Prof. Oberhuber: Das Diabetische Fußsyndrom ist eine Komplikation bei Patienten mit Diabetes mellitus, insbesondere bei Typ 2, bei dem es zu einer Läsion des Fußes kommt. Wir unterscheiden 2 Formen:
Bei vielen Patienten treten auch Mischformen auf, bzw. kommt es durch die Neuropathie zur Verschlechterung der ischämen Form und umgekehrt. Klassische Riskofaktoren einer Atherosklerose (Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und Bewegungsmangel, hohe Blutfette) verschlechtern den Verlauf zusätzlich.
Prof. Oberhuber: Das Hauptproblem ist die sogenannte diabetische Polyneuropathie. Dabei handelt es sich um eine Störung der Nerven in den Beinen, sodass die Patienten Verletzungen oder ein "Wundlaufen" an den Füßen nicht spüren. Sowohl kleine Verletzungen als auch größere Läsionen sind in fortgeschrittenen Stadien der diabetischen Neuropathie komplett schmerzlos. Zudem treten die meisten dieser Verletzungen an der Fußsohle auf, welche nicht gut eingesehen werden kann bzw. seltener kontrolliert wird als die Oberfläche des Fußes. Dies begünstigt ein Fortschreiten beim Diabetiker, wobei das Fortschreiten auch sehr rasch und in wenigen Tagen geschehen kann.
Prof. Oberhuber: Die Polyneuropathie bedingt eine unterschiedliche Aktivität einzelner Muskeln im Fuß, was in einer Fehlstellung des Fußes und damit unterschiedlicher Fehlbelastung des Fußskelettes bedingt. Meist beginnt es, wie gesagt, mit einer kleinen Wunde oder mit einer Blase, welche durch inadäquates Schuhwerk entstanden ist. Abhängig von den Begleiterkrankungen und der Ausprägung des Diabetes mellitus kann es zu einer Vergrößerung und/oder Verschlechterung der Wunde kommen. Das Spektrum ist sehr breit und beginnt bei einer kleinen oberflächlichen, nicht infizierten Wunde und geht bis zu einer Vereiterung des gesamten Fußes.
Das Spektrum ist sehr breit und beginnt bei einer kleinen oberflächlichen, nicht infizierten Wunde und geht bis zu einer Vereiterung des gesamten Fußes.
Prof. Oberhuber: Das Problem liegt in der diabetischen Polyneuropathie und die Kombination mit der diabetischen Angiopathie. Die Polyneuropathie vermindert die Empfindungsfähigkeit. Besteht eine Angiopathie, fehlt die notwendige Sauerstoffversorgung des Gewebes durch die Durchblutungsstörung. Dadurch heilen die Wunden schlecht und es kommt zum Gewebeuntergang, der Nekrose. Ebenso bedingt ist eine reduzierte lokale Immunkompetenz, was ebenso die Abwehr gegenüber Bakterien reduziert. Dies alles bedingt, dass die Wunde und der Infekt sehr rasch und unbemerkt fortschreiten kann. Sind irgendwann tieferliegende Strukturen, wie Sehen und Knochen, beteiligt und kommt es zu einer Eiterbildung, ist eine Rettung des Fußes in vielen Fällen nicht mehr möglich.
Prof. Oberhuber: Man schätzt, dass bis zu 10% aller Diabetiker an einem Diabetischen Fußsyndrom leiden. Ca. 25.000 Amputationen oberhalb des Sprunggelenks werden pro Jahr in Deutschland durchgeführt.
Prof. Oberhuber: Es gibt zwei wichtige Dinge, die jeder Diabetiker machen kann. Dazu gehört eine regelmäßige Kontrolle der Füße, ob es zu einer Verletzung oder Blasenbildung gekommen ist. Gerade bei einer Polyneuropathie ist dies unerlässlich, um Verletzungen frühzeitig zu erkennen. Sollten Probleme auftreten, wäre es ratsam, sich in einer interdisziplinären Fußsprechstunde, einer sogenannten diabetische Fußambulanz, vorzustellen. Die nationale Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus empfiehlt dies innerhalb 1 Woche bei unkomplizierten, oberflächlichen offenen Stellen. Ist die offene Stelle tiefer, oder kommt eine leichte Rötung oder eine Minderdurchblutung dazu, sollte dies innerhalb von 4 Tagen sein. In der schwersten Form, also Eiterbildung, Fieber, etc. sollte dies noch am selben Tag, evtl. auch noch in der Nacht sein.
