Prof. Archavlis: Die Wirbelsäule ist für mich eines der faszinierendsten und komplexesten Strukturen im menschlichen Körper. Ihre einzigartige Kombination aus Stabilität und Flexibilität ermöglicht es uns, eine Vielzahl von Bewegungen auszuführen, während sie gleichzeitig das Rückenmark schützt, welches ein zentrales Element unseres Nervensystems ist. Die Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen stellt uns vor unglaublich vielfältige und anspruchsvolle Herausforderungen. Von degenerativen Erkrankungen wie der Arthrose, über kindlichen Skoliosen bis hin zu akuten Verletzungen und Fehlstellungen reicht das Spektrum. Die Behandlung erfordert ein tiefes Verständnis für die Biomechanik, Neurologie und verschiedene andere medizinische Fachbereiche.
Was mich persönlich an der Arbeit mit der Wirbelsäule am meisten fasziniert, ist die unmittelbare und oft dramatische Verbesserung, die Patienten nach erfolgreicher Behandlung erfahren können. Die Wirbelsäule steht im Zentrum unseres Bewegungsapparates, und Probleme in diesem Bereich können starke Schmerzen verursachen und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Wenn wir diese Probleme lösen und den Patienten ihre Mobilität und ein schmerzfreies Leben zurückgeben können, ist das unglaublich erfüllend. Darüber hinaus ist die Wirbelsäulenchirurgie ein Bereich, in dem die Medizin immer noch rasant fortschreitet. Neue Technologien, Methoden und Therapieansätze werden ständig entwickelt. Die Teilnahme an diesem Innovationsprozess, die Anwendung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Technologien sowie die Zusammenarbeit in unserem interdisziplinären Team hier am Elisabethen-Krankenhaus in Frankfurt machen meine Arbeit täglich spannend und erfüllend. Es ist ein Privileg, in einem solch dynamischen und lebensverändernden Bereich der Medizin tätig zu sein.
Prof. Archavlis: Nein, das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Bandscheibenvorfälle betreffen zwar häufiger ältere Menschen, da die Bandscheiben im Laufe der Zeit ihre Elastizität und Feuchtigkeit verlieren können, was zu einer erhöhten Anfälligkeit für Verletzungen führt. Jedoch können Bandscheibenvorfälle auch bei jüngeren Menschen auftreten. Bei jüngeren Menschen sind Bandscheibenvorfälle oft auf spezifische Aktivitäten oder Verletzungen zurückzuführen, die einen übermäßigen Druck auf die Wirbelsäule ausüben. Dies kann beispielsweise durch schweres Heben, wiederholte Bewegungen oder Sportverletzungen geschehen. Auch genetische Faktoren und der eigene Lebensstil können eine Rolle spielen.
Wichtig ist, unabhängig vom Alter, auf seinen Körper zu hören und gesunde Lebensgewohnheiten zu pflegen. Dies umfasst eine ergonomische Haltung bei der Arbeit, regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und das Vermeiden von Übergewicht. All diese Faktoren können dazu beitragen, das Risiko eines Bandscheibenvorfalls zu minimieren. Sollte es dennoch zu einem Bandscheibenvorfall kommen, ist es entscheidend, die Symptome frühzeitig zu erkennen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von konservativen Therapien bis hin zu chirurgischen Eingriffen, je nach Schwere und spezifischer Situation des Patienten.
Wichtig ist, unabhängig vom Alter, auf seinen Körper zu hören und gesunde Lebensgewohnheiten zu pflegen.
Prof. Archavlis: Bandscheibenvorfälle sind ein komplexes Thema und es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die zur Entstehung beitragen können. Einige der häufigsten Ursachen und Risikofaktoren sind:
Es ist wichtig zu betonen, dass ein Bandscheibenvorfall meist nicht das Ergebnis einer einzelnen Ursache oder Aktion ist, sondern eine Kombination von Faktoren, die im Laufe der Zeit zusammenwirken. Prävention durch gesunde Lebensgewohnheiten, korrekte Körperhaltung und regelmäßige Bewegung kann das Risiko erheblich reduzieren. In unserem Wirbelsäulenzentrum betrachten wir jeden Patienten individuell, um die spezifischen Ursachen und den besten Therapieansatz zu ermitteln. Dies umfasst eine ganzheitliche Betrachtung des Lebensstils, der körperlichen Gesundheit und der spezifischen Symptome.
