Ein Akustikusneurinom ist ein gutartiger Tumor des Ohres. Es entsteht aus den so genannten Schwann-Zellen, die Nerven umgeben (allgemein wird eine solche Wucherung als Schwannom bezeichnet). Beim Akustikusneurinom ist der Nerv betroffen, der das Gleichgewichtsorgan versorgt. Das Akustikusneurinom befindet sich im inneren Gehörgang. Nach Angaben der Acoustic Neuroma Association treten Akustikusneurinome bei einem von 50.000 Menschen auf.
Der einzige bekannte Risikofaktor für einen Akustikusneurinom ist ein Elternteil, der an Neurofibromatose 2 erkrankt ist. Die meisten dieser Tumor treten spontan auf, bei Menschen ohne familiäre Vorgeschichte.
Wie bei vielen Tumoren ist eine definitive Ursache des Akustikusneurinoms unbekannt. Gehäuft findet sich die Wucherung allerdings nach Strahleneinwirkung. Außerdem kann bisweilen ein erblich bedingter Tumor vorliegen.
Das Akustikusneurinom ist ein meist sehr langsam wachsender Tumor. Es handelt sich um einen gutartigen Tumor, daher bildet er keine Tochtergeschwülste (Metastasen). Allerdings verdrängt er Strukturen in der Umgebung (weitere Nerven, Hirngewebe) und kann diese abklemmen und schädigen. Die Wucherung des Gleichgewichtsnervs übt auf den Hörnerv einen Druck aus. Daher kommt es oftmals zu Hörverschlechterungen und Ohrgeräuschen. Durch Einwirkung auf den Gleichgewichtsnerv kann es unter anderem zu Schwindel kommen. Ebenfalls können schnelle unwillkürliche rhythmische Augenbewegungen (Nystagmus) vorkommen. Eine Lähmung des Gesichtsnervs mit Beeinträchtigung der mimischen Muskulatur ist möglich. Des Weiteren kann es zu unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen kommen.
Symptome, die auftreten können, sind:
Nach der Befragung des Patienten (Anamnese) erfolgt die Untersuchung durch den Hals-Nasen-Ohren-Arzt und den Neurologen (Nervenarzt). Dabei wird unter anderem das Gehör und ebenfalls der Gleichgewichtssinn überprüft. In die Gehörgänge wird dazu kaltes und warmes Wasser eingeführt, wobei die geschädigte Seite weniger auf die Temperaturschwankung reagiert als die gesunde Seite und es dadurch zu einem Nystagmus (schnelle rhythmische Augenbewegungen) kommt. Durch bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) kann der Tumor oftmals gut sichtbar gemacht werden. Es kann eine Angiographie (Kontrastmitteldarstellung der Blutgefäße) sinnvoll sein.
Das Neurinom muss von anderen Tumoren in diesem Bereich unterschieden werden, beispielsweise von einem Meningeom, einem Angiom oder einer Tochtergeschwulst (Metastase) eines anderen Tumors.
Das Alter, der allgemeine Gesundheitszustand und die Größe des Tumors beeinflussen die Behandlung.
Neben der operativen Entfernung des Akustikusneurinoms kann in bestimmten Fällen eine abwartende Haltung mit regelmäßiger Kontrolle sinnvoll sein. Das Wachstum des Tumors wird mit regelmäßigen MRTs überwacht. Ohne Behandlung kann manchmal eine Flüssigkeitsansammlung im Gehirn auftreten. Dieser lebensbedrohliche Zustand wird als Hydrozephalus bezeichnet.
Wenn der Tumor relativ klein ist, dann wird eine Strahlentherapie (Gamma- oder Cyber-Knife) angeboten. Bei diesem Verfahren wird die Bestrahlung auf einen kleinen, spezifischen Teil des Kopfes angewendet. Es ist keine invasive Behandlung, dafür kann es Monate bis Jahre dauern, bis der Tumor entfernt wird. Deshalb wird dieses Verfahren nur angewendet, wenn der Tumor sehr klein ist oder eine Operation zu riskant ist.
Eine Operation kann notwendig sein, wenn der Tumor sehr groß ist oder sehr schnell wächst. Es ist auch notwendig zu operieren, wenn der Tumor einen wichtigen Teil des Gehirns bedroht und nähert. Je früher die Operation stattfindet, um so wahrscheinlicher ist es, dass das Gehör erhalten bleiben kann.
Je nach Befund können verschiedene Operationsverfahren gewählt werden. Ebenfalls spielt eine Rolle, ob der Patient auf dem betroffenen Ohr noch gut hört. Die Operation zur Entfernung des Akustikusneurinoms erfolgt in Vollnarkose.
Bei kleineren Befunden, die weniger als drei Zentimeter in Richtung Kleinhirn-Brücken-Winkel ragen, kann der Zugangsweg über die Schläfengegend (transtemporal) gewählt werden. Dabei wird oberhalb des Ohres die Haut eingeschnitten und ein Knochenstückchen aus dem Schläfenbein herausgeschnitten. Die Hirnhäute und der Hirnanteil in diesem Bereich werden vorsichtig hochgeschoben, damit ein Zugang zum Felsenbein möglich ist. Dies wird eröffnet, so dass der obere Gleichgewichts-Bogengang sowie der innere Gehörgang offen ist. Der Gesichtsnerv wird freipräpariert, die Hirnhaut eröffnet, und es erfolgt eine Ausschälung des Tumors, um zunächst den Befund zu verkleinern. Daraufhin kann der Rest mitsamt Hülle herausoperiert werden. Der Gleichgewichtsnerv wird bei diesem Eingriff durchtrennt. Zum Schluss wird die entstandene Lücke mit Gewebe aus dem eigenen Körper des Patienten, beispielsweise Körperfett oder Muskeln aus der Schläfe, aufgefüllt und der Knochendeckel wieder eingesetzt. Dann wird die Hautwunde vernäht.
