspannung führen. Besonders spannend dabei ist, dass wir über diese Art der faszialen Stimulation, meist der subkutanen Schichten, die Möglichkeit haben, Schmerzkreisläufe zu durchbrechen und die Schmerzwahrnehmung zu reduzieren.
Faszientraining ist also sehr vielfältig. Um die richtigen Übungen zu finden, müssen wir an aller erster Stelle das Ziel bestimmen: mehr Versorgung, mehr Beweglichkeit, mehr Elastizität, mehr Kraft, mehr Entspannung oder weniger Schmerz. Erst wenn wir das Ziel des Trainings kennen, können wir aus einer riesigen Schatztruhe die passenden Übungen wählen.
Mein Tipp: "Das große Faszienbuch" von Dr. G. Slomka. Meyer & Meyer Sportbuchverleg. Ab Februar 2025 im Handel. Über 500 Übungen und ca. 100 QR-Codes mit hinterlegten Filmen geben zahlreiche Trainingsideen.
Dr. Slomka: Ich würde vorschlagen, das Pferd andersherum aufzuzäumen. Es ist nicht möglich, sich zu bewegen, ohne dass die Faszien einen (Trainings-)Reiz bekommen. Sowie wir uns bewegen, bewegt sich das faziale System mit. Es passt sich an unseren Lebens- und Trainingsalltag an, wird an einigen Regionen fester und undurchlässiger als an anderen. Gerade monotone, wiederkehrende Bewegungen aus Sport und Alltag formen das Fasziensystem. Die Frage ist nur, passt es sich optimal und gewünscht an? Hier setzt das Faszientraining an. Gezielt, geplant und gesteuert können wir die Bestandteile des Fasziensystem zur Neubildung, Neuausrichtung und höherer Funktionalität ausbilden.
Dann ist nicht die Frage, mit welchen Sportarten kann man ein Faszien-Training kombinieren, sondern es sollte Bestandteil jeder Sportart sein. Nun sieht ein Faszien-Training, abhängig von der jeweiligen Sportart, allerdings ein wenig anders aus. Während Hürdenläufer und Hochspringer eine wahnsinnig gute Kraftübertragung und Elastizität in der myofaszialen Einheit vom Fuß, über die Wade bis hoch in den Rumpf benötigen, brauchen Reiter eher ein kraftvolles Becken mit entsprechenden myofaszialen Anbindungsstrecken in die Adduktoren und die Muskeln der Wirbelsäule.
Für ein leistungssteigerndes Training und entsprechende Verletzungsprophylaxe müssen wir uns die Funktionsketten jeder Sportart gut anschauen, auf Störungen überprüfen und ein Training dieser Einheiten in den Vordergrund stellen. Globaler arbeiten wir beim Fitness- und Gesundheitssport. Hier geht es um ein gesundes Fasziensystem den ganzen Körper betreffend. Ein gesundes Fasziensystem ist fluide, durchlässig, besitzt einen guten pH-Wert (7,35), keine Entzündungswerte, hat ein gut organisiertes Fasernetzwerk und aktive Zellen. Das Training findet entsprechend der 5 Säulen des Faszientrainings, wie zuvor beschrieben, statt.
Faszientraining sollte in jedem Training, sportartspezifisch oder gesundheitsorientiert ein Bestandteil sein. Mal darf es eine eigene Trainingseinheit bilden oder sich auch anderen Trainingszielen unterordnen. Entscheidend ist, dass unser Blick genauso, wie er auf die Ausdauerleistungsfähigkeit, die Kraftentwicklung der Muskeln und die neuronale Ansteuerung geht, das fasziale System einbezieht. Es ist unsere physiologische Basis.
Dann ist nicht die Frage, mit welchen Sportarten kann man ein Faszien-Training kombinieren, sondern es sollte Bestandteil jeder Sportart sein.
Dr. Slomka: Das ist tatsächlich eine sehr entscheidende, vielleicht die alles entscheidende Frage. Faszien brauchen eine Regelmäßigkeit und Kontinuität, denn einige Bestandteile passen sich sehr langsam an. In den faserreichen Strukturen, wie Sehnen braucht es mindestens ein halbes Jahr bevor wir erste Veränderungen beobachten. Richtig schöne und vor allem auch spürbare Anpassungen erleben wir nach ca. einem Jahr regelmäßigem Training. Dann hat sich eine neue Faserarchitektur eingestellt und wir sind beweglicher. Feste und vielleicht verklebte Bereiche haben sich neu organisiert, die fluiden Eigenschaften sind andere und Schmerzen oft minimiert oder sogar weg. Was heißt nun aber regelmäßig? Hier sollten wir erneut etwas spezifischer werden:
Dr. Slomka: Das Wunderbare ist, dass einige Anpassungen und Veränderungen sofort spürbar sind. Nehmen wir beispielweise die Wahrnehmung von Schmerzen oder Verspannungen, die sich bereits nach einer Einheit verringern können oder sogar ganz verschwinden. Nach einem Faszientraining stellt sich oft ein Gefühl von Leichtigkeit und Bewegungsfreiheit ein. Die wichtige Versorgung über die fasziale, flüssige Grundsubstanz steigt mit jeder Bewegung. Wünscht man sich allerdings Veränderungen in Regionen mit hartnäckigen Verhärtungen, Verspannungen oder Bewegungseinschränkungen, dann muss man etwas geduldiger sein, bis die Anpassungen spürbar werden. Meist benötigt es hierfür einen Umbau, ein Remodeling, der Faserarchitektur. Fasern passen sich wesentlich langsamer an. Nach einem halben bis einem Jahr werden sich gute Erfolge zeigen.