Es ist wichtig zu betonen, dass ein Bandscheibenvorfall meist nicht das Ergebnis einer einzelnen Ursache oder Aktion ist, sondern eine Kombination von Faktoren
Prof. Archavlis: Die Prävention von Wirbelsäulen- und Bandscheibenproblemen ist ein zentraler Aspekt, um langfristig gesund zu bleiben. Hier sind einige Strategien, die Ihnen helfen können, Ihre Wirbelsäule und Bandscheiben gesund zu erhalten:
Prävention ist ein kontinuierlicher Prozess und es erfordert eine aktive Beteiligung und das Bewusstsein für Ihren Körper.
Prof. Archavlis: Sie haben absolut recht, dass die meisten Bandscheibenvorfälle in der Lendenwirbelsäule (LWS) und der Halswirbelsäule (HWS) auftreten. Es gibt mehrere Gründe dafür, die mit der speziellen Struktur und Funktion dieser beiden Bereiche der Wirbelsäule zusammenhängen.
Einerseits - die Lendenwirbelsäule trägt das meiste Gewicht des Körpers und ist daher einem hohen Druck ausgesetzt, besonders beim Heben, Bücken und Tragen schwerer Lasten. Die LWS ist für die Flexion und Extension des Rumpfes zuständig. Diese Beweglichkeit kann das Risiko für Verletzungen erhöhen, besonders wenn sie ohne ausreichende Unterstützung durch die umliegenden Muskeln ausgeführt wird. Mit dem Alter neigen die Bandscheiben in der LWS dazu, Feuchtigkeit zu verlieren und spröde zu werden. Dies erhöht das Risiko eines Vorfalles.
Andererseits - die Bandscheiben in der Halswirbelsäule sind kleiner und tragen weniger Gewicht als die in der LWS, sind aber dennoch einem ständigen Druck und Bewegungen ausgesetzt. Die Halswirbelsäule ermöglicht die Bewegung des Kopfes in vielen Richtungen. Diese Flexibilität kann dazu führen, dass die Bandscheiben mehr Reibung und Stress erfahren. Autounfälle oder andere Verletzungen, die ein Schleudertrauma verursachen, können besonders die Halswirbelsäule betreffen und zu einem Bandscheibenvorfall führen.
Die einzigartige Struktur und die speziellen Aufgaben dieser beiden Abschnitte der Wirbelsäule machen sie anfälliger für Verletzungen und Abnutzung im Vergleich zu anderen Bereichen der Wirbelsäule.
Prof. Archavlis: Richtig, viele Bandscheibenvorfälle können erfolgreich konservativ behandelt werden. Die konservative Therapie, einschließlich Physiotherapie, Schmerzmanagement und Kräftigungsübungen, ist oft der erste Schritt in der Behandlung. Doch in manchen Fällen kann eine Operation notwendig oder ratsam sein. Die Entscheidung zur Operation ist komplex und wird individuell für jeden Patienten getroffen. Hier sind einige Faktoren, die mich und mein Team zu einer Operation raten lassen könnten:
Die Entscheidung für eine Operation wird nie leichtfertig getroffen. Sie wird in enger Abstimmung mit dem Patienten, nach einer gründlichen Untersuchung, Diagnose und Überprüfung aller verfügbaren Behandlungsoptionen gemacht. Unser Ziel ist es immer, die bestmögliche Behandlung für den individuellen Patienten zu finden, sei es konservativ oder operativ, um ihm eine Rückkehr zu einem schmerzfreien und aktiven Leben zu ermöglichen.
Prof. Archavlis: Bei Bandscheibenvorfällen gibt es verschiedene operative Möglichkeiten, darunter das Entfernen des vorgefallenen Bandscheibenteils mittels Mikrodiskektomie oder die Versteifung der Wirbel mit einer Spinalfusion. Die häufigste Operation in unserem Zentrum ist die minimal invasive mikrochirurgische Entfernung des Bandscheibenvorfalls. In manchen Fällen setzen wir auch künstliche Bandscheiben ein.
