Prof. Hegerl: Eine Depression erkennt man daran, dass sich so ziemlich alles verändert: Die Freude verschwindet, man fühlt sich niedergeschlagen und innerlich angespannt. Nichts macht mehr Spaß und finstere Gedanken über die Zukunft entstehen. Hoffnungslosigkeit macht sich breit, begleitet von häufigen Schlaf- und Appetitstörungen. Eine Depression ist eine ernste Erkrankung. Die Winterdepression weist einige Besonderheiten auf. Zum einen treten die Schlafstörungen in Form eines vermehrten Schlafbedürfnisses, einer sogenannten Hypersomnie, auf. Im Gegensatz dazu haben Menschen mit einer schweren Depression oft Schwierigkeiten einzuschlafen und durchzuschlafen. Sie sind erschöpft, aber nicht schläfrig. Zweitens sind Heißhungerattacken und Gewichtszunahme typisch für die Winterdepression, während Menschen mit einer typischen Depression normalerweise keinen Appetit haben und abnehmen. Wichtig ist, dass die Winterdepression ausschließlich in den Herbst- und Wintermonaten auftritt. Übrigens sind die meisten Depressionen, die im Winter auftreten, keine Winterdepressionen, sondern ganz normale Depressionen, die das ganze Jahr über häufig sind.
Wichtig ist, dass die Winterdepression ausschließlich in den Herbst- und Wintermonaten auftritt.
Prof. Hegerl: Es ist wichtig, zwischen Erkrankungen und depressiven oder melancholischen Stimmungen zu unterscheiden. Letztere können als "Winterblues" bezeichnet werden. Viele geraten in eine melancholische Stimmung, wenn sich in den Herbst- und Wintermonaten die Natur in sich selbst zurückzieht und man auch sich selbst mehr in den eigenen vier Wände aufhält. Manchmal lässt man in Gedanken das vergangene Jahr Revue passieren, ist besinnlicher und wird sich bewusst, wie schnell das Jahr wieder vergangen ist und die Zeit vorbeifliegt. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass dies nichts mit der Krankheit Depression zu tun hat. Eine Depression ist etwas ganz anderes. Bei einer schweren Depression fühlt man sich innerlich wie tot und abgestorben. Melancholische, mit Herbstfarben verbundene Gefühle kann man dann gerade nicht empfinden. Diese beiden Zustände dürfen nicht verwechselt werden.
Prof. Hegerl: Aktiv bleiben und sich nicht zu sehr in die eigenen vier Wände zurückzuziehen! Sportliche Aktivitäten und soziale Interaktionen sollten weiterhin einen Platz im Alltag haben. Außerdem sollte man darauf achten, nicht zu früh ins Bett zu gehen und nicht zu lange liegen zu bleiben. Erstaunlicherweise führt dies bei vielen Menschen nicht zu einem fröhlicheren und erfrischteren Tag, sondern eher zu einer gedrückten Stimmung. Es kann deshalb hilfreich sein, die Schlafenszeit nicht groß über 8 Stunden auszudehnen. Das Tageslicht nutzen und raus gehen, wenn es draußen hell ist, ist ein weiterer Ratschlag. Tageslichtlampen werden bei Winterdepressionen zur Behandlung eingesetzt, aber an hellen Wintertagen gibt es draußen genauso viel Licht wie diese Lampen erzeugen und wenn man raus geht, dann hat man noch körperliche Bewegung und frische Luft.
Aktiv bleiben und sich nicht zu sehr in die eigenen vier Wände zurückzuziehen!
Prof. Hegerl: Die Häufigkeitsangaben schwanken sehr, aber vielleicht sind es etwa 1–2 % der erwachsenen Bevölkerung, die an einer Winterdepression leiden. In Deutschland erkranken jährlich etwa 8% der erwachsenen Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Depression, wobei es sich bei den allermeisten Fällen um die typische Form der Depression und nicht um eine Winterdepression handelt.
