Prof. Wild: Prinzipiell können zwei Unfallmechanismen zu einem Kniescheibenbruch führen: Entweder durch einen direkten Sturz auf die Kniescheibe oder durch eine maximale Anspannung des Kniestreckers bei einem Sprung oder beim Abfangen eines Sturzes mit dadurch bedingter Zerreißung der Kniescheibe. Vor Einführung der Anschnallpflicht im PKW war der Anprall der Kniescheibe gegen das Armaturenbrett bei einem Frontalunfall auch eine häufige Unfallursache, die heutzutage aber kaum noch eine Rolle spielt.
Prof. Wild: Bei einem kompletten Bruch der Kniescheibe kann das Kniegelenk nicht mehr aktiv gestreckt werden und das betroffene Bein nicht mehr voll belastet werden, da das eigene Gewicht dann nicht mehr getragen werden kann. Zudem kann man häufig eine große Lücke in der Kniescheibe tasten. Sollte der seitliche Halteapparat im Rahmen der Fraktur nicht zerreißen und es zu keiner groben Verschiebung der Fragmente kommen, sind die oben beschriebene Symptome nicht so stark ausgeprägt, sodass eine Patellafraktur dann nur im Röntgenbild festgestellt werden kann. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt lässt sich aber immer ein Kniegelenkserguss bei einem Kniescheibenbruch nachweisen.
Bei einem kompletten Bruch der Kniescheibe kann das Kniegelenk nicht mehr aktiv gestreckt werden und das betroffene Bein nicht mehr voll belastet werden, da das eigene Gewicht dann nicht mehr getragen werden kann.
Prof. Wild: Quer- und Trümmerbrüche müssen in der Regel operativ versorgt werden. Lediglich völlig unverschobene Brüche können im Ausnahmefall nach einer Stressaufnahme in 30 Grad Beugung auch konservativ behandelt werden, müssen dann aber regelmäßig geröntgt werden, um eine Verschiebung der Fragmente frühzeitig zu bemerken. Die seltener auftretenden Längsbrüche der Kniescheibe können in der Regel konservativ behandelt werden. Hier müssen lediglich grob verschobene Frakturen operiert werden.
Je nach Bruchform stehen unterschiedliche Implantate zur Einrichtung und Stabilisierung der Kniescheibenfraktur zur Verfügung. Neben der klassischen Zuggurtungsosteosynthese (Verdrahtung) können Schrauben mit und ohne Verdrahtung sowie Platten zur Versorgung der Kniescheibenbrüche verwendet werden. Letztendlich entscheidet die Frakturform darüber, welches Implantat am Besten zur operativen Stabilisierung geeignet ist. Die Nachbehandlung nach der Operation unterscheidet sich in der Regel nicht. Meist wird eine Knieorthese über 6 Wochen angelegt und eine Teilbelastung oder Vollbelastung in der Knieorthese erlaubt.
Prof. Wild: Unverschobene Kniescheibenbrüche sowie Längsfrakturen können prinzipiell konservativ therapiert werden. Allerdings müssen Trümmerbrüche und Querbrüche engmaschig geröntgt werden, um ein sekundäres Auseinanderweichen der Bruchfragmente rechtzeitig zu erkennen. Zur Abschätzung dieses Risikos kann man eine zusätzliche seitliche Röntgenaufnahme in 30-Grad-Beugung des Kniegelenkes machen. Kommt es hier zu keinem Auseinanderweichen der Fragmente, besteht eine ausreichende Stabilität des Bruches für eine konservative Therapie.
Üblicherweise erfolgt zur konservativen Therapie die Anlage einer Streckorthese für 6 Wochen. Aus der Streckorthese heraus erfolgt eine krankengymnastische Nachbehandlung mit zunehmender aktiver oder passiver Beugung des Kniegelenkes sowie anschließender passiver Streckung.
Üblicherweise erfolgt zur konservativen Therapie die Anlage einer Streckorthese für 6 Wochen.
Prof. Wild: Bei einer groben Verschiebung, einer erheblichen Gelenkstufe oder bei einer offenen Fraktur ist eine operative Behandlung zwingend geboten.
