Allergien wie Heuschnupfen, Asthma oder Nahrungsmittelallergien kommen bei Kindern häufig vor. Genetische Veranlagung und Umweltfaktoren wie Tabakrauch spielen bei der Entwicklung dieser Allergien eine wichtige Rolle. Maßnahmen wie Stillen und der Umgang mit Haustieren können das Allergierisiko senken. Mit modernen Therapien und einer frühzeitigen Hyposensibilisierung stehen wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Prof. Vogelberg: Kinder können an unterschiedlichsten Formen von Allergien erkranken. Eine früh auftretende Allergieform ist die Nahrungsmittelallergie, die bereits Säuglinge und Kleinkinder haben können. Während die sehr frühen Nahrungsmittelallergien gegen Kuhmilch und Hühnereier jedoch in den meisten Fällen wieder verschwinden, bleiben andere Nahrungsmittelallergien, wie beispielsweise gegen Erdnuss oder Haselnuss, oft lebenslang bestehen.
Am häufigsten treten bei Kindern Allergien der Atemwege in Form von allergischer Rhinitis (Heuschnupfen) und Asthma bronchiale auf. Hier bestehen allergische Reaktionen, ähnlich wie im Erwachsenenalter, vor allen Dingen gegen Gras- und Baumpollen, aber auch Hausstaubmilbe und Tierepithelien. Weitere Allergien wie Insektengiftallergie oder Medikamentenallergien treten hingegen seltener auf.
Kontaktallergien, z.B. gegen Nickel, können ebenfalls bereits im Kindes und Jugendalter beginnen. Die atopische Dermatitis (Neurodermitis) ist keine primäre allergische Erkrankung sondern durch eine Barrierestörung der Haut bedingt, dennoch spielen bei einem Teil der betroffenen Kindern Allergien eine wichtig Rolle. Auch die Urtikaria kann in einzelnen Fällen durch eine Allergie verursacht werden.
Prof. Vogelberg: Da bei Kindern am häufigsten Atemwegsallergien auftreten, werden besonders oft Symptome der allergischen Rhinitis sowie des Asthma bronchiale beobachtet. Kinder leiden unter juckender Nase und juckenden Bindehäuten, gehäuftem Niesen bzw. haben eine behinderte Nasenatmung. Kinder mit einem Asthma können unterschiedlichste Symptome entwickeln, angefangen von der Atemnot in Ruhe oder nach körperlicher Belastung bzw. im Rahmen von Infekten, aber auch Symptome, die weniger eindeutig sind, wie trockener Reizhusten, können auf ein Asthma bronchiale hinweisen.
Gerade Kleinkinder, die gehäuft unter einer sogenannten obstruktiven Bronchitis leiden, können bereits in Wirklichkeit ein Asthma bronchiale haben. Hier ist es wichtig, dass diese Episoden nicht immer nur als reine Virusinfekte wahrgenommen werden, sondern eine weiterführende Diagnostik veranlasst wird.
Kinder leiden unter juckender Nase und juckenden Bindehäuten, gehäuftem Niesen bzw. haben eine behinderte Nasenatmung.
Prof. Vogelberg: Kinder, die bereits eine familiäre Belastung mit Allergien haben, beispielsweise bei den Eltern, erkranken häufiger - insbesondere an allergischen Atemwegserkrankungen. Zusätzlich können Umweltfaktoren, wie beispielsweise dem Ausgesetzt sein gegenüber Tabakrauch, oder verkehrsbedingte Umweltbelastung, einen fördernden Einfluss auf die Allergieentstehung haben. Je hygienischer das Umfeld des Kindes ist, desto weniger wird das Immunsystem für die Infektionsabwehr gefordert, was wiederum das Allergierisiko fördert.
So zeigten Untersuchungen mit Kindern, die auf einem traditionell bewirtschafteten Bauernhof aufwachsen im Vergleich zu Kindern, die in einem städtischen Umfeld aufwachsen, dass die Bauernhof-Kinder besser vor Allergien geschützt sind und dementsprechend diese deutlich seltener haben als Kinder in einem städtischen Umfeld. Haustiere wie Hunde haben keinen negativen Einfluss auf die Allergieentstehung, im Gegenteil, es gibt Hinweise, dass der regelmäßige Kontakt zu einem Hund möglicherweise einen allergieschützenden Effekt haben kann.
