Prof. Rink: Darmkrebs ist nicht nur in Deutschland eine der häufigsten Krebserkrankungen, sondern weltweit. Der wesentliche Grund dafür ist, dass sich die Zellen der Darmschleimhaut ständig erneuern. Alle fünf Tage werden die Zellen durch neue ersetzt, die durch Zellteilung entstehen. Im Rahmen der Zellteilung muss des genetische Material der Zelle kopiert werden. Hierbei können Kopierfehler auftreten, die dazu führen können, dass Mechanismen, die die Zellteilung bremsen ausgeschaltet oder solche, die die Zellteilung fördern aktiviert werden. Dies kann dann zu einem ungehemmten Wachstum der Zellen führen. Lebensgewohnheiten und Ernährung haben auch einen gewissen Einfluss auf das Risiko an Darmkrebs zu erkranken. Der Verzehr großer Mengen an rotem Fleisch, fettreiche und ballaststoffarme Ernährung und auch Übergewicht steigern das Risiko, wobei das Risiko hierdurch bei weitem nicht in dem Umfang gesteigert wird, wie beispielsweise das Risiko von Lungenkrebs durch das Rauchen. Zudem existiert eine gewisse familiäre Häufung.
Darmkrebs ist nicht nur in Deutschland eine der häufigsten Krebserkrankungen, sondern weltweit.
Ein kleinerer Teil der Darmkrebserkrankungen entsteht auf dem Boden einer besonderen genetischen Disposition. So haben manche Menschen einen Defekt in bestimmten Eiweißstrukturen, die Kopierfehler im Erbgut bei der Zellteilung nicht korrigieren können (sog. HNPCC, Lynch-Syndrom) oder sie haben per se eine Störung des Erbgutes, die zu einer übermäßigen Zellteilung der Darmschleimhautzellen führt und die sich durch das frühe Auftreten unendlich vieler Darmpolypen bemerkbar macht, aus denen später Darmkrebs entstehen kann. Zudem besteht ein erhöhtes Darmkrebsrisiko bei langjährig bestehenden chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, wie bei der Colitis ulcerosa, insbesondere, wenn diese nicht unter einer geeigneten Therapie war.
Prof. Rink: In vielen Fällen bleibt Darmkrebs lange vollkommen asymptomatisch. Schließmuskelnahe Tumore wie die Enddarmtumore manifestieren sich nicht selten durch sichtbare Blutbeimengungen bei der Darmentleerung und durch Veränderungen der Stuhlgewohnheiten, wie das Auftreten von „Bleistiftstühlen“, häufiger Stuhlgang, Entleerungsstörungen und auch Inkontinenz. Tumore auf der rechten Seite des Dickdarms äußern sich in vielen Fällen nur durch eine Blutarmut (Anämie). Da der Durchmesser des Dickdarms auf der rechten Seite größer ist als auf der linken und die Stuhlkonsistenz hier weich oder flüssig ist, kommt es bei diesen Geschwülsten meist erst sehr spät zu einer Behinderung der Darmpassage.
Prof. Rink: Die Diagnose wird meist im Rahmen einer Darmspiegelung gestellt, wobei immer der gesamte Dickdarm eingesehen werden sollte, da es nicht selten auch zu einem gleichzeitigen Auftreten von Tumoren an unterschiedlichen Stellen des Dickdarms kommt. Im Rahmen dieser Untersuchung sollte eine Gewebeprobe entnommen werden, welche die Diagnose von Darmkrebs sichert und uns zudem wichtige Hinweise auf die Biologie des Tumors und die Behandlungsmöglichkeiten liefert. Zudem sollte der Tumor möglichst gut lokalisiert sein. Wir führen bei Darmkrebs auch immer eine Computertomographie von Bauch- und Brustraum durch. Zum einen geht es dabei um den Ausschluss von Fernabsiedlungen, zum anderen aber auch darum, den Tumor in Bezug auf ihn versorgende Blutgefäße und Nachbarorganen exakt lokalisieren zu können.
