Die Erythromelalgie (EM) ist eine seltene Erkrankung, die vor allem die Füße betrifft. Sie geht typischerweise mit einer Rötung und Überwärmung der Haut sowie mit Schmerzen einher. Die Erythromelalgie kann sich auch im Gesicht, an den Händen oder an anderen Körperstellen zeigen. Die Erkrankung tritt oft schubweise auf und ist nicht heilbar.
Das erste Auftreten der Erythromelalgie und ihrer Symptome ist in jedem Alter möglich. Jedoch kommt es nur selten vor, dass die Erkrankung bereits im Kindesalter beginnt, was bei einer genetisch bedingten Form der Fall sein kann. Zur Linderung der Symptome kommen Kühlung und Hochlagerung sowie verschiedene Medikamente in Frage. Bei bekannten Auslösern werden diese vorrangig behandelt.
Im Hinblick auf die Ursachen werden verschiedene Formen der Erythromelalgie unterschieden:
Bei der primären Erythromelalgie liegt keine Grunderkrankung vor, die die Beschwerden auslöst. Sie sind auch keine Reaktion auf die Einnahme bestimmter Medikamente. Zur primären Erythromelalgie zählen sowohl die vererbte Form als auch die idiopathische. Als idiopathisch wird eine Erkrankung bezeichnet, für die keine Ursache gefunden werden kann. Für den überwiegenden Teil der Erythromelalgie-Fälle kann keine eindeutige Ursache festgestellt werden, weshalb diese als idiopathisch kategorisiert werden. Zwischen 5 und 15 Prozent der Erythromelalgien werden durch Genveränderungen ausgelöst und vererbt. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Mutationen (Veränderungen) des sogenannten SCN9A-Gens. Durch diese genetische Abweichung kommt es zur Veränderung von Natriumkanälen an Zellen. Das führt an Nervenzellen, die für die Schmerzwahrnehmung zuständig sind, zu einer vermehrten Empfindlichkeit. Außerdem führt eine Weitstellung der Gefäße zu einer Mehrdurchblutung mit Rötung und Überwärmung der Haut.
Die sekundäre Erythromelalgie wird in den meisten Fällen durch eine andere, zugrundeliegende Erkrankung ausgelöst. Hierzu zählen:
Weitere Auslöser der sekundären EM können bestimmte Medikamente sein. Hierzu zählen der Blutdrucksenker Nifedipin, Bromocriptin zur Behandlung von Parkinson, Ciclosporin zur Unterdrückung des Immunsystems und verschiedene Medikamente zur Behandlung von Depressionen (Antidepressiva).
In einzelnen Fällen konnte eine sekundäre EM auch mit giftigen Substanzen wie Pilzinhaltsstoffen oder Quecksilber in Verbindung gebracht werden.
Bestimmte Faktoren können das Auftreten der Symptome beziehungsweise einen Schub begünstigen. Hierzu zählen:
Zu den typischen Symptomen gehören plötzlich auftretende Schmerzen, Rötung und Überwärmung der Haut. Zusätzlich können Juckreiz, Kribbeln oder Brennen auftreten. Meist sind die Füße betroffen. Die Symptome können aber auch an den Händen, im Gesicht oder an anderen Körperstellen auftreten.
Die Erythromelalgie tritt häufig in Schüben auf. Diese können von einigen Minuten bis zu wenigen Tagen andauern. Häufig treten diese Episoden bei Einwirkung der beschriebenen auslösenden Faktoren auf. Anfangssymptom ist oft ein Kribbeln, das daraufhin zum Schmerz wird. Begleitend treten dann rote Füße oder rote Hände und Überwärmung auf.
Weitere mögliche Symptome sind vermindertes oder vermehrtes Schwitzen im betroffenen Bereich oder eine Schwellung. Außerdem kann die Haut in schubfreien Phasen bläulich-violett erscheinen und sich eher kalt anfühlen oder geschwollen bleiben.
Zu den charakteristischen Anzeichen gehört auch, dass Kälte und Hochlagerung der betroffenen Gliedmaße Linderung verschaffen. So tragen viele Patienten auch im Winter keine Socken oder offene Schuhe.
Die Symptomatik kann milde oder stark ausgeprägt sein. Für manche Betroffene bedeutet die Erythromelalgie eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität und ihrer Möglichkeiten, an Schule, Beruf und sozialem Leben teilnehmen zu können. Das Gehen kann nur noch stark eingeschränkt möglich sein und sich anfühlen, als liefe man auf glühend heißem Material. Manchen ist schon das Stehen auf den Füßen unangenehm. Auch der Schlaf kann durch die Symptomatik negativ beeinflusst werden. Manche Patienten entwickeln auch psychische Belastungserscheinungen wie Depressionen.
