Die Angst vor bestimmten Situationen oder Gegenständen ist ein normaler Bestandteil des Lebens, doch bei einer Phobie wird diese Angst so stark, dass sie das tägliche Leben erheblich einschränkt. Von einer Phobie spricht man, wenn die Angst unverhältnismäßig stark ist und das Leben negativ beeinflusst. Der Unterschied zwischen einer normalen Angst und einer Phobie besteht vor allem darin, dass die Phobie das Leben eher erschwert als schützt.
Prof. Hilbert: Unter einer Phobie verstehen wir eine starke Angst vor einer bestimmten Sache oder Situation, z.B. vor Spinnen oder vor Blutentnahmen. Im Gegensatz zu anderen Angststörungen, bei denen mitunter sehr verschiedene Dinge gefürchtet werden, sind Phobien dabei meist auf einen relativ klar umrissenen Auslöser beschränkt. Jemand mit einer Spinnenphobie fürchtet sich also vor Spinnen, aber nicht vor Käfern oder Ameisen, obwohl diese auch klein sind und viele Beine haben.
Es gibt aber Ausnahmen: bei der sozialen Phobie etwa fürchten Betroffene Situationen, in denen man von anderen negativ beurteilt oder abgelehnt werden könnte. Bei der Agoraphobie dagegen besteht eine Angst vor Situationen, aus denen man nicht fliehen oder in denen man keine Hilfe bekommen kann. Hier kann die Bandbreite an Situationen, in denen die Phobie auftritt, größer sein.
Diese Dinge, die bei einer Phobie gefürchtet werden, sind entweder nicht sonderlich gefährlich, oder die Angst geht weit über das hinaus, was angemessen ist. Damit es sich um eine Phobie handelt, sollte die Angst so stark sein, dass sie in irgendeiner Art und Weise zum Problem wird, z.B. indem ich unter den ängstlichen Gefühlen leide oder aufgrund der Angst bestimmte Dinge in meinem Leben nicht mehr tun kann. Und sie sollte eine gewisse Dauerhaftigkeit haben. Sie muss nicht unbedingt schon immer bestehen, aber sie sollte über den Augenblick hinausweisen und über die Zeit hinweg in vielen Situationen immer mal wieder auftreten.
Diese Dinge, die bei einer Phobie gefürchtet werden, sind entweder nicht sonderlich gefährlich, oder die Angst geht weit über das hinaus, was angemessen ist.
Prof. Hilbert: Zu den bekanntesten und häufigsten Phobien gehören sicherlich die verschiedenen Tierphobien, insbesondere vor Schlangen, Spinnen und Hunden, sowie die Höhenangst. Weniger häufig, aber recht bekannt sind die sogenannten Blut-Spritzen-Verletzungsphobien, bei denen Betroffene weiche Knie bis hin zu Ohnmachtsgefühlen erleben, wenn sie zum Beispiel Blut sehen oder eine Impfung bekommen. Weniger bekannt, aber dafür recht häufig sind die oben genannten sozialen Phobien, bei denen Betroffene befürchten, sich vor anderen zu blamieren oder abgelehnt zu werden.
Prof. Hilbert: Das ist aus der Innenperspektive mitunter schwer zu sagen. Grundsätzlich sind Ängste, auch starke Ängste, normaler Bestandteil des Lebens und meist nützlich: sie helfen uns, im Straßenverkehr nicht überfahren zu werden oder beim Wandern nicht den Abgrund herunter zu stürzen. Umgekehrt spricht es für eine Phobie, wenn ich merke, dass mich meine Ängste eher einschränken als mir zu helfen.
Ich traue mich beispielsweise wegen meiner Angst vor Hunden nicht mehr, durch den Stadtpark zu laufen und muss daher jeden Tag einen großen Umweg auf dem Weg zur Arbeit machen. Oder ich gehe nicht mehr zum Zahnarzt wegen meiner großen Angst vor einer Betäubungsspritze. Oder ich merke, dass ich vor einer bestimmten Sache viel mehr Angst habe als die meisten anderen Menschen in meiner Umgebung. Auch das kann ein Hinweis auf eine Phobie sein.