Prof. Rink: Nach wie vor ist die operative Behandlung der wichtigste Teil in der Darmkrebstherapie, zumindest bei allen Tumoren, die keine Fernabsiedlungen gesetzt haben. Mit einer alleinigen Operation kann ein großer Teil der Tumore definitiv geheilt werden, selbst wenn der Tumor Absiedlungen in die lokalen Lymphknoten gesetzt hat. Leider kommt es aber nicht selten vor, dass es im weiteren Verlauf doch zum Auftreten von Fernabsiedlungen oder seltener auch zu einem lokalen Wiederauftreten der Tumorerkrankung in der alten Tumorregion kommt. Aus diesem Grund werden fortgeschrittene Tumore heute auch medikamentös und ggf. strahlentherapeutisch behandelt. Wir sprechen bei dieser Behandlung von „multimodaler Therapie“. Bei fortgeschrittenen Enddarmtumoren führen wir einen großen Teil dieser Behandlungen vor der Operation durch, während bei den höher gelegenen Dickdarmtumoren in der Regel erst operiert und dann in Abhängigkeit von der Tumorart und Tumorausdehnung postoperativ eine medikamentöse Therapie angeschlossen wird. Bei sehr frühen bösartigen Tumoren kann auch eine alleinige endoskopische Therapie ausreichend sein, also eine definitive Tumorabtragung im Rahmen der Darmspiegelung.
Mit einer alleinigen Operation kann ein großer Teil der Tumore definitiv geheilt werden, selbst wenn der Tumor Absiedlungen in die lokalen Lymphknoten gesetzt hat.
Prof. Rink: Das Grundprinzip der Operation bei Darmkrebs besteht in der Entfernung des Tumors zusammen mit den ihn versorgenden Blut- und Lymphgefäßen und Lymphknoten. Lymphknoten sind kleine Filter, die Tumorzellen, die sich mit dem Gewebewasserstrom ausbreiten können, auffangen. Tumor, Blut- und Lymphstrukturen sind in Fettgewebe eingebettet und von einer mikroskopisch feinen Umverpackungsschicht umgeben. Das Ziel der Operation besteht darin, den Tumor mit den ihn umgebenden Strukturen „en-bloc“ und unter Erhalt dieser Hüllschicht freizupräparieren. Dies gelingt bei entsprechender Expertise in hervorragender Weise in minimalinvasiver Technik. Hierbei werden alle relevanten Strukturen mit einer hochauflösenden Minikamera dargestellt und über Minischnitte mit Spezialinstrumenten herauspräpariert. Der Vorteil besteht in einer deutlich geringeren Belastung des Körpers, was einen viel schneller auf die Beine bringt. Nach aktuellen Studien scheinen auch die onkologischen Ergebnisse nach minimalinvasiven Eingriffen eher besser zu sein, als nach offenen Eingriffen, sei es durch eine geringere Beeinträchtigung des Immunsystems oder durch einen schnelleren Beginn einer ggf. erforderlichen medikamentösen Therapie.
Offen-chirurgisch werden in der Regel nur bestimmte Tumore versorgt, die aus dem Darm herausgewachsen sind oder sich auch im Bauchfell ausgebreitet haben. Zudem können in Einzelfällen ausgedehnte Voroperationen, die zu starken Verwachsungen geführt haben, die Durchführung des Eingriffs in minimalinvasiver Technik unmöglich machen.
Prof. Rink: Die roboterassistierte Operation ist eine Sonderform der minimalinvasiven Chirurgie. Der Roboter hat eine noch über die Qualität der meisten Laparoskopiekameras hinausgehenden Bildqualität sowie bis zu drei im Bauchraum nahezu frei bewegliche Roboterarme, die eine sehr feine, hochpräzise Präparation ermöglichen. Insbesondere bei den Enddarmtumoren im engen kleinen Becken kann der Roboter sehr hilfreich sein.
