Eine Stressfraktur, auch Ermüdungsbruch genannt, entsteht durch wiederholte Überlastung eines Knochens ohne ausreichende Erholungszeit, was zu Mikrofrakturen und letztlich zum Bruch führt. Im Gegensatz zu einem akuten Bruch, der meist durch eine plötzliche Krafteinwirkung verursacht wird, entwickelt sich ein Stressfraktur allmählich durch eine anhaltende Belastung. Besonders betroffen sind Langstreckenläufer und Ausdauersportler und Personen mit einer hohen Fußbelastung. In den meisten Fällen ist daher der Mittelfußknochen betroffen. Nicht immer muss ein ärztlicher Eingriff erfolgen.
Prof. Kasten: Eine Stressfraktur ist eine Reaktion des Knochens auf eine Überlastung. Knochen haben eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit, d.h. sie können sich anpassen, wachsen und Brüche heilen. Wird ein Knochen jedoch wiederholt bis an die Bruchgrenze belastet, ohne dass er Zeit hat, sich zu regenerieren, kann es zu Problemen kommen. Denn wenn der Knochen nicht genügend Erholungszeit oder Nährstoffe bekommt, können Mikrofrakturen im Knochengewebe entstehen. Der Körper versucht dann, diese Mikrobrüche zu reparieren, indem er die betroffenen Stellen mit neuen Zellen besiedelt und die Kontinuität des Knochens wiederherstellt. Gelingt dies jedoch nicht, weil die Belastung anhält, können sich die Mikrobrüche zu sichtbaren Rissen entwickeln. Im schlimmsten Fall kann es zu einem vollständigen Bruch kommen.
Prof. Kasten: Ein klassischer Knochenbruch ist in der Regel die Folge eines Unfalls oder Traumas. Man stürzt oder stößt sich, wodurch eine große Kraft auf den betroffenen Knochen einwirkt. Diese starke Belastung führt dann zu einem Bruch der Knochenstruktur, der als Fraktur bezeichnet wird. Bei einer Stressfraktur hingegen ist der Mechanismus anders: Durch wiederholte Überlastung wird der Knochen allmählich geschwächt. Mit der Zeit kann der Knochen der Belastung nicht mehr standhalten und es kommt zum Bruch.
Prof. Kasten: Stressfrakturen wurden erstmals von den Ärzten preußischer Soldaten beschrieben. Sie stellten fest, dass Soldaten durch extrem lange Märsche in nicht optimalem Schuhwerk und unter schwerer Belastung, z.B. durch Rucksäcke, besonders anfällig für diese Verletzung waren. Dabei brach typischerweise häufig der zweite Strahl im Bereich des Köpfchens des Mittelfußknochens, was als "Marschfraktur" - eine Sonderform der Stressfraktur - bezeichnet wurde. Es gibt jedoch auch andere Körperteile, die von einer Überlastung betroffen sein können. Bei Sprintern treten Stressfrakturen häufiger am Schienbein oder am Schienbeinkopf auf. Werfer können Stressfrakturen am Ellenbogen oder am Schlüsselbein entwickeln. Ausdauersportler sind auch im Bereich des Beckens oder sogar des Oberschenkelhalses gefährdet. Insgesamt können Stressfrakturen an verschiedenen Körperstellen auftreten, am häufigsten jedoch am Mittelfußknochen.
Insgesamt können Stressfrakturen an verschiedenen Körperstellen auftreten, am häufigsten jedoch am Mittelfußknochen.
Prof. Kasten: Der typische Risikopatient ist ein sehr schlanker Langstreckenläufer oder Ausdauersportler mit einer hohen Fußbelastung. Häufig liegt zusätzlich eine Fußfehlstellung vor, z.B. ein Hohlfuß, bei dem das Fußgewölbe sehr steil ist. Dadurch ist die Dämpfungsfunktion des Fußes eingeschränkt, was zu einer Überlastung des Fußes führen kann. Besonders betroffen sind auch Frauen, die zu wenig Nährstoffe zu sich nehmen und gleichzeitig hohen sportlichen Belastungen ausgesetzt sind. In diesen Fällen fehlen dem Körper wichtige Nährstoffe wie Proteine, Fette und Kohlenhydrate, die für die Regeneration der Knochen wichtig sind.
Prof. Kasten: Das Leitsymptom einer Stressfraktur ist der Schmerz. Die Betroffenen können oft nicht mehr richtig belasten und haben starke Schmerzen in der betroffenen Region. Häufig ist auch eine Schwellung oder Verdickung ertastbar, die auf eine Abwehr- und Heilungsreaktion des Körpers hinweist. Bei dieser Verdickung handelt es sich meist um geschwollene Knochenhaut und eventuell um neu gebildeten Knochen, der ebenfalls schmerzhaft sein kann. Die Betroffenen geben an, die betroffene Extremität kaum mehr belasten zu können. Leitsymptom ist also der Schmerz, begleitet von Schwellung, Druckempfindlichkeit und eingeschränkter Belastbarkeit.