Unabhängig davon sollte man den Diabetes mellitus regelmäßig kontrollieren lassen und auch hier auf eine Polyneuropathie und Angiopathie testen lassen. Ist dies vorhanden, sollten alle anderen Risikofaktoren (Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, Fehlstellung der Füße) so gut wie möglich eingestellt werden.
Prof. Oberhuber: Wie bereits erwähnt, sollte - je nach Ausprägung - eine Diabetische Fußambulanz in unterschiedlicher Dringlichkeit aufgesucht werden.
Prof. Oberhuber: Mikrochirurgische Verfahren kommen bei der Rekonstruktion von Gewebe zum Einsatz. Nach einer Zehen- oder Fußteilamputation treten Gewebedefekte auf, welche schnell verschlossen werden müssen. Grundvoraussetzung ist, dass die Durchblutung wiederhergestellt ist und auch der Infekt im Griff ist. Daneben muss auch der Diabetes mellitus gut eingestellt sein. Mikrochirurgische Verfahren, also Eingriffe, bei denen Gewebe (Muskel mit/ohne Haut) inkl. der Blutversorgung transplantiert werden, helfen, die offenen Stellen zu verschließen bzw. auch freiliegende Knochen zu bedecken. Dadurch ist das Risiko eines erneuten Infektes geringer und die Patienten sind wieder schneller mobil.
Mikrochirurgische Verfahren kommen bei der Rekonstruktion von Gewebe zum Einsatz.
Prof. Oberhuber: Wie zuvor erwähnt, braucht es eine Expertise auf vielen Feldern, um sich der komplexen Thematik des Diabetischen Fußsyndroms anzunehmen. Neben der primären Einstellung und Behandlung des Diabetes mellitus durch die Diabetologie ist vor allem die Verbesserung der Durchblutung wichtig. Dies kann entweder minimalinvasiv durch Ballonaufdehnung mit oder ohne Stents oder klassisch mit einem Bypassverfahren erfolgen. Es nützt aber wenig, wenn die Wunde gut aussieht, die Durchblutung wiederhergestellt ist und auch der Diabetes mellitus gut eingestellt ist, wenn die Wunde nur langsam oder gar nicht heilt, weil ein Knochen oder Gelenk frei liegt. Die plastische Deckung, sei es mit sogenannten freien mikrovaskularisierten Muskellappen oder Deckung mit Eigenfett oder irgendeine andere Technik, ermöglicht es dem Patienten, erst wieder auf die Beine zu kommen und die Wunde so schnell wie möglich abheilen zu lassen.
Prof. Oberhuber: Den größten Fortschritt sehen wir aktuell in der medikamentösen Therapie der Grunderkrankung. Neue schonendere Medikamente, welche auch die kardiovaskulären Langzeitschäden verringern, kommen gerade auf den Markt bzw. sind gerade in Erprobung. In der Durchblutungsverbesserung sehen wir neue technische Möglichkeiten, welche wir bei einigen Patienten einsetzen können, die noch vor Jahren keine Chance auf Verbesserungen hatten. Die Stammzelltherapie hat bis jetzt noch keine eindeutigen Ergebnisse erbringen können, jedoch auch hier sind einige vielversprechende Studien in Vorbereitung. Auch in der Plastischen Chirurgie tut sich jede Menge. Die Robotik hat Einzug gehalten. Dadurch können noch kleinere Gefäß mit freien Lappen angeschlossen werden und noch schonender Muskellappen eingesetzt werden.
Neue schonendere Medikamente, welche auch die kardiovaskulären Langzeitschäden verringern, kommen gerade auf den Markt...
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 13.01.2025.