Prof. Stiller: Eine Endokarditis ist eine Entzündung der Herzinnenhaut, die vor allem die Herzklappen befällt und bis zu deren Zerstörung führen kann. Die Entzündung wird meist durch Bakterien verursacht, aber auch Viren oder Autoimmunerkrankungen können eine Rolle spielen.
Prof. Stiller: Die meisten Patienten klagen über lang anhaltende wiederkehrende chronische Fieberschübe mit Schüttelfrost. In solchen Fällen muss an eine Endokarditis gedacht werden. Zusätzlich können Herzrhythmusstörungen und im Verlauf von Tagen bis Wochen eine Anämie, Gelenkbeschwerden und ein Gewichtsverlust auftreten. Diese Symptome sind typisch für die Erkrankung.
Die meisten Patienten klagen über lang anhaltende wiederkehrende chronische Fieberschübe mit Schüttelfrost.
Prof. Stiller: Eine Myokarditis ist eine Entzündung des Herzmuskels, über die wir während und nach COVID alle viel gelernt haben. Endokarditis ist eine Entzündung der Herzinnenhaut und die Perikarditis eine Entzündung des Herzbeutels. Bei einer Myokarditis ist die Kontraktilität der Herzmuskelfasern von Anfang an gestört. Dies führt schnell zu einer Belastungsschwäche, Atemnot, Problemen beim Treppensteigen und Wassereinlagerungen in den Beinen. Der Herzmuskel arbeitet einfach nicht mehr richtig. Bei einer Herzbeutelentzündung (Perikarditis) treten stechende Schmerzen auf. Sie ist sehr selten und kann vor allem bei Kindern zu Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel führen.
Prof. Stiller: Eine Endokarditis kann lebensbedrohlich sein, insbesondere wenn sie durch Bakterien wie Staphylokokken verursacht wird. Die Sterblichkeitsrate liegt dann bei besorgniserregenden 5 bis 10%. Ein berühmtes Beispiel ist der Komponist Gustav Mahler, der 1911 an einer Endokarditis starb. In seinen Tagebüchern beschreibt er eindringlich, wie er zunehmend an Kraft verlor und unter Fieberschüben litt. Zu dieser Zeit waren Antibiotika noch unbekannt, obwohl Bakterien bereits identifiziert waren. Mahler litt an einer Endokarditis lenta und fiel dieser Krankheit in der vorantibiotischen Ära zum Opfer.
Es wird dringend empfohlen, bei Verdacht auf Endokarditis frühzeitig einen Arzt aufzusuchen. Der Hausarzt kann bei Anzeichen wie Herzgeräuschen oder Verdacht auf Endokarditis eine Überweisung an einen Kardiologen veranlassen. Dort wird in der Regel eine gründliche Untersuchung auf Endokarditis durchgeführt.
Prof. Stiller: Hauptursache sind meist Bakterien, die in den Blutkreislauf gelangen. Der größte Risikofaktor sind bereits bestehende Herzprobleme. Als Kinderkardiologin betreue ich viele Kinder mit angeborenen Herzfehlern. Das können biologische Klappen sein, Löcher im Herzen, Stenosen, undichte oder zu enge Klappen. Wenn Bakterien in den Blutkreislauf gelangen, können sie sich besonders leicht an vorgeschädigten Stellen ansiedeln. Bei einer Körpertemperatur von 37°C kann sich ein Bakterium alle 20 Minuten verdoppeln, was zu einer raschen Vermehrung führt. Die Bakterien häufen sich an, bilden sogenannte "Pompons", die abreißen und durch den Blutkreislauf wandern, was zu Fieberschüben führt. Dieser Kreislauf wiederholt sich immer wieder. Kinder mit einem angeborenen Herzfehler haben ein besonders hohes Risiko.
Ich habe einmal ein junges Mädchen auf der Intensivstation behandelt, das an einer schweren Endokarditis und Sepsis litt. Ursprünglich war es nur ein vergessener Tampon, den sie während ihrer Periode eingeführt und nicht wieder entfernt hatte. Nach vier Tagen bekam sie starken Schüttelfrost und eine Sepsis, also eine Blutvergiftung. Wir konnten sie erfolgreich mit Antibiotika behandeln. Allerdings hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits Bakterien an der Mitralklappe, die den linken Vorhof mit der Hauptkammer des Herzens verbindet, angesiedelt. Das führte zu einem sehr schweren Krankheitsbild. Sie entwickelte neurologische Probleme und musste später eine neue mechanische Herzklappe erhalten.
Hauptursache sind meist Bakterien, die in den Blutkreislauf gelangen.
Prof. Stiller: Für die Diagnose gibt es zwei wesentliche Verfahren. Zum einen sind Blutkulturen wichtig. Bei wiederholten Fieberschüben müssen Blutkulturen angelegt werden. Dabei wird Blut aus einer Vene entnommen und in einem speziellen Nährmedium auf Bakterien untersucht. Zum anderen ist die Ultraschalluntersuchung des Herzens, auch Echokardiographie genannt, von großer Bedeutung. Dabei wird die Herzfunktion einschließlich der vier Herzklappen und der Gefäße genau untersucht. Es wird geprüft, ob entzündliche Ablagerungen oder Thromben vorhanden sind und ob eine der Klappen beeinträchtigt ist.