Prof. Vogelberg: Inzwischen gibt es einige Erkenntnisse zu Möglichkeiten der Allergieprävention, die auch in einer entsprechenden Leitlinie zusammengefasst sind. Dazu gehören Aspekte wie das ausschließliche Stillen über die ersten vier bis sechs Monate, die Einführung der Beikost ab dem fünften Lebensmonat, die Vermeidung einer Geburt durch Kaiserschnitt und besonders wichtig, der Schutz des Kindes vor Tabakrauch-Exposition, sowohl bereits vor der Geburt als auch nach der Geburt.
Prof. Vogelberg: Typischerweise treten allergische Symptome in sehr kurzer Zeit nach Kontakt mit einem Allergen auf. So kann ein Kind, das beispielsweise auf ein Nahrungsmittel allergisch reagiert, schon wenige Minuten nach dem Kontakt mit den Nahrungsmitteln allergische Symptome wie Quaddeln und Rötungen der Haut, Erbrechen, Durchfall oder Atembeschwerden zeigen. Gleiches gilt für den Kontakt mit Atemwegsallergenen beim Heuschnupfen oder beim Asthma, bei dem dann entsprechende Symptome wie Niesanfälle oder Atemnot mit auffälligem pfeifendem Atemgeräusch auftreten können.
Besteht der Verdacht auf eine Allergie bei einem Kind, sollte nach den Auslösern gesucht werden. Wenn konkrete Vermutungen bestehen, können Laboruntersuchungen entweder aus dem Blut oder als Prick-Test auf der Haut eine Sensibilisierung aufdecken und den Verdacht auf eine Allergie bestätigen. Umgekehrt macht es jedoch keinen Sinn, bei einem unkonkreten Verdacht eine "blinde“ Sensibilisierungsdiagnostik durchzuführen, da auch ein positiver Befund nicht gleich eine Allergie beweist, insbesondere dann, wenn keine Symptome beim Kontakt mit dem entsprechenden Allergen auftreten. Dies ist ganz besonders wichtig bei der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien und führt häufig bei Missachtung zu unnötigen Diäten für das Kind. Die Suche nach dem Auslöser kann in einzelnen Fällen also auch mal einer detektivischen Arbeit nahekommen.
Wenn konkrete Vermutungen bestehen, können Laboruntersuchungen entweder aus dem Blut oder als Prick-Test auf der Haut eine Sensibilisierung aufdecken und den Verdacht auf eine Allergie bestätigen.
Prof. Vogelberg: Für die symptomatische Therapie der Atemwegsallergien gibt es inzwischen Inhalationsmedikamente und Medikamente, die beispielsweise auf die Nasenschleimhaut gesprüht werden und die auch von jungen Kindern bereits genommen sowie gut und sicher vertragen werden. Nebenwirkungen werden praktisch bei diesen Asthma- und Heuschnupfenmedikamenten nicht beobachtet. Auch für die juckreizstillenden Medikamente, den Antihistaminika, gibt es moderne und kindgerechte Präparate.
Eine wichtige Therapieform stellt die Allergien-Immuntherapie dar, bei der bereits frühzeitig das allergisch reagierende Immunsystem durch die Behandlung zu einer Toleranz "umerzogen“ werden kann. Diese Therapieform kann entweder in Form von regelmäßigen Spritzen unter die Haut oder auch durch Tropfen bzw. Tabletten, die unter der Zunge platziert werden, durchgeführt werden. Ein besonderer Meilenstein stellt die Einführung der Biologika bei besonders schwer betroffenen Patienten mit Asthma oder auch schwerer atopischer Dermatitis (Neurodermitis) dar.
Ganz neu sind Behandlungsformen der Nahrungsmittelallergie, z.B. in Form der oralen Immuntherapie. Intensiv weiter geforscht und entwickelt werden zusätzliche Methoden wie die Desensibilisierung bei Nahrungsmittelallergien durch Hautpflaster oder Spritzen.