Nehmen wir beispielweise die Wahrnehmung von Schmerzen oder Verspannungen, die sich bereits nach einer Einheit verringern können oder sogar ganz verschwinden.
Dr. Slomka: Grundsätzlich braucht es keine besonderen Hilfsmittel für ein Faszientraining. Die Variation der Bewegung, die Multidirektionalität und die spezifischen Trainingsreize für jede Trainingssäule sind alles entscheidend. Da wir ja aber eine so reichhaltige sensorische Wahrnehmung direkt in den Geweben unter der Haut besitzen, lohnt es sich, mit Hilfsmitteln über die Haut auf diese sensorische Vielfalt Einfluss zu nehmen. Ich empfehle hier zwischen Training und Behandlung zu unterscheiden.
Myofaziale Release, beispielweise über die beliebte Foam Roll, zählen zu den Behandlungstechniken. Es sind Behandlungstechniken, die ein Therapeut ausführt oder in Eigenregie (Self-release) ausgeführt werden. So sind Vibrationspistolen, Chi-Maschinen oder eine inoroll sehr gute Hilfsmittel, um über Vibration auf das System einzuwirken. Für den sensorischen Reiz "Druck" können es Bälle, Foam Rolls und speziell für die Therapeuten entwickelte Faszien-Sets sein. Mittels sanfter Dehnimpulse besitzen Kinesio-Tapes eine gute Evidenz.
Dr. Slomka: Hydration ist das A und O! Versorgung ist alles. Unser Körper besteht bis zu 70% aus Flüssigkeiten (im Alter kann der Anteil etwas geringer sein, was möglicherweise ein Grund für die verstärkten Probleme im Alter ist). Dabei sind es 5-6 Liter Blut, 1-1,5 Liter Lymphe und ca. 20 Liter fasziale Flüssigkeit/Grundsubstanz, die das Flüssigkeitssystem ausmachen. Der absolut größte Flüssigkeitsanteil fällt also der Grundsubstanz zu. Für unsere Gesundheit ist die Qualität der Grundsubstanz und die Austauschrate von großer Bedeutung. Hydration bedeutet nicht nur, dass ausreichend Flüssigkeit im Gewebe ist, sondern auch, dass sie nährstoffreich sein muss und in Bewegung. In Frage 2 wurden die 5 Hydrationstechniken für die Bewegung vorgestellt. Diese sollte jeder Trainer und Therapeut verinnerlichen und so oft wie möglich anwenden.
Hydration ist das A und O!
Dr. Slomka:
Dr. Slomka: Nein! Die Frage ist nur, welche Form des Faszientrainings ist für wen gut und sinnvoll. Menschen, die eher zu festem und steifem Gewebe neigen, empfehle ich eher Techniken zur Versorgung und fasziale Dehnungen. Eher "laxen" Personen würde ich ein Fascial-Power-Training empfehlen und tensegrale Systeme berücksichtigen. Körperspannungsübungen, Körperwahrnehmungsübungen und ruhig intensives Krafttraining gehören dann in den Trainingsplan.
Bezüglich der myofaszialen Behandlungen mit der Foam Roll (FR) würde ich allerdings tatsächlich einige Kontraindikation aussprechen. Seit 2019 ergründen wir in einer Gruppe von 10 aktiven Faszien-Forschern, Sportwissenschaftlern und Medizinern mögliche Kontraindikationen beim und als Folge von FR. Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Thromboseneigung und Bluthochdruck Vorsicht geboten ist, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur arteriellen Versteifung durch regelmäßiges FR kommt. Onkologische Patienten sollten das FR meiden, Osteoporose, inklusive der Vorstufen zur Erkrankung und Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus gelten als Kontraindikation. Validierte Ergebnisse bzgl. eventueller Folgeschäden durch FR wird die Studienlage naher Zukunft zeigen.
Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Thromboseneigung und Bluthochdruck Vorsicht geboten ist...