Was die Unterschiede zwischen der Lenden- und Halswirbelsäule betrifft, so sind diese beiden Bereiche der Wirbelsäule unterschiedlich aufgebaut und erfüllen verschiedene Funktionen. In der Lendenwirbelsäule geht es oft mehr um Stabilität, während in der Halswirbelsäule die Beweglichkeit wichtiger ist. Heutzutage neigen wir dazu, die Rückenmuskulatur und Beweglichkeit so weit wie möglich zu erhalten, dies erreichen wir mit minimal invasiven Techniken, vielleicht sogar durch den Einsatz einer Bandscheibenprothese. Letztendlich ist es unser Ziel, die beste Lösung für den individuellen Patienten zu finden, die Schmerzen lindert und die Funktionalität wiederherstellt.
Prof. Archavlis: Die Wirbelsäulenchirurgie hat in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Wir haben uns von invasiven Eingriffen hin zu minimal-invasiven Techniken entwickelt, die den Patienten weniger Schmerzen und eine schnellere Erholung ermöglichen.
Eines der spannendsten Fortschritte ist die Einführung von Navigation und Robotik in der Wirbelsäulenchirurgie. Mit diesen Technologien können wir präziser arbeiten und das Risiko von Komplikationen reduzieren. Die spinale Navigation, eine Art GPS im Operationssaal, bietet uns die Möglichkeit, komplexe Eingriffe mit bisher unerreichter Genauigkeit durchzuführen.
Auch die Entwicklung von biologischen Therapieansätzen ist vielversprechend. Wir erforschen Möglichkeiten, körpereigene Mechanismen zur Heilung und Regeneration zu nutzen, was längerfristig die Notwendigkeit einiger chirurgischer Eingriffe reduzieren könnte.
In Bezug auf die Diagnose haben wir nun auch verbesserte Bildgebungsverfahren wie 3D-Bildgebung und intraoperative CT-Scans, die uns ein detaillierteres Verständnis der Anatomie des Patienten bieten und uns helfen, individuellere und effektivere Behandlungspläne zu erstellen.
Insgesamt ermöglichen uns diese Fortschritte, den Patienten besser zu versorgen, die Erholungszeiten zu verkürzen und letztlich zu besseren Ergebnissen zu führen. Es ist eine aufregende Zeit in der Wirbelsäulenchirurgie und ich bin begeistert, Teil dieser ständigen Evolution zu sein, die die Patientenversorgung stetig verbessert.
Prof. Archavlis: Der Heilungsverlauf nach einer Wirbelsäulenoperation kann sehr individuell sein und hängt von der Art der Operation, dem Ausgangszustand des Patienten und vielen anderen Faktoren ab. Grundsätzlich können die Patienten jedoch mit einigen gemeinsamen Aspekten rechnen.
Wir beim Interdisziplinären Wirbelsäulenzentrum Elisabethen Frankfurt legen großen Wert darauf, unsere Patienten durch den gesamten Heilungsprozess zu begleiten und sie über alle Aspekte ihrer Genesung zu informieren, damit sie wissen, was sie erwarten können und wie sie aktiv zu ihrer eigenen Heilung beitragen können.
Prof. Archavlis: Die Forschung in der Wirbelsäulenchirurgie ist unglaublich dynamisch und die Zukunft hält vielversprechende Möglichkeiten bereit. Hier sind einige der Bereiche, an denen derzeit intensiv geforscht wird:
In 10 Jahren sehe ich eine Wirbelsäulenchirurgie, die noch patientenzentrierter ist, mit einer starken Betonung von Prävention, personalisierten Behandlungsansätzen und einer Integration von Technologie, um die Genauigkeit und Effektivität der Behandlung zu erhöhen. Die Kombination von Innovationen in der Chirurgie, Therapie und Diagnostik könnte dazu führen, dass die Patienten schneller genesen, weniger Schmerzen haben und ein höheres Maß an Lebensqualität erreichen. Es ist eine aufregende Zeit, und ich freue mich darauf, die Fortschritte in diesem Bereich in den kommenden Jahren mitzugestalten.
Vielen Dank für das Interview!
aktualisiert am 25.08.2023