Umgekehrt spricht es für eine Phobie, wenn ich merke, dass mich meine Ängste eher einschränken als mir zu helfen.
Prof. Hilbert: Grundsätzlich neigen Ängste dazu, sich mit der Zeit auszuweiten. Wenn ich also bereits eine Angststörung, wie eine Phobie, habe, dann habe ich ein erhöhtes Risiko, in der Folge weitere Angststörungen wie die Panikstörung zu entwickeln. Zudem können bei allen Phobien Panikattacken auftreten. Panikattacken sind kurze Episoden besonders intensiver Angst, die meist einige Minuten lang andauern und durch intensive körperliche Symptome wie Herzrasen, Schwindel, Atemnot und andere begleitet werden.
Panikattacken sind allerdings etwas anderes als eine Panikstörung. Von einer Panikstörung spricht man erst, wenn mehrere Panikattacken unerwartet aufgetreten sind, und die Betroffenen dann Angst vor weiteren Panikattacken haben, beispielsweise weil sie denken, dass es während dieser Panikattacken zu einem Herzinfarkt kommen könnte, oder ihr Verhalten ändern, um weiteren Panikattacken zu entgehen. Einen Zusammenhang zwischen einer solchen Panikstörung und Phobien sehen wir vor allem für die Agoraphobie: die Angst, bei einer Panikattacke beispielsweise einen Herzinfarkt zu erleiden und die Angst vor Situationen, in denen man keine Hilfe bekommen könnte, das ergänzt sich leider sehr gut.
Prof. Hilbert: Am besten wendet man sich an einen psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten oder einen Psychiater. Bei den Psychotherapeuten könnte man im Idealfall nach der Diagnostik auch die psychotherapeutische Behandlung beginnen, die bei Phobien empfehlenswert ist. Allerdings ist es mitunter schwer, dort einen Termin zu bekommen. Gegebenenfalls können die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen dabei helfen. Falls nicht, wären auch der Psychiater und der Hausarzt geeignete Ansprechpartner. Letzterer wird einen aber meist wieder an die Erstgenannten überweisen.
Die Diagnose wird in einem oder mehreren Gesprächen gestellt. Dazu wird ausführlich nach den Symptomen und Problemen gefragt, nach der Vorgeschichte, nach möglichen Auslösern der Symptomatik, sowie nach anderen psychischen Problemen und vielen anderen Informationen. Es handelt sich also um eine umfangreiche Anamnese. Mitunter kommen auch formalere Interviews oder Fragebögen zum Einsatz.
Die Diagnose wird in einem oder mehreren Gesprächen gestellt.
Prof. Hilbert: Phobien werden sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch behandelt. Für die meisten Phobien empfehlen die aktuellsten ärztlichen Leitlinien allerdings ausschließlich die psychotherapeutische Behandlung, lediglich bei der sozialen Phobie und der Agoraphobie besteht auch eine Empfehlung für Psychopharmaka.
Für die Psychotherapie und dort insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie konnte gezeigt werden, dass die meisten Patienten auch nach Abschluss der Behandlung weiterhin profitieren. Zudem gehen die Psychopharmaka mitunter mit einem ungünstigeren Nebenwirkungsprofil einher. Bei einer bestimmten Art von angstlösenden Medikamenten, den Benzodiazepinen, besteht zudem bereits nach einer Einnahme von einigen Wochen ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Daher sind in Summe die Psychotherapie und dort die kognitive Verhaltenstherapie für Phobien das Mittel der Wahl.
Prof. Hilbert: Die kognitive Verhaltenstherapie ist aktuell der Goldstandard in der Behandlung von Phobien und wird von den Leitlinien für alle Phobien empfohlen. Eine Grundannahme der Verhaltenstherapie ist, dass unser Erleben und Verhalten wesentlich von Lernprozessen abhängen. Entsprechend versucht die Verhaltenstherapie, uns Lernerfahrungen zu ermöglichen, die uns in Zukunft beim Umgang mit den gefürchteten Objekten unserer Phobie helfen.
