Herr Prof. Dr. Einsele - Sie sind Sprecher des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen NCT WERA und haben neue Meilensteine in der Myelom-Therapie erreicht.
Prof. Einsele: Das Multiple Myelom ist eine Blutkrebskrankheit, bei der bestimmte Immunzellen, die hauptsächlich im Knochenmark vorkommen, bösartig entarten und daraufhin die Tumorerkrankung auslösen.
Prof. Einsele: Betroffen sind vor allem Menschen über 65 Jahre, Männer etwas häufiger als Frauen. Es scheint keinen eindeutig nachgewiesenen Risikofaktor für diese Erkrankung zu geben. Man könnte vermuten, dass bestimmte chronische Infektionen, die das Immunsystem anhaltend stimulieren, eher zu dieser Erkrankung führen. Es wurde auch vermutet, dass bestimmte Chemikalien eine Rolle spielen könnten, aber bisher konnte dies nicht eindeutig als dokumentierter Risikofaktor bestätigt werden.
Es scheint keinen eindeutig nachgewiesenen Risikofaktor für diese Erkrankung zu geben.
Prof. Einsele: Diese Erkrankung ist diagnostisch sehr schwierig, da sie sehr unterschiedlich verlaufen kann. Bei etwa 75 bis 80% der Patienten sind die Knochen betroffen, weshalb sich viele Patienten mit Rückenschmerzen und gelegentlich sogar mit Knochenbrüchen vorstellen. Es gibt auch Patienten, bei denen vor allem eine erhöhte Infektanfälligkeit auffällt und solche, bei denen es zu einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion kommt. Diese beginnen häufig mit schaumigem Urin und können später zu einer erheblichen Einschränkung der Nierenfunktion führen, die eine Dialyse erforderlich machen kann. Außerdem kann es zu einer Verminderung des roten Blutfarbstoffs kommen, begleitet von Kopfschmerzen und Sehstörungen. Das sind die häufigsten Symptome, aber die Vielfalt der Symptome macht die Diagnose oft sehr schwierig.
Viele Patienten, die ich immer wieder sehe, stellen sich bei verschiedenen Ärzten vor, bevor die Diagnose wirklich gesichert ist, oft nach monatelanger Irrfahrt. Bei einigen Patienten wird die Diagnose auch gestellt, ohne dass Symptome auftreten, aufgrund von Veränderungen in ihren Blutwerten, die bei der Elektrophorese und Immunelektrophorese festgestellt werden. So kann ein Patient auch ohne Symptome als Myelompatient diagnostiziert werden.
Wichtig ist, dass es einen fließenden Übergang gibt. Es gibt ein Vorstadium, das als "monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz" bezeichnet wird und bis zu 5 % der älteren Bevölkerung betrifft. Diese kann sich zu einem "smoldering myeloma" entwickeln, was bedeutet, dass die Myelomerkrankung zwar vorhanden ist, es aber noch einige Zeit oder sogar sehr lange dauern kann, bis sie behandlungsbedürftig wird.
Prof. Einsele: Zunächst wird eine Blutuntersuchung durchgeführt. Außerdem wird eine Elektrophorese durchgeführt, um Nierenfunktionsstörungen zu überprüfen und den Kalziumspiegel als Parameter des Knochenstoffwechsels zu messen. Zusätzlich wird eine bildgebende Untersuchung der Knochen durchgeführt, die so genannte Osteoszintigraphie, bei der das gesamte Skelettsystem des Patienten auf Anzeichen von Knochenveränderungen untersucht wird. Dies sind die wichtigsten Diagnoseschritte. Bei Verdacht auf Tumorzellen im Knochenmark wird zusätzlich eine Knochenmarkpunktion durchgeführt, um diese Zellen nachzuweisen.