Die personalisierte Medizin hat auch jetzt schon eine erhebliche Bedeutung bei der Behandlung von Dickdarmtumoren und wird in den nächsten Jahren noch deutlich an Bedeutung gewinnen. Schon heute nutzen wir molekularpathologische Untersuchungen, um das Ansprechen von Chemotherapeutika vorauszusagen und danach die geeigneten Medikamente auswählen zu können. In Einzelfällen können hierdurch auch Tumore detektiert werden, die ganz ohne Operation behandelt werden können.
Prof. Rink: Bei einem Dickdarmtumor, der nicht unmittelbar am Schließmuskel lokalisiert ist, ist die Notwendigkeit für einen künstlichen Darmausgang die absolute Ausnahme. Selbst bei den Enddarmtumoren operieren wir deutlich mehr als 80% unter Erhalt des Schließmuskels, bei den höher gelegenen Dickdarmtumoren nahezu alle, sofern die betroffen Patienten nicht als Notfall mit Darmperforation oder Darmverschluss zu uns kommen. Bei den schließmuskelerhaltenden Operationen von Enddarmtumoren muss man wissen, dass der Ersatzenddarm, den wir aus einem anderen Stück Dickdarm formen, die Funktion des natürlichen Enddarms nur bedingt übernehmen kann und funktionelle Probleme in Bezug auf Stuhlhalten und Stuhlentleeren auftreten können. Auch diese Funktionsstörungen können bei den meisten Betroffenen erfolgreich behandelt werden. In Einzelfällen kann aber auch ein künstlicher Darmausgang, auch unter Lebensqualitätsaspekten, eine bessere Option sein, als der Erhalt der Darmkontinuität mit einer daraus resultierenden schweren Inkontinenz.
Prof. Rink: Eine Teilentfernung des Dickdarms unter Erhalt des Enddarms führt in aller Regel nicht zu einer relevanten Störung der Darmfunktion. Wer nicht allzu schwere Begleiterkrankungen mitbringt, ist in der Regel nach einem etwa fünftägigen stationären Aufenthalt wieder zuhause oder auf Wunsch auch zur Reha. Für nochmals 2-3 Wochen fühlt man sich etwas schlapp, ist dann aber in der Regel wieder zurück im Leben. In Abhängigkeit von Tumorart und -stadium schließt sich unter Umständen noch eine medikamentöse Therapie an, die entweder in Tablettenform oder als Infusionstherapie erfolgt. Die Nebenwirkungen hängen von den verabreichten Medikamenten ab.
Bei den Enddarmtumoren wird häufig vor der Operation eine Strahlen- bzw. Strahlen/Chemotherapie verabreicht, die gelegentlich auch nach der Operation durch eine Chemotherapie komplettiert wird. Wenn der Enddarm komplett bis an den Oberrand des Schließmuskels entfernt und ein Ersatzenddarm gebildet wird, wird in der Regel ein künstlicher Darmausgang „vorgeschaltet“. Diesen kann man nach einigen Wochen rückverlagern.
Prof. Rink: Die Standardisierung und intensive Schulung in den Operationsverfahren hat in entsprechenden Zentren zu einer erheblichen Verbesserung der Heilungschancen bei Darmkrebs geführt. Rund 70% der operierten Patienten sind nach fünf Jahren frei von Tumoren und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt. Minimalinvasive Operationstechniken tragen ihren Teil zu diesem Erfolg bei.
Rund 70% der operierten Patienten sind nach fünf Jahren frei von Tumoren und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt.
Wesentliche Verbesserungen haben sich auch in der medikamentösen Therapie ergeben. Vor allem Patienten mit Tumoren, die Fernabsiedlungen gesetzt haben, die man nicht mehr operieren kann, profitieren hiervon. Oft können die Tumore hierdurch über Jahre unter Kontrolle gehalten werden, wodurch auch in diesen Situationen ein langfristiges Überleben bei guter Lebensqualität möglich ist. Fernabsiedlungen in der Leber, in der Lunge und teilweise auch im Bauchfell und anderen Organen können in vielen Fällen operiert werden.