Nehmen wir beispielsweise an, wir leiden unter einer Spinnenphobie, die so stark ist, dass wir unsere Wohnung verlassen müssen und nicht mehr betreten können, sobald wir darin eine Spinne gesehen haben. Unsere Angst ist nämlich, wenn wir in der Wohnung blieben, würde die Spinne zu uns kommen, auf uns drauf springen, und dann hätten wir so große Angst und würden uns so sehr ekeln, dass wir verrückt werden.
Dann könnten wir in der Verhaltenstherapie ausprobieren, ob diese Befürchtungen denn wirklich stimmen. Wir könnten zum Beispiel mit unserer Therapeutin in der Wohnung bleiben und schauen, ob die Spinne tatsächlich auf uns zu krabbelt. Und wahrscheinlich werden wir dann lernen, dass das gar nicht der Fall ist. Und wenn wir uns das getraut haben, stellen wir uns im nächsten Schritt vielleicht neben oder unter die Spinne und schauen, ob diese tatsächlich auf uns draufspringt. Und so geht es immer weiter.
Dabei machen wir eine Reihe wichtiger Lernerfahrungen: z.B. dass die meisten unserer Befürchtungen gar nicht eintreffen und dass wir diese angstvollen Situationen bewältigen können. Und das ermöglicht uns in Zukunft einen anderen Umgang mit den Ängsten. In vielen Fällen werden dann die Ängste auch deutlich abnehmen oder sogar ganz verschwinden. Diese Konfrontation mit dem gefürchteten Objekt nennen wir Expositionstherapie, manchmal wird sie auch Konfrontationstherapie genannt und sie ist ein Kernelement der meisten wirksamen Phobiebehandlungen.
Dabei muss aber niemand vor der Behandlung selbst Angst haben: bevor wir solche Übungen starten, besprechen wir sowohl die Ängste des Patienten als auch die Übung, die wir machen wollen und vieles weitere ganz ausführlich, sodass unsere Patienten die Übung auch schaffen und bewältigen können. Und niemand wird gezwungen, eine Übung zu machen, die er nicht machen möchte.
Eine Grundannahme der Verhaltenstherapie ist, dass unser Erleben und Verhalten wesentlich von Lernprozessen abhängen.
Prof. Hilbert: Insbesondere die Expositionsbehandlungen zeigen eine gute Erfolgsquote. Bei vielen Betroffenen bessern sich die Beschwerden deutlich, bei manchen verschwinden sie vollständig. Trotzdem gibt es leider noch Patienten, bei denen sich kein Behandlungserfolg einstellt. Da müssen auch wir noch besser werden.
Prof. Hilbert: Wenn ein Leiden besteht, empfehle ich klar eine Verhaltenstherapie. Achten Sie darauf, sich eine Therapeutin oder einen Therapeuten zu suchen, der mit Ihnen Exposition macht. Lassen Sie sich gut erklären, wie es geht und warum Sie das machen sollen. Und wenn dann alles klar ist: üben, üben, üben!
Prof. Hilbert: In den letzten Jahren gab es einige Forschung zu der Frage, wie sich die ohnehin guten Therapien noch weiter verbessern lassen. Dabei hat man beispielsweise gehofft, mit einem vor der Expositionsbehandlung gegebenen Medikament die Lernerfahrung in der Exposition zu verbessern und damit die Psychotherapie in ihrer Wirkung zu verstärken. Dabei zeigten sich aber leider bisher noch keine durchgängigen Erfolge. Andere Forschung beschäftigt sich damit, neue Technologien in die Behandlung mit einzubeziehen, beispielsweise durch digitale Behandlungen oder durch Virtual Reality. Letztere könnte zum Beispiel in Fällen sinnvoll sein, in denen Expositionen in der Realität aufwendig oder teuer sind, wie bei der Flugangst.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 20.08.2024.