Prof. Vogelberg: Die Hyposensibilisierung, auch Allergien-Immuntherapie genannt, blickt auf eine weit über 100-jährige erfolgreiche Geschichte zurück. Das Prinzip der Hyposensibilisierung liegt darin, dass das allergisch reagierende und damit fehlgeleitete Immunsystem Allergene, die normal zu unserer Umwelt gehören, wieder toleriert. Diese Toleranz wird erreicht, indem das entsprechende Allergen regelmäßig mit dem Immunsystem zusammengebracht wird, z.B. durch die tägliche Einnahme einer Tablette oder Tropfen unter die Zunge, oder aber in der traditionellen Form der Spritze unter die Haut. Dieses Spritzen erfolgt in der Regel einmal monatlich.
Der Erfolg dieser Therapie ist hoch und deshalb besonders wichtig, weil neben der erfolgreichen Behandlung der allergischen Erkrankung auch ein präventiver Effekt für andere Allergene sowie für den Übergang von einer allergischen Rhinitis auf ein Asthma bronchiale besteht. Aus diesem Grunde ist es wichtig und sinnvoll, möglichst frühzeitig mit dieser Therapie zu beginnen, sobald bei den Kindern die Diagnose gesichert wurde.
Der Erfolg dieser Therapie ist hoch und deshalb besonders wichtig, weil neben der erfolgreichen Behandlung der allergischen Erkrankung auch ein präventiver Effekt...besteht.
Prof. Vogelberg: In der Tat hören nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene häufig mit der Therapie auf, sobald die erste Besserung dadurch erzielt wurde. Ein nachhaltiger Effekt der Behandlung tritt aber nur dann auf, wenn sie mindestens drei Jahre konsequent durchgeführt wurde. Darüber hinaus gilt es, möglichst wenige Einnahmen zu vergessen. Diese Herausforderung ist besonders hoch bei der zu Hause durchgeführten sublingualen Therapie, während bei der Spritzentherapie oft bei einem vergessenen Besuch beim Arzt eine Erinnerung stattfindet. Damit die Therapie gelingt, ist es wichtig, vor Beginn mit den Eltern und Kindern über die Dauer der Behandlung zu sprechen und gemeinsam zu überlegen, welche der beiden möglichen Formen für Kind und Familie am besten geeignet sind und sich auch am besten umsetzen lassen.
Wichtig ist ferner, realistische Therapieziele zu formulieren. So gelingt es in der Regel durch eine Hyposensibilisierung nicht, eine komplette Symptomfreiheit zu erzielen, vielmehr profitieren die kleinen Patienten von einem Symptomrückgang und einem geringeren Bedarf an Allergiemedikamenten. Darüber hinaus sind die bereits angesprochenen prophylaktischen Effekte der Allergien-Immuntherapie sehr wichtig und gehören ebenfalls besprochen. Während der Therapie können dann Meilensteine wie beispielsweise das erste geschaffte Jahr der Therapie "gefeiert“ werden.
Prof. Vogelberg: Eine besonders erfolgreiche Therapie stellt die Hyposensibilisierung bei der Insektengiftallergie dar. Hier können in bis zu 95% der Fälle eine Symptomfreiheit bei einem Stich durch das entsprechende Insekt erreicht werden. Bei den Atemwegsallergien liegen die Erfolgsquoten bei 75 bis 80% und dauern auch über die Jahre nach Beendigung der Therapie weiter an.
Prof. Vogelberg: Antihistaminika wie auch Nasensprays, die häufig bei der allergischen Rhinitis (Heuschnupfen) eingesetzt werden, sind rein symptomatische Therapieformen, die den Juckreiz nehmen bzw. die allergische Entzündung an der Nasenschleimhaut verringern bzw. kontrollieren. Deshalb wirken sie auch nur so lange, wie sie gegeben werden. An der Grundproblematik der allergischen Reaktion verändern sie jedoch nichts. Da die Wirkstoffkonzentration in den Sprays vergleichsweise niedrig ist, werden bei einer normalen Dosierung in der Regel keine Nebenwirkungen beobachtet.
Bei den Antihistaminika können Kinder gelegentlich mit Müdigkeit reagieren, auch bei den modernen Antihistaminika ist dies gelegentlich der Fall. Andererseits sind Kinder häufig auch durch ihre Atemwegsallergie bereits vermehrt müde und weniger belastbar, wenn sie beispielsweise durch den Heuschnupfen nachts schlechter schlafen.