Prof. Kasten: Die Behandlung beinhaltet im Wesentlichen eine Reduzierung der Belastung. Auf diese Weise kann der Körper den Heilungsprozess in der Regel selbst steuern. Wird die Belastung reduziert, heilt die Verletzung meist von selbst. Bleibt die Belastung jedoch bestehen, schreitet der Prozess im Knochen weiter fort. Das bedeutet, dass aus einer anfänglich feinen Bruchlinie, auch Fissur genannt, ein größerer Bruch entstehen kann. Im Extremfall kann es sogar zu einer sichtbaren Verschiebung der Knochenbruchstücke kommen. Dies ist jedoch sehr selten. In den meisten Fällen heilt die Verletzung von selbst und sollte von den behandelnden Ärzten, Physiotherapeuten und Betreuern begleitet werden.
Die Behandlung beinhaltet im Wesentlichen eine Reduzierung der Belastung.
Prof. Kasten: Zunächst muss die Diagnose gesichert werden. Dies geschieht durch eine gründliche Anamnese. Man fragt nach einer möglichen Erhöhung der Laufbelastung, nach einer ausbleibenden Menstruation als Zeichen einer Überlastung und ob ausreichend gegessen wurde. Außerdem wird abgeklärt, ob ab einer bestimmten Laufstrecke immer Schmerzen an einer bestimmten Stelle auftreten. Dies können Hinweise auf eine Stressfraktur sein.
Bei der körperlichen Untersuchung werden Schwellungen und druckschmerzhafte Stellen abgetastet. Beim Arzt wird zusätzlich ein Röntgenbild angefertigt, auf dem im Frühstadium meist nur eine leichte Entkalkung zu sehen ist. Im weiteren Verlauf können Verdichtungen oder Aufhellungen sichtbar werden, die einem Riss oder einer Fraktur entsprechen. Häufig wird heute eine Kernspintomographie (MRT) durchgeführt, mit der Veränderungen im Knochen und Knochenmark frühzeitig erkannt werden können. Zuerst sieht man ein Knochenmarködem, später werden Frakturlinien sichtbar. Diese erkennt man zuerst in der T2-Protonengewichtung und später auch in der T1-Wichtung.
In 99,9 % der Fälle kann eine Stressfraktur konservativ behandelt werden. Es ist wichtig, den Betroffenen darauf hinzuweisen, dass er die Belastung reduzieren soll. Oft ist auch eine Ruhigstellung sinnvoll. Ich habe Jugendliche mit Stressfrakturen nachuntersucht und dabei gute Erfahrungen mit Gipsverbänden an der unteren Extremität gemacht, da so eine Ruhigstellung unabhängig vom Betroffenen gewährleistet werden kann. Dies geschieht in der Regel für einen Zeitraum von etwa vier Wochen, allerdings nur bei fortgeschrittenen Stressfrakturen. Handelt es sich lediglich um eine Stressreaktion, wie z.B. ein Ödem im Knochen, ist kann man auch ohne Gips behandeln.
Es gibt auch bequemere Alternativen wie spezielle Schuhe, sogenannte Vakuumschuhe, die die betroffene Region entlasten. Natürlich sollte man auch nicht voll belasten, wenn ein Knochen zu brechen droht. Eine Teilbelastung über einen gewissen Zeitraum ist daher sinnvoll. Wenn ein Gelenk der unteren Extremität nicht vollständig bewegt werden kann, sollte auch an eine Thromboseprophylaxe gedacht werden, um die Durchblutung aufrechtzuerhalten und Gefäßverschlüsse zu vermeiden.
Begleitend können entzündungshemmende Mittel, z.B. entzündungshemmende Enzyme gegeben werden. Auch Nahrungsergänzungsmittel können unterstützend wirken. Wenn dies nicht ausreicht, können auch konventionelle entzündungshemmende Medikamente eingesetzt werden. Die entsprechende Wirkstoffgruppe sind die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR). Diese sollten jedoch nicht zu lange eingenommen werden, da sie den Knochenstoffwechsel negativ beeinflussen können. Zu Beginn sind sie aber eine sinnvolle Therapie.
Der Betroffene sollte physiotherapeutisch begleitet werden, um die angrenzenden Gelenke beweglich zu halten und eventuell den Muskelaufbau zu fördern. Auch die Ernährung sollte überprüft werden. Nach der Phase der Teilbelastung kann die Belastung langsam gesteigert werden. Meistens warte ich, bis der Patient im Alltag keine Schmerzen mehr hat. Das ist ein Zeichen dafür, dass eine gewisse Grundstabilität des Knochens wiederhergestellt ist. Erst dann kann man langsam wieder mit sportlicher Belastung beginnen, idealerweise zunächst im Wasser oder auf dem Fahrrad, um den Knochen zu stimulieren und später zu Stoßbelastungen überzugehen.