Erste Anlaufstelle ist in der Regel der Hausarzt. Weitere Fachärzte wie Neurologe, Gefäßmediziner, Rheumatologe oder Hautarzt werden meist mit einbezogen. Es kann lange dauern, bis die richtige Diagnose gestellt ist, da es keinen speziellen Test auf Erythromelalgie gibt. Zudem gehört sie gerade im deutschen Sprachraum eher zu den unbekannten Krankheiten. Die Diagnose beruht auf den typischen Symptomen und dem Ausschluss von anderen Erkrankungen und Reaktionen auf Medikamente oder Giftstoffe.
Der Arzt lässt sich die Symptome genau schildern. Außerdem fragt er nach den aktuell einzunehmenden Medikamenten und einem möglichen Kontakt mit Giftstoffen. Falls beim Arztbesuch gerade keine Symptome vorliegen, kann es hilfreich sein, Fotos mitzubringen, die den betroffenen Körperteil während eines Schubs zeigen. Das Führen eines Tagebuches über die Beschwerden, die Häufigkeit und mögliche Auslöser der Schübe kann für die Diagnostik ebenfalls hilfreich sein.
Zum Ausschluss auslösender, zugrundeliegender Erkrankungen werden Laboruntersuchungen an entnommenem Blut durchgeführt. So können Blut-Erkrankungen, Diabetes mellitus, rheumatische Erkrankungen und einige mehr festgestellt oder ausgeschlossen werden. Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit liefert Hinweise auf Nervenschädigungen. Mit Hilfe von Gentests können erbliche Formen der Erythromelalgie festgestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit, die genetische Form der Erkrankung weiterzuvererben, liegt bei 50 Prozent.
Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können, müssen ausgeschlossen werden. Hierzu zählen das Burning-Feet-Syndrom, Morbus Raynaud und Morbus Sudeck beziehungsweise komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS).
Da die Ursache in vielen Fällen nicht festgestellt werden kann, ist häufig nur eine symptomatische Therapie (Behandlung zur Linderung der Symptome) möglich. Bekannte auslösende Faktoren wie Wärme, langes Stehen, Alkohol, scharf gewürzte Speisen oder Stress sind zu vermeiden. Im akuten Schub hilft Kühlung, beispielsweise mit kühlenden Umschlägen, mit einem Ventilator oder indem die Füße auf einem kühlen Boden stehen. Dabei sollte eine milde Kälte verwendet werden, um Hautschäden oder die Auslösung einer neuen Episode bei Wiedererwärmung zu verhindern. Das Hochlagern der betroffenen Gliedmaßen lindert ebenfalls die Beschwerden.
Verschiedene Cremes, Gele oder Sprays können Symptome reduzieren. Inhaltsstoffe sind häufig Menthol, Lidocain (ein lokales Betäubungsmittel), Amitriptylin (ein Mittel zur Behandlung von Depressionen), Gabapentin (ein Wirkstoff zur Behandlung von Krampfanfällen) oder Ketamin (ein Narkosemittel). Erfolge konnten auch mit capsaicinhaltigen Cremes oder Pflastern erzielt werden (Capsaicin ist die Substanz, die für die Schärfe von Chilis sorgt). Diese können die manchmal bestehende Überempfindlichkeit der Wärmerezeptoren der Haut senken.
Einige Arzneimittel können als Tabletten zur Linderung der Erythromelalgie oder zur Reduzierung der Häufigkeit der Schübe eingesetzt werden. Möglich ist die Einnahme von:
Wenn Salben oder Tabletten nicht ausreichend wirken, können schmerzlindernde Medikamente oder solche, die die Gefäße beeinflussen, auch per Infusion verabreicht werden.
Weitere therapeutische Möglichkeiten zur Schmerzlinderung sind Nervenblockaden durch das Spritzen eines Betäubungsmittels (Lidocain), eine operative Zerstörung von Nerven oder das Implantieren einer Schmerzpumpe.
Da die Symptomatik Auswirkungen auf die Lebensqualität hat und zu Depressionen führen kann, sind weiterhin folgende Maßnahmen möglich:
Die meisten Betroffenen müssen gemeinsam mit ihrem Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg ausprobieren, welche Medikamente oder Kombinationen von Maßnahmen ihnen am besten helfen.