Prof. Einsele: In der Regel handelt es sich um eine Langzeitbehandlung. Es gibt zwei Hauptansätze, die je nach Eignung des Patienten unterschieden werden. Bei jüngeren Patienten, die für eine Transplantation in Frage kommen, wird zunächst eine Stammzelltransplantation angestrebt, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Tabletten. Diese Tablettenbehandlung wird für gewöhnlich bis zum Fortschreiten der Erkrankung fortgesetzt. Bei einigen Patienten, bei denen man davon ausgeht, dass sie von der Erkrankung geheilt sind, kann die Therapie schließlich abgesetzt werden.
Bei älteren Patienten, die für eine Transplantation nicht mehr in Frage kommen, wird häufig eine Dreifach-Kombinationstherapie über einen längeren Zeitraum, manchmal 4 bis 5 Jahre, durchgeführt, bis ein Fortschreiten der Erkrankung festgestellt wird.
In der Regel handelt es sich um eine Langzeitbehandlung.
Prof. Einsele: Es gibt nur wenige Erkrankungen, bei denen es so viele neue Entwicklungen gibt wie beim Multiplen Myelom. Allein in den letzten 10 Jahren wurden 14 neue Medikamente zugelassen. Wenn wir uns an die Zeit vor 20 bis 25 Jahren zurückerinnern, so betrug die prognostizierte Überlebenszeit der Patienten damals nur etwa 2 bis 3 Jahre. Heute gehen wir davon aus, dass insbesondere jüngere, transplantationsfähige Patienten eine mittlere Überlebenszeit von mindestens 12 Jahren haben. Diese Ergebnisse wurden mit Therapien erzielt, die noch vor 10 Jahren eingesetzt wurden. Es ist davon auszugehen, dass die Therapieergebnisse heute noch deutlich besser sind.
Prof. Einsele: Wir wissen, dass es Patienten gibt, die nach einer Stammzelltransplantation langfristig gesund bleiben. Ich betreue derzeit einige Patienten, die seit mehr als 20 Jahren keine Krankheitszeichen mehr aufweisen und bei denen auch mit empfindlichsten Methoden keine Tumorzellen mit nachweisbar sind. In solchen Fällen gehen wir eigentlich davon aus, dass diese Patienten geheilt sind. Der Anteil der geheilten Patienten ist wahrscheinlich noch relativ gering, etwa 10 bis 15 Prozent, vor allem bei denen, die eine sehr gute Remission erreicht haben. Die Therapien werden jedoch ständig verbessert, so dass wir davon ausgehen können, dass die Heilungschancen bei dieser Erkrankung deutlich steigen werden.
Wir wissen, dass es Patienten gibt, die nach einer Stammzelltransplantation langfristig gesund bleiben.
Prof. Einsele: In der Krebsforschung gibt es zwei Hauptansätze, v. a. die Therapieergebnisse noch weiter zu verbessern:. Zum einen handelt es sich um zielgerichtete Therapien, bei denen versucht wird, genetische Veränderungen zu identifizieren und dann gezielt gegen diese genetischen Veränderungen und gegen die von ihnen aktivierten Signalwege in der Tumorzelle vorzugehen. Das hat sich vor allem beim Melanom und später auch beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom-Myelom als sehr erfolgreich erwiesen. Hier gibt es auch einige Ansätze beim Multiplen Myelom (z.B. b-raf, BCL-2-gerichtete Therapien).
Zum anderen, und das ist aus meiner Sicht der mit Abstand der erfolgreichste Ansatz, setzen wir auf Immuntherapien, bei denen wir körpereigene Killerzellen und bispezifische Antikörper einsetzen, um das körpereigene Immunsystem maximal gegen den Tumor und die Tumorzellen zu aktivieren. Damit erreichen wir beeindruckende Remissionsraten und eine hohe Zahl von Komplettremissionen. Bei einer aktuellen Studie haben 175 von 176 Patienten angesprochen. 86 % der Patienten haben eine komplette Remission erreicht. Diese Therapien, die bisher später in der Therapielinie eingesetzt wurden, werden nun zunehmend in früheren Stadien der Behandlung eingesetzt. Wir hoffen, dadurch noch mehr Patienten als bisher heilen zu können.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 13.12.2023.