Deshalb wirken sie auch nur so lange, wie sie gegeben werden. An der Grundproblematik der allergischen Reaktion verändern sie jedoch nichts.
Prof. Vogelberg: Durch die modernen Therapieformen, aber auch durch gezielte Diagnostik, sind wir inzwischen in der Lage, Allergien nicht nur sehr genau zu identifizieren, sondern auch gezielt zu behandeln. Während das Auftreten der Allergie zuweilen eher schicksalhaft ist, kann die gute und erfolgreiche Therapie durchaus bei den meisten Kindern erreicht werden. Deswegen ist es wichtig, dass Eltern betroffener Kinder diese Option auch nutzen und den Kindern zugänglich machen. Hier helfen die allergologisch erfahrenen Kinderärzte in jedem Fall weiter.
Die Eltern können ihre Kinder insbesondere bei der Einnahme der Medikamente aktiv unterstützen und ermutigen. Besonders wichtig ist dies bei den korrekten regelmäßig durchzuführenden Inhalationen bei asthmakranken Kindern. Patienten-Schulungen können hier zusätzlich eine Hilfestellung geben und vermitteln auch ganz praktische Tipps für den Alltag und das soziale Umfeld. Wichtig ist es sicherlich auch für die Kinder zu wissen, dass sie mit ihren Allergien nicht alleine sind, sondern inzwischen bedauerlicherweise viele Kinder davon betroffen sind.
Prof. Vogelberg: In den letzten Jahren wurden neue Medikamente aus der Gruppe der "Biologika“ entwickelt. Das Prinzip dieser Therapie ist, dass Antikörper unter die Haut gespritzt werden, die Substanzen, die für die Auslösung von allergischen Reaktionen besonders wichtig sind, blockieren und damit das Auftreten der allergischen Reaktion verhindern. Diese Therapieform, die auch bei anderen chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma inzwischen zur Routine geworden sind, helfen ganz besonders Kindern und Jugendlichen mit schweren Erkrankungsverläufen.
Neben der hohen Effektivität dieser Therapie ist die Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung außerordentlich gut und hervorzuheben. Darüber hinaus werden gerade im Bereich der Nahrungsmittelallergie intensive Forschungsbemühungen betrieben und verschiedene Therapieansätze erprobt. Dazu gehört die Entwicklung einer Allergen-Immuntherapie gegen Nahrungsmittelallergien, die ähnlich wie eine Allergen-
Immuntherapie gegen Atemwegsallergene durchgeführt wird, aber auch die orale Immuntherapie, bei der das Allergen regelmäßig gegessen wird und dadurch eine Verträglichkeit entsteht. Medikamente, die ganz gezielt in das fehlreagierende Immunsystem eingreifen und Entzündung blockieren, gehören ebenso dazu, wie die Weiterentwicklung von Allergen-Immuntherapie-Präparaten mit optimierter Dosierung.
Prof. Vogelberg: „Matteo und die Körperpolizei“ ist eine sehr schöne und wunderbar kindgerecht aufbereitete Geschichte eines kleinen Jungen, der eine Nahrungsmittelallergie hat und deswegen notärztlich versorgt werden muss. Während seines Krankenhausaufenthaltes lernt er andere Kinder kennen und erfährt dabei, dass er mit seinen Allergien nicht alleine ist. Die Ursachen für Allergien werden anschaulich erklärt und die Möglichkeiten der Behandlung gezeigt, sodass der Protagonist der Geschichte am
Ende des Buches auch lebensfroh die Schule weiter besuchen kann.
Da es bislang nicht sehr viele kindgerechte Bücher zu diesem Thema gibt, war die Erstellung dieses Buches besonders wichtig und wurde in sehr gelungener sowie einfühlsamer Weise von der Autorin und der Illustratorin umgesetzt. Die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) hat die Realisierung des Buchprojektes finanziell unterstützt. Dieses Buch ist sowohl für Eltern betroffener Kinder sehr geeignet, um mit ihren Kindern über das Thema Allergien zu sprechen und mit dem Buch auch zu erklären, wie eine Allergie entsteht und was das Immunsystem, die Körperpolizei, dabei für eine Rolle spielt. Andererseits ist es aber auch sehr gut geeignet für Kindergärten und Grundschulen, wenn es um das Thema Allergien geht.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 12.08.2024.