Wenn die EM eine Reaktion auf die Einnahme bestimmter Medikamente ist, ist bestenfalls ein Wechsel oder ein Absetzen in Absprache mit dem Arzt möglich. Bei auslösenden Grunderkrankungen sind diese zu behandeln. Hierdurch lassen sich die Beschwerden oft vermindern, manchmal auch ganz beheben.
Um die Symptomatik zu lindern und Schüben vorzubeugen, kann man einiges selbst tun. Neben dem Erlernen von Entspannungsverfahren sollte sorgfältig beobachtet werden, was mögliche individuelle Auslöser sind. Diese sind konsequent zu vermeiden. Wenn körperliche Aktivität oder Sport ausgeübt wird, sollte dies zu Tageszeiten stattfinden, an denen es kühler ist. Schwimmen oder Wassergymnastik wird empfohlen. Durch die kühle Wassertemperatur ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Phase mit Symptomen ausgelöst wird. Außerdem werden die Gelenke und Muskeln im Wasser entlastet. Beim Duschen kann es ebenfalls hilfreich sein, die Wassertemperatur zu reduzieren oder mit den Füßen in einem kühlen Fußbad zu stehen. Zur Verbesserung des Schlafes kann es helfen, die Temperaturen im Schlafzimmer gering zu halten.
Für mehr Verständnis für die Erkrankung bei Familie, Freunden und im Berufsleben hilft es meist zu erklären, wie sich die Symptome anfühlen und wodurch sie im Alltag einschränken. So ist es oft leichter, Alternativen für gemeinsame Aktivitäten oder passende Lösungen für den Arbeitsplatz zu finden.
Da die Ursache in den meisten Fällen nicht bekannt ist, ist ein Vorbeugen nur bedingt möglich. Die Entstehung einer Erythromelalgie lässt sich kaum verhindern. Bei zugrundeliegenden Erkrankungen hilft eine Therapie meist, die Symptome einer bekannten EM zu lindern oder Schüben vorzubeugen. Bei Reaktionen auf Medikamente lindert das Absetzen dieser Präparate in der Regel die Symptomatik oder lässt sie ganz verschwinden. Wenn Auslöser für Schübe bekannt sind, sollten diese gemieden werden (Alkohol, Stress, zu warme Temperaturen und Ähnliches).
Die Erythromelalgie ist nicht heilbar. Lediglich bei bekannten Ursachen kann es gelingen, die Beschwerden dauerhaft zu beseitigen. Der Verlauf der Erkrankung ist individuell unterschiedlich und hängt von der Form der Erythromelalgie ab.
Wenn eine Ursache (eine Grunderkrankung, ein auslösendes Medikament) festgestellt werden kann, ist die Prognose besser als bei einer primären Erythromelalgie. Durch das Absetzen auslösender Medikamente, das Vermeiden von Giftstoffen und die Behandlung von zugrundeliegenden Erkrankungen können die Symptome oft gelindert werden. In manchen Fällen verschwindet die EM auch vollständig wieder.
In Fällen, in denen die Ursache der Erythromelalgie nicht bekannt ist, kommt es häufig im Laufe der Jahre zu einer Zunahme der Symptomatik. Diese führt zu einer Beeinträchtigung des täglichen Lebens. Je nach beruflicher Tätigkeit (viel stehen, warme Umgebung und andere Faktoren) müssen Anpassungen am Arbeitsplatz erfolgen oder möglicherweise ein Berufswechsel. Das Finden der geeigneten Therapie oder Kombination von Behandlungsmaßnahmen erfordert Geduld und Ausdauer auf Seiten der Betroffenen. Tritt die EM schon im Kindesalter auf, ist dies eine besondere Herausforderung für die ganze Familie.
Orphanet – Erythromelalgie, primäre: https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?lng=DE&Expert=90026 (online, letzter Abruf: 27.03.2023)
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The Erythromelalgia Association – Patient's Guide: https://erythromelalgia.org/resources/patients-guide/ (online, letzter Abruf: 27.03.2023)
medizin kompakt – Erythromelalgie: https://www.medizin-kompakt.de/erythromelalgie (online, letzter Abruf: 27.03.2023)
Springer Medizin, M. Dusch, M. Schmelz – Erythromelalgie: rote Haut und Schmerz: https://backend.paraplegie.ch/sites/default/files/2020-02/dusch-2019-erythromelalgia_skin_redness_and.pdf (online, letzter Abruf: 27.03.2023)
aktualisiert am 27.03.2023