Die weißen Blutkörperchen oder Leukozyten ("leukos" altgriechisch: weiß; "cytos" altgriechisch: Höhlung) haben spezielle Funktionen in der Abwehr von Krankheitserregern und körperfremden Stoffen. Sie sind damit Teil des Immunsystems. Die Leukozyten werden nach Funktion und Aussehen in dre Untergruppen unterteilt:
Granulozyten („granulum“ lateinisch: Körnchen; „cytos“ altgriechisch: Höhlung) sind mit etwa 50 bis 70 Prozent die häufigsten Leukozyten. Gebildet werden sie im Knochenmark und von dort ins Blut freigesetzt. Bei Bedarf können sie ins Gewebe auswandern, um Eindringlinge zu bekämpfen. Nach ihrem Färbeverhalten werden drei verschiedene Granulozyten unterschieden. Neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten, die jeweils andere Aufgaben erfüllen.
Immunzellen | Aufgabe und Funktion |
---|---|
neutrophile Granulozyten | Bekämpfen als Fresszellen Bakterien, Pilze und Viren im Blut (Phagozytose). |
eosinophile Granulozyten | Wehren Parasiten ab und sind an allergischen Reaktionen beteiligt. |
basophile Granulozyten | Wehren Parasiten ab und können allergische Reaktionen auslösen. Können ebenfalls an Entzündungsreaktion und Juckreiz beteiligt sein. |
Neutrophile Granulozyten sind mit einem Anteil von 50 bis 70 Prozent die größte Gruppe aller Leukozyten. Namensgebend ist die Anfärbbarkeit ihrer sogenannten Granula (Körnchen) im Zellinneren mit einem neutralen Färbemittel („neutros“ - neutral liebend). Sie färben sich hell rosa und lassen sich so im Blutausstrich von den Eosinophilen und Basophilen unterscheiden.
In ihrer Granula haben neutrophile Granulozyten bestimmte Peptide und Enzyme gespeichert, die eine bakterienabtötende Wirkung haben. Damit erfüllen sie ihre Hauptaufgabe, die Abtötung und Bekämpfung von eindringenden Mikroorganismen, besonders Bakterien oder bestimmte Pilze.
Diese Aufgabe erfüllen sie folgendermaßen: Neutrophile Granulozyten zirkulieren in der Blutbahn. Beim Eindringen von Krankheitserregern werden, durch den Erregern selbst oder von geschädigtem Gewebe, chemische Signale gesendet. Diese Signale locken die Neutrophilen an, die daraufhin aktiv aus der Blutbahn in das Gewebe einwandern (Chemotaxis). Die Erreger werden umschlossen und in das Innere der Neutrophilen aufgenommen. Dort werden Substanzen aus den Granula freigesetzt und die eingeschlossenen Mikroorganismen unschädlich gemacht bzw. verdaut. Der Vorgang wird auch Phagozytose genannt. Zellen die dazu in der Lage sind nennt man auch Fresszellen. Sie stellen einen sehr wichtigen Teil des Immunsystems dar.
Wie alle Granulozyten sind die Neutrophilen kugelförmig, ihr Durchmesser ist etwa 12 bis 15 μm. Sie besitzen einen charakteristischen Zellkern. Bei unreifen Neutrophilen ist dieser stabförmig (stabkernige Neutrophile), bei ausgereiften Neutrophilen in drei bis vier Segmente (segmentkernige Neutrophile) unterteilt. Mit neutralem Färbemittel lassen sie sich schwach rosa anfärben.
Unter dem Mikroskop lassen sich neutrophile Granulozyten durch die Gestalt ihres Zellkerns in zwei Untergruppen unterteilen. Differenziert werden die jugendlichen (stabkernigen) und die reifen (segmentkernigen) Neutrophilen.
Stabkernige sind mit etwa fünf Prozent aller Leukozyten deutlich seltener als reife, segmentkernige Neutrophile mit 50 bis 70 Prozent. Der Zellkern der Stabkernigen besteht aus einem Stück, das stabförmig in die Länge gezogen wird.
Im Reifungsprozess, der Stunden bis Tage dauern kann, kommt es zur Einschnürung an mehreren Stellen des Zellkerns. Reife Neutrophile besitzen den einen segmentierten Zellkern, der charakteristisch für sie ist.