Prof. Wild: Über einen Quer- oder Längsschnitt erfolgen die Darstellung der Kniescheibe sowie das Einrichten bzw. stufenfreie Zusammensetzen der Bruchfragmente. Danach wird die Kniescheibe mit Implantaten stabilisiert. An klassischen Implantaten stehen die Zuggurtungsosteosynthese (Verdrahtung), (kanülierte) Schrauben mit oder ohne durch die kanülierte Schraube geführte Verdrahtung (oder Drahtkabel) sowie spezielle winkelstabile Platten zur Verfügung.
Es gibt aber auch andere Implantate, die zur operativen Stabilisierung von Kniescheibenbrüchen verwendet werden können, wie Klammern (Staples) oder Nägel. Am Ende der Operation überprüft der Chirurg die Gelenkoberfläche auf Stufenfreiheit oder Defekte. Bei sehr ausgeprägten Trümmersituationen bei einem Kniescheibenbruch kann auch einmal die Teilentfernung und im schlimmsten Fall auch die komplette Entfernung der Patella erforderlich sein.
Letztere ist aber mit einem hohen Kraftverlust verbunden, was eine erhebliche Gangbehinderung mit sich bringt, insbesondere beim Treppensteigen, sodass die komplette Entfernung der Kniescheibe, wann immer möglich, vermieden werden sollte.
Prof. Wild: Die seltenste, aber am meisten gefürchtete Komplikation, ist die Infektion, insbesondere bei einer offenen Kniescheibenfraktur, weil hier auch immer das Kniegelenk mit betroffen ist. Die Häufigkeit einer Infektion betrifft insgesamt ca. 0,5-1 % aller Fälle. Aufgrund der hohen Kräfte, welche auf die Kniescheibe einwirken, müssen die eingesetzten Implantate diesen Kräften widerstehen. Je nach Implantat und dem vorliegenden Frakturmuster, gelingt dieses mal besser und mal schlechter, sodass ein Implantatversagen mit einem Auseinanderweichen der Knochenfragmente die häufigste Komplikation bei der Behandlung der Kniescheibenbrüche ist.
Eine weitere typische Komplikation bei den Verdrahtungen (Zuggurtungsosteosynthesen), die in bis zu 37% der Fälle auftritt und in 15% der Fälle sogar eine operative Revision erfordert, ist der Drahtbruch oder die Drahtwanderung beim Bewegen des Kniegelenkes. Es sind seltene Einzelfälle beschrieben, wo ein solcher Draht bis in das Herz gewandert ist. In 30-40% der Fälle stören nach einer knöchernen Konsolidierung des Kniescheibenbruches die Implantate vor allem beim Knien, sodass diese im Rahmen einer zweiten Operation entfernt werden müssen.
In seltenen Fällen kann es bei sehr ängstlichen Patienten durch eine extreme Schonung des betroffenen Beines zu einer Kniegelenkseinsteifung (Arthrofibrose) mit einer entsprechenden Bewegungseinschränkung kommen. Dies ist aber keine typische Komplikation nach einem Kniescheibenbruch sondern betrifft alle Operationen an Gelenken.
Prof. Wild: Die Dauer der stationären Behandlung beträgt bei reizlosen Wundverhältnissen und komplikationslosem Verlauf üblicherweise 3-5 Tage. Während des stationären Aufenthaltes wird bereits mit der Physiotherapie und Mobilisation an Unterarmgehstöcken begonnen. Das betroffene Kniegelenk wird zudem in einer speziellen Knieorthese für ca. 6 Wochen immobilisiert. Über diesen Zeitraum muss auf eine ausreichende Thromboembolieprophylaxe geachtet werden.
Die Dauer der Krankschreibung richtet sich in der Regel nach dem ausgeübten Beruf. Das Minimum der Krankschreibung beträgt 2 Wochen bei Berufen, wo lediglich am Schreibtisch gearbeitet oder Aufsicht geführt wird, bis zu 3 Monaten bei starker körperlicher Belastung (z.B. Handwerker). Knöchern geheilt sind Kniescheibenbrüche in der Regel nach 6 Wochen.
Die Dauer der stationären Behandlung beträgt bei reizlosen Wundverhältnissen und komplikationslosem Verlauf üblicherweise 3-5 Tage.
Prof. Wild: Aufgrund der geringen Weichteilbedeckung über der Kniescheibe klagen viele Patienten über eine Irritation durch die eingebrachten Implantate, sodass diese Implantate wieder entfernt werden müssen.