Der Betroffene sollte physiotherapeutisch begleitet werden, um die angrenzenden Gelenke beweglich zu halten und eventuell den Muskelaufbau zu fördern.
Prof. Kasten: Sie werden nur krankgeschrieben, wenn Sie bei der Arbeit gewisse Strecken zu Fuß zurücklegen müssen, insbesondere bei Verletzungen der unteren Extremitäten, da hier die Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Grundsätzlich ist Büroarbeit jederzeit möglich. Allerdings ist die Heilungsphase für die Betroffenen oft sehr/zu lang, weshalb eine umfassende Aufklärung und Begleitung notwendig ist. Der Knochen benötigt für die akute Heilungsphase mindestens vier bis sechs Wochen. Die vollständige Stabilisierung des Knochens dauert jedoch bis zu zwölf Wochen. In dieser Zeit kann mit leichteren Aktivitäten begonnen werden, z.B. mit leichtem Training im Wasser, auf dem Fahrrad oder auf dem Laufband. Die Belastung sollte langsam gesteigert werden, bis eine Vollbelastung möglich ist. Ist im MRT oder Röntgenbild bereits eine deutliche Stressfraktur erkennbar, muss mit einer Behandlungsdauer von etwa sechs bis zwölf Wochen gerechnet werden.
Prof. Kasten: Die Schmerzen verschwinden dann natürlich nicht und es tut weiterhin weh. Im schlimmsten Fall kann die Kontinuität des Knochens unterbrochen werden, was bedeutet, dass der Knochen bricht. Dann haben wir eine klassische Fraktur, die nach den Prinzipien der Osteosynthese behandelt wird. Handelt es sich um einen langen Röhrenknochen, kann die Fraktur mit einem Nagel stabilisiert werden. Bei einem kleinen, flachen Knochen wird z.B. eher eine Platte verwendet. Bei Jugendlichen und Kindern gibt es verschiedene Möglichkeiten mit Drähten, den Bruch zu stabilisieren. Glücklicherweise ist das aber relativ selten.
Prof. Kasten: Es ist wichtig, auf den eigenen Körper zu hören und Schmerzen ernst zu nehmen. Man sollte sie nicht ignorieren oder herunterspielen. Oft hört man, dass Sportler Schmerzen ignorieren sollen, aber das gilt nur für leichte Beschwerden wie Sehnenreizungen. Sind die Schmerzen jedoch stark oder ziehen sogar bis in den Knochen, sollte man das Warnsignal des Körpers ernst nehmen und sich ärztlich untersuchen lassen. Nur so kann eine genaue Diagnose gestellt werden. Nach der Diagnose sollte man die körperliche Belastung reduzieren und auf seinen Körper hören. Wenn Sie eine intensive sportliche Aktivität planen, steigern Sie die Belastung langsam. Achten Sie beim Laufen auf hartem Untergrund auf eine gute Dämpfung, denn Studien zeigen, dass dämpfende Einlagen einen positiven Effekt haben können.
Wichtig ist auch die Ernährung! Der Körper sollte ausreichend Kalorien und hochwertige Nährstoffe wie Vitamine, sekundäre Pflanzenstoffe, Proteine und Kohlenhydrate erhalten. Trinken Sie außerdem genug, um Ihren Körper gut vorzubereiten. So können Sie Ihre Belastung besser steuern und das Risiko von Stressfrakturen verringern.
Nach der Diagnose sollte man die körperliche Belastung reduzieren und auf seinen Körper hören.
Prof. Kasten: Heutzutage ist es immer wichtiger geworden, den gesamten Körper zu betrachten. Dazu gehört auch eine umfassende Hormondiagnostik bei den Betroffenen und es sollte auf die Ernährung geachtet werden. Auch bei den Dämpfungseinlagen und beim Schuhwerk gibt es Entwicklungen, die von Bedeutung sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Laufanalyse, um mögliche Fehlbelastungen des Skeletts zu erkennen, die sich negativ auf bestimmte Knochen auswirken können. In diesem Bereich hat es einige interessante Entwicklungen gegeben, die insbesondere für Sportler von Nutzen sein können.
Prof. Kasten: Aktuelle Forschungsthemen betreffen unter anderem die Frakturheilung, die in der Orthopädie und Unfallchirurgie ein großes Thema ist. Hier gibt es viele spannende Ansätze, vor allem im Zusammenhang mit Wachstumsfaktoren und körpereigenen Zellen wie plättchenreichem Plasma. Es wird auch daran gearbeitet, die Heilung durch Stoßwellen zu verbessern, da man weiß, dass Osteoblasten durch gezielte Reize stimuliert werden können. Es gibt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, die zum Teil bereits in die Klinik übertragen wurden. Insbesondere plättchenreiches Plasma wird sowohl bei der Knochen- als auch bei der Sehnenheilung erfolgreich eingesetzt.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 01.10.2024.