Das Verhältnis von stabkernigen zu segmentkernigen gibt Hinweise auf die Dauer einer Infektion.
Man spricht von Linksverschiebung wenn die Zahl stabkerniger im Verhältnis zu segmentkernigen erhöht ist. Ursache ist eine vermehrte Freisetzung unreifer Stadien aus dem Knochenmark als Reaktion auf eine gerade stattgefundene, akute Infektion.
Liegt eine Erhöhung sehr reifer segmentierter neutrophiler Granulozyten vor, spricht man von Rechtsverschiebung. Dies ist der Fall, wenn weniger Neutrophile aus den Blutgefäßen austreten. Ursache ist häufig eine körpereigene erhöhte Produktion von Cortison oder dessen Einnahme.
Die Gesamtleukozytenzahl wird im kleinen Blutbild bestimmt. Bei veränderten Werten der Leukozyten wird ein Differentialblutbild (kleines Blutbild + Differentialblutbild = großes Blutbild) angefertigt, um die Werte der Unterarten zu erhalten. Zum einen wird ihr Verhältnis zur Gesamtleukozytenzahl (in Prozent) zum anderen ihre Zellzahl pro µl Blut angegeben.
Eine Übersicht über das Differentialblutbild mit allen Normwerten gibt folgende Tabelle:
Zellen | in Prozent | pro µl Blut | weitere Infos |
---|---|---|---|
Alle weißen Blutkörperchen | 100% | 4.000-10.000 | Leukozyten zu hoch Leukozyten zu niedrig |
Neutrophile Granulozyten (segmentkernig) | 50-70% | 3.000-5.800 | Neutrophile zu hoch Neutrophile zu niedrig |
Neutrophile Granulozyten (stabkernig) | 3-5% | 150-400 | |
Basophile Granulozyten | 0-1% | 15-40 | Basophile zu hoch Basophile zu niedrig |
Eosinophile Granulozyten | 1-4% | 50-250 | Eosinophile zu hoch Eosinophile zu niedrig |
Monozyten | 3-7% | 285-500 | Monozyten zu hoch Monozyten zu niedrig |
Lymphozyten | 25-45% | 1.500-3.000 | Lymphozyten zu hoch Lymphozyten zu niedrig |
Die Erhöhung der Neutrophilen wird auch als Neutrophilie bezeichnet. Kommt es zu einem Anstieg der stabkernigen (unreifen) Neutrophilen, spricht man von Linksverschiebung. Eine Rechtsverschiebung ist das vermehrte Auftreten von Segmentkernigen, also reifen Neutrophilen.
Akute Infektionskrankheiten führen zu einer vermehrten Freisetzung von unreifen neutophilen Granulozyten (Linksverschiebung) wegen dem erhöhten Verbrauch am Ort der Entzündung (z.B. Bakterien oder Pilze). Auch andere Erkrankungen wie Schilddrüsenüberfunktion, Viruserkrankungen oder überstandene Knochenmarkserkrankungen können die Ursache sein.
Eine reduzierte Auswanderung der Neutrophilen aus den Blutgefäßen bei Morbus Cushing (erhöhte Cortisolproduktion der Nebennieren) oder der Einnahme von Cortison führt zu einer Rechtsverschiebung.
Zu einer physiologischen (normalen, natürlichen) Erhöhung der Neutrophilen kommt es bei einer vermehrten Ausschüttung von Adrenalin z.B. bei Stress oder Angst. Der Anstieg ist nur kurzfristig, es kommt zur Freisetzung von reifen Neutrophilen in die Blutbahn. Etwa eine Stunde nach dem Ereignis normalisieren sich die Werte wieder.
Eine Reduktion der neutrophilen Granulozyten im Differentialblutbild wird als Neutropenie bezeichnet. Ursache hierfür ist entweder eine reduzierte Bildung von Neutrophilen im Knochenmark oder der Verbrauch, bzw. die Zerstörung ist schneller als ihre Produktion im Knochenmark.