Prof. Hegerl: Man hat es bis heute noch nicht genau verstanden. Es wird diskutiert, dass der Mangel an Licht eine Rolle spielt, ebenso wie veränderte Schlaf-Wach-Rhythmen. Licht beeinflusst im Wesentlichen unsere biologischen Rhythmen und es gibt unzählige Veränderungen, die sich möglicherweise auf die Stimmung auswirken. Die genauen Krankheitsmechanismen sind jedoch, ähnlich wie bei der typischen Depression, noch nicht vollständig verstanden. Immer wieder wird diskutiert, ob das Hormon Melatonin eine Rolle spielt. Melatonin wird vermehrt ausgeschüttet, wenn wenig Licht vorhanden ist.
Prof. Hegerl: Dies sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Selbstmanagement-Aspekte sind wichtig. Aktiv bleiben, Sport machen, das Tageslicht nutzen, den Schlaf-Wachrhythmus optimieren sind solche Aspekte. Ist der Leidensdruck jedoch sehr hoch, sollte mit dem Arzt überlegt werden, ob eine Behandlung mit Antidepressiva sinnvoll ist. Günstig ist, dass eine Winterdepression meist nicht die Schwere wie typische Depressionen erreicht und auch selten eine stationäre Behandlung erfordert.
Günstig ist, dass eine Winterdepression meist nicht die Schwere wie typische Depressionen erreicht und auch selten eine stationäre Behandlung erfordert.
Prof. Hegerl: Schön wäre es, depressive Erkrankungen durch Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel zum Abklingen zu bringen. Die wissenschaftliche Evidenz in diesem Bereich ist jedoch ernüchternd. Wir haben selbst an einer großen Studie teilgenommen, in der eine mediterrane Diät und verschiedene Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin-D und Omega-3-Fettsäuren mit einem Placebo verglichen wurden. Über einen Zeitraum von etwa einem Jahr haben wir in einem europäischen Projekt fast 1000 Menschen untersucht. Leider konnten wir keine signifikanten Effekte feststellen. Weder die mediterrane Ernährung noch die Nahrungsergänzungsmittel hatten einen nachweisbaren Einfluss auf die Entwicklung depressiver Erkrankungen. Diejenigen, die die Nahrungsergänzungsmittel eingenommen hatten, schnitten sogar numerisch etwas schlechter ab als die Placebo-Gruppe. In diesem Bereich werden oft übertriebene Versprechungen gemacht. Die Studienlage ist sehr widersprüchlich.
Prof. Hegerl: In der Regel empfehle ich meinen Patienten für Zuhause solche Lampen nicht. In der Klinik macht Lichttherapie eher Sinn, da viele der oft schwer kranken Patienten nicht ins Freie gehen können und man diese Behandlung früh morgens anbieten und so den Tagesrhythmus takten kann.
Prof. Hegerl: Wenn der Leidensdruck hoch ist, sollte unbedingt ein Arzt aufgesucht und eine Psycho- oder Pharmakotherapie besprochen werden. Ansonsten sind, wie bereits gesagt, aktiv bleiben, Sport, Tageslicht nutzen und Schlafregulation sinnvoll. Wenn Sie herausfinden möchten, ob längeres Schlafen Ihre Stimmung beeinflusst oder sogar depressionsfördernd wirkt, können Sie dies selbst dokumentieren. Nehmen Sie ein Blatt Papier, tragen Sie unten die 30 Tage des Monats auf und nach oben auf einer Skala von 1 bis 15 jeden Morgen mit Sternchen, wie lange Sie in den letzten 24 Stunden im Bett waren und mit kleinen Kreisen, wie gut ihre Stimmung und ihr Antrieb sind. Wenn Sie dies über mehrere Monate hinweg tun, werden Sie besser verstehen, wie bei Ihnen persönlich Stimmung und Antrieb einerseits und Bettzeit andererseits zusammenhängen. Viele Menschen stellen dann fest, dass es anders ist, als sie ursprünglich dachten. Geht man früher ins Bett, fühlt man sich am nächsten Morgen nicht frischer - manchmal ist man sogar noch erschöpfter.
Es ist wichtig zu erkennen, dass dies nicht für jeden gilt. Jeder sollte aber verstehen, wie diese Zusammenhänge bei ihm persönlich aussehen. Dies hilft, mit der Krankheit besser umzugehen. Gehört man zu den Menschen, bei denen lange Bettzeiten die Stimmung eher verschlechtern, dann kann man in den Wintermonaten versuchen, der Versuchung zu widerstehen, früher ins Bett zu gehen und länger liegen zu bleiben.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 18.12.2023.