Dr. Slomka: Dehnen - multidirektional, langkettig, in verschiedenen Intensitäten - ist ein Teil des Faszientrainings. Es ist eine von fünf Trainingssäulen des Faszientrainings: Trainingssäule Fascial Stretch. Auch das tensegrale Krafttraining bettet Dehnspannungsreize mit in das Trainingssystem ein. Es wird also in der Regel nicht nach dem Faszientraining gedehnt, sondern währenddessen. Führt man allerdings in der Faszien-Trainingseinheit (-Behandlung) eine myofasziale Release-Technik durch (Trainingssäule Fascial Sense), dann ist ein direkt an die Behandlung anschließendes Dehnungstraining (Fascial Stretch) sehr wertvoll. Die myofasziale Behandlung mit einer Rolle, einem Ball, einem Vibrations-Tool, senkt den Gewebetonus, was zu einer Beweglichkeitssteigerung führt. Um diese Beweglichkeitssteigerung mit Nachhaltigkeit zu versehen, ist es gut, direkt im Anschluss an die Release Technik genau die behandelte Körperregion zu dehnen.
Dr. Slomka: Studien zeigen, dass 87% aller Überlastungsschäden, wie Muskelzerrungen, Faserbündelrisse, Bänderrisse, etc. Verletzungen des faszialen Systems sind (Wilke, 2019. Orthopaedic Journal of Sports Medizin). Entsprechend sollte bei allen Sportarten ein Faszien-Training zur Prävention von Sportverletzungen nicht fehlen.
Dr. Slomka: Die Forschung am faszialen System ist die letzten 15 Jahre geradezu explodiert. Schaut man beispielweise in der Suchmaschine pubmed, so finden sich allein unter dem Suchbegriff "fascia research" allein über 15.000 Studien. Einige dieser Arbeiten beweisen die Wirksamkeit von Faszientraining eindeutig. So entwickelte eine Gruppe um A. Arampatzis an der Universität Berlin ein 12-Wochen-Programm zur Steigerung der Achillessehnensteifigkeit, um in geschädigten Strukturen die Funktionalität des Gewebes zu erhöhen und Schmerz zu minimieren (Radovanović, Bohm, Peper, Arampatzis, & Legerlotz, 2022).
Ich persönlich entwickelte auf der Grundlage des 5-Säulen-Programms zum Faszientraining eine Mobility Routine (35-minutiges Multikomponentenprogramm) und führte eine Interventionsstudie mit einer Kohorte des Landeskriminalamtes (SEK – Niedersachsen) durch. Das Bewegungsprogramm wurde bezüglich der Wirksamkeit, zur Beweglichkeitssteigerung, Ausgleich von Dysbalancen, Schmerz- und Spannungsreduktion, und Veränderung der Gewebehärte (Ultraschall-Elastografie) überprüft. Sehr gute Evidenz konnte bezüglich der Beweglichkeitssteigerung und dem Ausgleich von Dysbalancen erbracht werden. Schmerzen und Verspannungen sanken im Schnitt um über 80%. Auch die Gewebesteifigkeit veränderte sich in vielen Regionen signifikant (Slomka et al., 2024).
Dr. Slomka: Insgesamt kann man beobachten, dass die Studienfülle zum faszialen System etwas abnimmt. Zum einen liegt es sicher daran, dass der "Hype" um das Faszien-Training nicht mehr vorhanden ist. Das "Aschenputtel-Organ Faszie" ist ins Licht gerückt. Fast jeder weiß heute, dass es ein fasziales System gibt und dieses trainierbar ist. Selbst die Personen, die eigentlich zu den eher sportscheuen Personen gehören, kann man mit Faszien-Training nicht mehr überraschen. Jetzt ist die Zeit gekommen mit Ruhe und Bedacht, alle Forschungsergebnisse solide in die Praxis zu integrieren. Jetzt ist die Zeit von "applied science" – der Anwendung der Sportwissenschaft. Aber dennoch wird weiter geforscht.
Ganz spannend sind aktuell die Fragen zu hormonabhängigen Veränderungen von faszialen Strukturen. Die Studiengruppe um Carla Stecco in Norditalien (University of Padua), konnte Veränderungen der Kollagenfasern (Kollagen-Typ I und III) in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Östrogen nachweisen (Fede et al., 2019). Ebenso wiesen sie spezielle Rezeptoren an der Zellwand der Faszienzellen für diese hormonellen Botenstoffe (Östrogen-Rezeptoren) nach. (Fede et al., 2016). Aktuell laufen auch die Studien unsere Forschungsgruppe zu den Kontraindikationen und unerwünschten Ereignissen durch Foam Rolling. Es bleibt mit Sicherheit noch einige Jahre sehr spannend in der Faszien-Forschung.
Für Interessierte biete ich regelmäßige Updates aus der Faszien-Forschung für Trainer und Therapeuten an: www.gunda-slomka.de (GSeducation – Trainerakademie)
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 24.10.2024.