Bei ebenso wenig ausgedehnten Befunden, bei denen aber die Besonderheit besteht, dass der Patient auf diesem Ohr taub oder stark schwerhörig ist, ist meist ein Zugang über das Ohr-Labyrinth (translabyrinthär) sinnvoll. Durch diesen Eingriff durch das Innenohr kommt es nämlich zum Verlust des Gehörs, da Hör- und Gleichgewichtsorgan nicht mehr funktionstüchtig sind. Zur translabyrinthären Operation wird der Warzenfortsatz des Schläfenbeins eröffnet und der Inhalt herausgeholt. Daraufhin werden der Bogengang, der Innenohr-Vorhof und der innere Gehörgang freipräpariert und die Hirnhaut durchtrennt. Das Akustikusneurinom wird ausgeschält, so dass der Gesichtsnerv aufgesucht werden kann. Nun kann der Befund komplett entfernt werden. Auch hier wird die entstandene Lücke mit körpereigenem Gewebe aufgefüllt.
Bei ausgedehnten Tumoren muss in der Regel eine neurochirurgische Operation über die hintere Schädelgrube (suboccipital) erfolgen. Dabei wird die Haut hinter dem Ohr aufgeschnitten und ein Knochenstück aus der hinteren Schädelgrube bis zum Felsenbein herausgenommen. Das Kleinhirn wird vorsichtig hochgehoben, um das Akustikusneurinom freizulegen. Blutgefäße, die Teile des Gehirns versorgen, können in Tumornähe liegen und können erhalten werden. In den meisten Fällen wird wie bei den anderen Methoden erst der Tumor ausgeschält und danach vom umgebenden Gewebe (z. B. Nerven, Gehirn) abgelöst werden. Der innere Gehörgang muss dabei eröffnet werden. Der Gleichgewichtsnerv wird zwangsläufig beschädigt. Der Knochendeckel wird wieder eingefügt oder der Defekt mit anderen Methoden verschlossen.
Um Beschädigungen von Gehirn und bestimmten Nerven sowie daraus resultierende Lähmungserscheinungen zu vermeiden, kann in manchen Fällen der Befund nicht komplett herausoperiert werden.
Komplikationen und unvorhergesehene Befunde können dazu führen, dass eine Erweiterung oder Änderung der Operationsmethode erfolgen muss.
Der Gleichgewichtsnerv wird bei Entfernung des Akustikusneurinoms durchtrennt. Daher kommt es praktisch immer zu Schwindel, was in den allermeisten Fällen vorübergehend ist, aber selten auch langfristig bestehen bleiben kann. Auch weitere Strukturen in der Umgebung können beschädigt werden. Wird der Hörnerv in Mitleidenschaft gezogen, wie es oft bei ausgedehnten Befunden der Fall ist, so kommt es zur Schwerhörigkeit oder Taubheit auf dem jeweiligen Ohr. Ebenfalls kann der Gesichtsnerv und somit die Funktion der mimischen Muskeln beeinträchtigt werden. In seltenen Fällen können auch Krampfanfälle oder andere Ausfälle von Gehirnfunktionen vorkommen. Bisweilen tritt Hirnflüssigkeit aus Wunde oder Ohr aus. Blutungen und Nachblutungen, sehr selten auch in die Schädelhöhle hinein, können auftreten. Infektionen, selten auch gefährliche Hirnhautentzündungen, können sich ergeben. Wundheilungsstörungen und Narbenbildung sowie allergische Reaktionen sind nicht auszuschließen.
Die Risiken der Operation sind also unter anderem:
Meist ist eine komplette Beseitigung des Akustikusneurinoms durch die Operation möglich. Manchmal können jedoch Reste verbleiben, um andere umgebende Strukturen zu schonen. Insbesondere wenn der Tumor nicht komplett herausgeholt wurde oder werden konnte, kann es zu einem Wiederauftreten der Wucherung (Rezidiv) kommen. In diesem Fall kann eine Bestrahlung des Tumors sinnvoll sein. Das Gehör kann auch bei Tumoren geringer Ausdehnung nicht immer erhalten werden. Die Genesungszeit reicht von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen.
Gegebenenfalls müssen Medikamente, die die Blutgerinnung herabsetzen, beispielsweise Marcumar® oder Aspirin®, weggelassen werden. Dies wird mit dem behandelnden Arzt besprochen.
Für bis zu einem Monat nach dem Eingriff sollten zu starke körperliche Betätigungen unterlassen werden. Wasser darf für 14 Tage nicht an das jeweilige Ohr gelangen. Falls der Gesichtsnerv gelähmt ist und das Auge nicht aktiv geschlossen werden kann, muss es abgeklebt werden und mit Augentropfen und -salben behandelt werden.
Bei Verbleib von Tumoranteilen werden regelmäßige ärztliche Kontrollen mit bildgebenden Verfahren (z. B. Röntgen, Computertomographie) durchgeführt, um ein erneutes Wachstum frühzeitig feststellen zu können.
Ergeben sich Auffälligkeiten, die Zeichen von Komplikationen sein können, so sollte möglichst rasch der Arzt kontaktiert werden. Insbesondere sollte der Austritt von klarer Flüssigkeit aus der Wunde oder dem Ohr einem Arzt mitgeteilt werden, da es Hirnflüssigkeit sein könnte.
aktualisiert am 05.03.2020