Prof. Wild: Die von mir entwickelte winkelstabile Patellaplatte zeichnet sich vor allem aufgrund ihrer hohen Stabilität aus, sodass die gefürchtete Komplikation des Implantatversagens deutlich seltener auftritt. Zudem kann der Belastungsaufbau deutlich rascher erfolgen, da diese winkelstabile Platte ca. das 4-fache an Zugkräften aushält, als die bis dato gängigste operative Versorgung mittels Verdrahtung.
Während die von mir entwickelte Platte seitlich auf die Kniescheibe gelegt wird und somit auch das Hinknien trotz Implantat ermöglicht, haben inzwischen auch andere Implantathersteller die Vorteile der winkelstabilen Platten zur operativen Versorgung von Kniescheibenbrüchen erkannt und auf den Markt gebracht. Diese werden in der überwiegenden Zahl aber auf der Kniescheibenvorderfläche aufgelegt, sodass hier das Knien durch die geringe Weichteilbedeckung der Kniescheibe häufig schmerzhaft ist.
In den letzten Jahren hat sich die winkelstabile Patellaplatte zur operativen Versorgung von Kniescheibenbrüchen aber allgemein durchgesetzt und gilt inzwischen als Verfahren der Wahl zur Behandlung von Kniescheibenbrüchen. Mit dieser Technik können sowohl Quer- als auch Mehrfragmentfrakturen versorgt werden, lediglich bei ausgeprägten Trümmerzonen mit kleinen Fragmenten oder bei Ausrissfrakturen des oberen oder unteren Patellapols kommt die Patellplatte an ihre Grenzen.
In den letzten Jahren hat sich die winkelstabile Patellaplatte zur operativen Versorgung von Kniescheibenbrüchen aber allgemein durchgesetzt...
Prof. Wild: Die winkelstabile Patellplatte weist sowohl bei den Kniescheibenquer- als auch bei den Kniescheibenmehrfragmentfrakturen die mit Abstand höchste Stabilität im Vergleich zu anderen Implantaten auf, sodass eine raschere Mobilisierung des Patienten erfolgen kann. Bei den einfachen Querfrakturen ist sogar eine orthesenfreie Nachbehandlung mit Vollbelastung möglich, sofern der Patient keine Treppen geht. Durch die seitliche Lage macht dieses Implantat beim Knien auch deutlich weniger Beschwerden.
Die winkelstabile Patellplatte weist...die mit Abstand höchste Stabilität im Vergleich zu anderen Implantaten auf...
Prof. Wild: Dies hängt natürlich neben der Bruchform auch vom Alter des Patienten, seinem Muskelstatus sowie dem Bewegungsumfang des betroffenen Kniegelenkes ab. In der Regel sollte die Sportfähigkeit nach 3-6 Monaten wieder erreicht werden.
Prof. Wild: Da die Kniescheibe als größtes Sesambein des Menschen ein Gelenkpartner des Kniegelenkes ist und die Kniescheibenrückfläche daher auch mit Gelenkknorpel überzogen ist, droht wie bei allen Gelenkfrakturen selbst bei einwandfreier knöcherner und anatomischer Heilung ein unfallbedingter Verschleiß (posttraumatische Arthrose) des Kniescheibengelenkes, sodass hier im Verlauf ggf. ein Kniescheibenersatz oder sogar ein Ersatz des gesamten Kniegelenkes (Knietotalendoprothese) erforderlich werden kann.
Dabei steigt das Risiko eines unfallbedingten Gelenkverschleißes mit dem Ausmaß des Bruches, sodass Trümmerfrakturen diesbezüglich das größte Risiko aufweisen. Häufig äußert sich ein Verschleiß des Kniescheibengelenkes durch starke Schmerzen beim Treppen heruntergehen oder Bergabgehen.
Prof. Wild: Die Abkehr von der klassischen Verdrahtung hin zur winkelstabilen Plattenosteosynthese ist die wesentliche Veränderung in der Behandlung dieser seltenen Verletzung (ca. 1% aller Frakturen) in den letzten Jahren. Somit ist es gelungen, mit der Entwicklung der winkelstabilen Plattenosteosynthese ein Implantat zur Verfügung zu haben, welches diese Problemfraktur (kleiner Knochen mit maximaler Belastung) gut adressieren und stabilisieren kann.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 24.06.2024.