Prof. Strauß: ADHS ist eine der häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Mittlerweile ist bekannt, dass sich bei bis zu zwei Dritteln der betroffenen Kinder die ADHS-Symptome auch ins Erwachsenenalter fortsetzen. Die Betroffenen leiden unter den sogenannten ADHS-Kernsymptomen: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Aber auch weitere Symptome wie Gefühls- und Stimmungsschwankungen sowie Schlafstörungen können zum Störungsbild der ADHS gehören.
Mittlerweile ist bekannt, dass sich bei bis zu zwei Dritteln der betroffenen Kinder die ADHS-Symptome auch ins Erwachsenenalter fortsetzen.
Prof. Strauß: ADHS ist keine Modeerscheinung, sondern ein schon immer existierendes Störungsbild, welches bereits 1775 beschrieben wurde. Eigene psychiatriegeschichtliche Forschungsarbeiten haben ergeben, dass mehrere namhafte Nervenärzte des 20. Jahrhunderts in ihren Lehrbüchern typische ADHS-Betroffene beschreiben, welche aus heutiger Sicht die Diagnose ADHS erhalten hätten, zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch entsprechend der damalig geltenden Krankheitslehre anderen psychiatrischen Krankheitsbildern zugeordnet wurden.
Prof. Strauß: In einigen anderen Ländern ist ADHS, vor allem bei Erwachsenen, weniger bekannt. Die Folge ist, dass entsprechend weniger professionelle Behandlungsangebote für die Betroffenen existieren, was wiederum dazu führt, dass weniger ADHS-Betroffene die korrekte Diagnose bekommen.
Prof. Strauß: Kinder mit ADHS zeigen Auffälligkeiten in den Bereichen Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Die Symptome können unterschiedlich ausgeprägt sein und führen unter anderem zu Problemen in der Schule oder im Verhalten zu anderen Kindern. Die betroffenen Kinder haben unter anderem Schwierigkeiten still zu sitzen, Aufgaben zu bewältigen, welche ein planvolles und vorausschauendes Handeln erfordern oder stören im Unterricht. Aber auch aggressive Verhaltensweisen und Wutanfälle können ein Problem darstellen. Die Auffälligkeiten treten nicht nur in der Schule, sondern auch in anderen Lebensbereichen wie Freizeitaktivitäten auf.
Kinder mit ADHS zeigen Auffälligkeiten in den Bereichen Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.
Prof. Strauß: ADHS präsentiert sich bei Mädchen und Frauen häufig anders als bei Jungs und Männern. Frauen haben häufiger mehr Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme und weniger ADHS-Symptome aus dem Impulsivitäts- und Hyperaktivitätsbereich. Aufgrund der auf den ersten Blick fehlenden typischen ADHS-Verhaltensauffälligkeiten wird die Symptomatik später erkannt oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern wie Depressionen zugeordnet, was zu weniger ADHS Diagnosen bei Mädchen und Frauen führen kann.
Prof. Strauß: Erwachsene ADHS-Betroffene präsentieren ebenfalls die typischen ADHS- Kernsymptome: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. ADHS-Betroffene können nicht planvoll und zielgerichtet handeln, haben ein schlechtes Zeitmanagement, verlieren den Gesprächsfaden und können schlecht anderen zuhören. Die motorische Hyperaktivität kann bei Erwachsenen, im Gegensatz zu betroffenen Kindern, weniger sichtbar sein, sondern wandelt sich in ständige innere Unruhe um. Aufgrund der ADHS bedingten Impulsivität haben betroffene Erwachsene Probleme, spontanen Handlungsimpulsen zu widerstehen oder sind sehr ungeduldig und ungehalten im Verhalten zu anderen. Viele leiden zusätzlich unter ausgeprägten Stimmungsschwankungen und haben Probleme damit, ihre Emotionen zu regulieren. Außerdem besteht ein deutlich erhöhtes Risiko weitere psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Suchtprobleme zu entwickeln.
Prof. Strauß: Erwachsene Betroffene haben unter anderem große Probleme mit der Informationsverarbeitung. Reize werden nur unzureichend gefiltert. Dies hat das Ergebnis einer permanenten Reizüberflutung zur Folge. Die Betroffenen können ihre Aufmerksamkeit nicht auf eine Sache richten, Wichtiges nicht von Unwichtigem trennen und „versinken“ im Chaos. Sie vergessen Termine, halten sich nicht an Absprachen und es gelingt ihnen nicht, sinnvoll ihre Aufgaben abzuarbeiten. Außerdem fühlen sie sich getrieben und innerlich ruhelos, können nicht entspannen und zur Ruhe kommen. Häufig fällt es ihnen schwer, spontane Einfälle zu überdenken oder Entwicklungen abzuwarten, was zu übereilten und impulsiven Lebensentscheidungen mit negativen Folgen führt. All das beeinflusst sowohl das Berufsleben aber auch den privaten und familiären Bereich negativ. ADHS-Betroffene erreichen häufig ihre beruflichen Ziele nicht, haben häufiger Beziehungsprobleme und beklagen eine deutlich vermindere Lebensqualität und Lebenszufriedenheit.
Erwachsene Betroffene haben unter anderem große Probleme mit der Informationsverarbeitung.
Prof. Strauß: Die Behandlung der ADHS bei Kindern besteht aus mehreren Säulen. Dazu gehören Psychoedukation (Fachwissen über ADHS für Betroffene und Angehörige), Medikamente, Psychotherapie, Elternschulungen, unterstützende Maßnahmen im Kindergarten oder Schule, oder weitere Maßnahmen wie Ergotherapie.
Prof. Strauß: Auch die Behandlung bei Erwachsenen Betroffenen soll multimodal erfolgen, in der Regel mittels einer Kombination aus Medikamenten, Psychoedukation und Psychotherapie. Aber auch andere Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren, Soziotherapie oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe können in Abhängigkeit der Symptomatik sinnvoll sein.
Prof. Strauß: Nach dem derzeitigen Wissenstand ist ADHS nicht heilbar, allerdings lassen sich die Symptome mit der richtigen Behandlung gut in den Griff kriegen, so dass Betroffene ein weitgehend normales Leben führen können.
Nach dem derzeitigen Wissenstand ist ADHS nicht heilbar...
Prof. Strauß: In den letzten Jahren ist ADHS auch für Erwachsene Betroffene zunehmend in den Fokus gerückt, sodass mittlerweile immer mehr Behandlungsangebote auch für diese Gruppe zur Verfügung stehen. Seit einigen Jahren sind unter anderem auch medikamentöse Behandlungen bei erwachsenen ADHS-Betroffenen möglich, da diese mittlerweile auch für Erwachsene in Deutschland offiziell zugelassen sind.
Prof. Strauß: Nach wie vor wird zu den neurobiologischen Ursachen der ADHS, aber auch zu neuen nicht-medikamentösen Behandlungsverfahren wie Stimulationsverfahren (z.B. Gleichstromtherapie) geforscht. Weitere wichtige Forschungsfelder sind Unterschiede in der ADHS-Symptomatik zwischen Männern und Frauen, aber auch die Entwicklung der ADHS-Symptome von der Kindheit bis ins Erwachsenalter. Dies soll vor allem dem besseren Verständnis der ADHS dienen, um letztlich für jeden Betroffenen die passenden Behandlungsangebote bereitzustellen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 09.01.2024.