Prof. Stiller: Die sofortige Verabreichung von Antibiotika bei Verdacht auf eine bakterielle Endokarditis ist ein großer Fehler . Vor der ersten Antibiotikagabe müssen mindestens drei Blutkulturen abgenommen werden, um die im Blutkreislauf vorhandenen Bakterien zu identifizieren. Dies ermöglicht eine gezielte Auswahl des geeigneten Antibiotikums für die etwa sechswöchige intravenöse Therapie. Es ist wichtig, nicht fünf Tage auf die Ergebnisse der Blutkulturen zu warten, sondern sofort nach der dritten Blutentnahme mit einer breiten Antibiotikatherapie zu beginnen, die gegen eine Vielzahl von Erregern wirksam ist. Sobald der genaue Erregertyp bekannt ist, kann die Behandlung genau auf den spezifischen Keim im Blutkreislauf abgestimmt werden.
Prof. Stiller: Eine Endokarditis kann schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben. Abszesse können entstehen, wenn bestimmte Bakterien die Gefäßwand angreifen und dort Schwachstellen verursachen. Diese Schwachstellen können durchbrechen, was zu schweren Komplikationen wie Blutungen führen. Auch Thromboembolien, sind sehr gefürchtet. Dabei bilden sich mit Bakterien vermischte Blutgerinnsel, die vor allem dann zu Verschlüssen führen können, wenn sie sich von der Aorten- oder Mitralklappe lösen und mit dem Blutstrom ins Gehirn wandern. Dies kann zu Schlaganfällen oder Hirnblutungen führen. Setzt sich der Thrombus an anderer Stelle im Körper fest, zum Beispiel in der Niere, kann es zu blutigem Urin und Nierenversagen kommen. Thromboembolien stellen also eine erhebliche Gefahr dar. Wenn eine Endokarditis nicht rechtzeitig behandelt wird und sich an einer Herzklappe festsetzt, kann diese irreparabel geschädigt werden. In solchen Fällen muss manchmal auch nach mehrwöchiger Behandlung eine neue mechanische Herzklappe unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine implantiert werden.
Eine Endokarditis kann schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben.
Prof. Stiller: Bei einer schweren Endokarditis der linken Herzhälfte, wie sie also an der Mitralklappe oder der der Aortenklappe auftritt, würde man nicht erst sechs Wochen eine Antibiotikatherapie ansetzen, sondern früher operieren. Je nach Funktion der Klappe ist es leider oft notwendig, eine neue Klappe zu implantieren. Dies kann eine mechanische Aortenklappe sein, die eine lebenslange Blutverdünnung z.B. mit Marcumar erfordert. Diese Operationen sind schwerwiegende Eingriffe in das Leben der Patienten und erfordern den Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine. Dazu wird der Brustkorb in der Mitte geöffnet, was einen großen chirurgischen Eingriff darstellt.
Prof. Stiller: Zunächst werden die Patienten über mehrere Wochen intravenös mit Antibiotika behandelt. Besonders bei kleinen Kindern ist dies wegen der vielen Nadelstiche für alle Beteiligten keine angenehme Erfahrung. Dann folgt die Operation, und danach verbringen die Patienten - Kinder wie Erwachsene - noch einmal mehrere Wochen im Krankenhaus. Es ist also ein langer und belastender Aufenthalt und ein großer Eingriff.
Prof. Stiller: Grundsätzlich geht es darum, das Eindringen von Bakterien in den Körper zu verhindern. Dies ist besonders wichtig für Kinder oder Menschen mit angeborenen Herzfehlern oder biologischen Herzklappenimplantaten. Sie müssen noch vorsichtiger sein als Menschen mit einem gesunden Herzen.
Bakterien gelangen zum Beispiel in die Blutbahn, wenn die Zähne nicht richtig geputzt werden, bei ausgeprägter Karies. Wenn sich die Bakterien, die die Mundhöhle besiedeln durch schlechte Zähne oder blutendes Zahnfleisch in die Blutbahn gelangen, kann das zu Problemen führen. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig die Zähne zu putzen und zum Zahnarzt zu gehen. Kinder mit angeborenen Herzfehlern, die ein erhöhtes Risiko für eine Herzinnenhautentzündung haben, sollten vor einer größeren Zahnbehandlung einmalig ein spezielles Antibiotikum bekommen. Das nennt sich „Endokarditisprophylaxe“. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko, z.B. durch eine biologische Herzklappe im Kindesalter, wird auch eher von einem Piercing abgeraten.
Bakterien gelangen zum Beispiel in die Blutbahn, wenn die Zähne nicht richtig geputzt werden, bei ausgeprägter Karies.
Prof. Stiller: An der Weiterentwicklung von Bioklappen wird kontinuierlich geforscht. Diese biologischen Klappen werden entweder aus körpereigenen Zellen gezüchtet oder aus biologischem Material von Tieren hergestellt, wobei die Oberflächen modifiziert werden, um die Ansiedlung von Bakterien zu erschweren. Parallel dazu wird seit langem an der Verbesserung von Antibiotika gearbeitet. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Antibiotika nur bei tatsächlichen bakteriellen Infektionen oder zu deren Vorbeugung eingesetzt werden und nicht bei jedem Fieber oder jeder Kleinigkeit. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika, insbesondere in der Veterinärmedizin und in der Tierzucht, führt zu Resistenzen. Das bedeutet, dass Antibiotika, die heute gegen Infektionen wie Endokarditis helfen, in Zukunft möglicherweise nicht mehr wirken, weil sich die Keime durch genetische Veränderungen dagegen wehren. Deshalb ist es wichtig, den Einsatz von Antibiotika mit Ärzten abzustimmen und sie gezielt einzusetzen. Darüber hinaus ist eine gute Zahnpflege und Hygiene wichtig, um das Eindringen von Bakterien zu verhindern. Bei Fieberschüben sollte ein Arzt aufgesucht werden.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 28.03.2024.