Zudem wird in zunehmendem Umfang die Möglichkeit genutzt, den Tumor auf molekularer Ebene genauer zu klassifizieren und hiernach spezifische medikamentöse Ansätze zu nutzen. So gibt es eine Untergruppe von Tumoren, die eine starke Immunreaktion auslösen. Mit bestimmten Medikamenten, den sogenannten Checkpointinhibitoren, können diese Tumore der körpereigenen Immunabwehr zugänglich gemacht werden. In einigen Fällen können diese Tumore durch eine alleinige Immuntherapie ohne Operation, ohne Bestrahlung und ohne Chemotherapie geheilt werden.
Prof. Rink: Nach wie vor ist der wichtigste Schritt die Früherkennung. Dabei spielt die Darmspiegelung die größte Rolle, da Polypen, die die Vorstufe der allermeisten Darmkrebsmanifestationen sind, abgetragen und damit beseitigt werden. Unter Anwendung künstlicher Intelligenz kann möglicherweise die Rate an erkannten und damit behandelten Polypen bei der Darmspiegelung erhöht werden.
Des Weiteren nutzen wir zunehmend die Möglichkeiten der molekularen Charakterisierung der Tumore, um in geeigneten Fällen spezifische medikamentöse Behandlungsoptionen nutzen zu können. Die Kombination von Bestrahlung und Chemotherapie, in einigen Fällen auch der Immuntherapie, wird bei im Enddarm lokalisierten Dickdarmtumoren schon heute genutzt, um in Einzelfällen den Tumor ganz ohne Operation heilen zu können. Für die meisten Tumore bleibt aber die gut durchgeführte Operation der wesentliche Schritt, der zur Heilung der Tumorerkrankung führt. Dies sollte heute in minimalinvasiver Operationstechnik durchgeführt werden.
Für die meisten Tumore bleibt aber die gut durchgeführte Operation der wesentliche Schritt, der zur Heilung der Tumorerkrankung führt.
Die Anwendung eines Roboters kann helfen, in bestimmten Situationen die Qualität der Operation noch etwas zu verbessern, allerdings ist auch hier der Roboter nur so gut, wie der Chirurg der ihn bedient. Die minimalinvasiven Operationstechniken bieten wegen der geringeren Belastung auch die Chance, alte Menschen mit geringem Risiko operieren zu können. Da wir immer älter werden und die Häufigkeit von Darmkrebs mit zunehmendem Alter steigt, ist auch dies ein wichtiger Aspekt.
Prof. Rink: Wir werden Tumore noch intensiver molekular untersuchen und sehr gezielt die Tumore, die gut auf eine nicht-operative Therapie ansprechen, bevorzugt nicht-operativ oder zumindest nicht primär operativ behandeln, während wir die anderen Tumore gezielter einer primären Operation zuführen werden. Diese wird definitiv in minimalinvasiver Technik vorgenommen werden, bei der Operationsroboter einen großen Stellenwert haben werden.
Auch werden wir im Rahmen der Operation mehr die moderne Bildgebung nutzen, um uns beispielsweise Informationen aus Computertomographie und Kernspintomographie in unsere Bilder des Operationssitus hineinprojizieren lassen.
Insgesamt wird auch der Erhalt der Körperfunktionen, vor allem der Darmfunktion, aber auch der Blasen- und Sexualfunktion sowie der körperlichen Leistungsfähigkeit mehr Beachtung finden. Dies geschieht auch jetzt schon durch intraoperative Überwachung der Nervenfunktionen (sogenanntes Neuromonitoring) und durch organerhaltende Behandlungsansätze bei denen entweder gar nicht operiert wird oder nur relativ fokussiert die eigentliche Tumorregion entfernt wird.
Danke für das Interview!
aktualisiert am 25.08.2023