Die Bildung von Neutrophilen im Knochenmark ist häufig reduziert bei Krebserkrankungen, bakteriellen Infektionen (zum Beispiel Tuberkulose), viralen Infekten, Vitamin-B12-Mangel und Folsäure-Mangel. Bekannt ist, dass auch eine Krebstherapie mit Chemotherapeutika oder einer Bestrahlung zu einer verminderten Bildung von neutrophilen Granulozyten führt. Das gilt auch für bestimmte giftige Stoffe, die zur Insektenbekämpfung eingesetzt werden.
Ein vermehrter Verbrauch oder eine Zerstörung von Neutrophilen hat unterschiedliche Ursachen. Dazu gehören bakterielle Infektionskrankheiten, Allergien, die Einnahme von Medikamenten (zum Beispiel zur Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion), Autoimmunkrankheiten (das Immunsystem greift körpereigene Zelle an) oder Patienten mit einer vergrößerten Milz (hier werden Neutrophile in der Milz gespeichert und zirkulieren nicht mehr im Blut).
Neutrophile Granulozyten spielen eine entscheidende Rolle in der Bekämpfung von Bakterien und bestimmten Pilzarten. Bei erniedrigten Werten steigt das Infektionsrisiko teilweise erheblich.
Liegen die Werte unter 500 pro Mikroliter (µl) können kleinste, sonst harmlose Infektionen lebensbedrohlich werden.
Da eine Neutropenie meist ohne eindeutigen Symptome einer Infektionserkrankung erscheint, wird sie häufig lange nicht erkannt. Leiden Patienten unter ständig wiederkehrenden Infektionskrankheiten oder nehmen sie Medikamente ein, die eine Neutropenie verursachen können, wird der Arzt ein großes Blutbild anordnen. Auch bei Patienten, die eine Chemotherapie oder Bestrahlung erhalten, liegt der Verdacht nahe, dass sie eine Neutropenie entwickeln. Sind die Neutrophilen reduziert, wird der Arzt nach der auslösenden Ursache suchen. Grundsätzlich wird auch bei bekannter Ursache (zum Beispiel Krebstherapie) eine Infektion ausgeschlossen, um schwere Folgen zu verhindern. Da die Symptome sehr unterschiedlich sind und nicht immer direkt auf eine Infektion hinweisen, wird der Arzt je nach Beschwerden verschiedene Untersuchungen einleiten (Röntgenuntersuchung, Urinanalyse, Blutkultur von Bakterien).
Im Patientengespräch wird der Arzt jeden Kontakt zu giftigen Substanzen oder Medikamenten erfragen. In einigen Fällen wird eine Punktion des Knochenmarks folgen. Die Untersuchung des Knochenmarks zeigt die Entwicklungsstadien der Neutrophilen. So kann unterschieden werden, ob die Ursache in einer vermehrten Zerstörung bzw. Verbrauch oder an einer Produktionsstörung im Knochenmark liegt. Außerdem können im Rahmen der Knochenmarksuntersuchung Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder bestimmte Arten von Knochenkrebs erkannt werden.
Das Wichtigste in der Therapie ist die Bekämpfung der Infektion. Bei starker Neutropenie können schon kleine Infektionen einen lebensgefährlichen Verlauf nehmen. Die Patienten erhalten ein Antibiotikum, hygienische Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen sollten streng eingehalten werden.
Kann eine Ursache für die Neutropenie gefunden werden, wird diese soweit möglich behandelt. Medikamente, die Neutrophile reduzieren, werden möglichst abgesetzt. Kommen giftige Stoffe als Ursache in Frage, müssen diese gemieden werden. Bei Autoimmunerkrankungen wird meist Cortison eingesetzt. Bei Knochenmarkserkrankungen (Krebs, Leukämie) werden Therapien wie Knochenmark- oder Stammzelltransplantation durchgeführt. Nach erfolgreicher Durchführung normalisieren sich die Blutwerte.
Bei länger anhaltender, intensiver Neutropenie (besonders im Rahmen von Chemotherapie oder Bestrahlung) werden Wachstumsfaktoren eingesetzt, die die Bildung von Neutrophilen fördern.
Eine Neutrophilie mit Linksverschiebung wird sich bei Behandlung oder Abklingen der akuten Infektion wieder normalisieren. Liegt die Ursache für eine Rechtsverschiebung an einem erhöhten Blutcortison Wert wird sich bei dessen Normalisierung auch der Neutrophilen-Wert wieder stabilisieren.
aktualisiert am 02.03.2022