Prof. Mohnike: Achondroplasie ist eine besondere Form des Kleinwuchses, bei der die Knochen während des Wachstumsprozesses von der Geburt bis zum Erwachsenenalter nicht normal wachsen. Dadurch bleiben Menschen mit Achondroplasie oft sehr klein, meist zwischen 1,16 m und 1,36 m. Es handelt sich um eine Knochenkrankheit, die nicht nur zu Kleinwuchs, sondern auch zu anderen möglichen Komplikationen führen kann. Andererseits ist es möglich, mit Achondroplasie ein gesundes Leben zu führen, wenn man mit der Herausforderung, in der normalen Gesellschaft auffallend klein zu sein, umgehen kann.
Prof. Mohnike: Die Entstehung von Knochenwachstumsstörungen wird durch eine Vielzahl von Genen gesteuert. Eines dieser Gene ist FGFR3, eine komplizierte Abkürzung für Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor 3.
Rezeptoren sind im Wesentlichen für die Regulierung von Signalen (z.B. Hormonen) im Körper zuständig. Eine bestimmte Mutation dieses Gens führt jedoch zu einer Knochenwachstumsstörung, die Achondroplasie genannt wird. Achondroplasie kann im Prinzip jeden treffen. Wenn jemand diese Mutation hat, besteht die Möglichkeit, dass er sie an seine Kinder weitergibt. Die meisten Menschen mit Achondroplasie haben niemanden in ihrer Familie, der auch von dieser Krankheit betroffen ist. Das bedeutet eben, dass Achondroplasie jeden treffen kann. Es wurde auch beobachtet, dass das Alter des Vaters einen gewissen Einfluss auf das Auftreten von Achondroplasie bei Kindern haben kann. Wenn der Vater signifikant älter ist, steigt die Wahrscheinlichkeit für Achondroplasie bei den Kindern leicht an. Dies ist jedoch nur eine kleine Beobachtung und kein bestätigter Zusammenhang.
Prof. Mohnike: Neben der Achondroplasie gibt es natürlich noch andere Knochenerkrankungen, die auf den ersten Blick ähnlich aussehen. Das Besondere an der Achondroplasie ist, dass die Betroffenen relativ kurze Arme und Beine haben. Außerdem haben sie eine Verengung im Bereich der so genannten Schädelbasisknochen. Das bedeutet, dass bestimmte Knochen, auf denen das Gehirn gelagert ist und Öffnungen, durch die Nervenbahnen verlaufen, kleiner als normal sind. Auch an der Wirbelsäule sind die Wirbelkörper, die fast wie Ringe aussehen betroffen. Wenn ihre Wachstumszone nicht richtig wächst, ist der Wirbelkanal zu eng für das Rückenmark. Das wiederum führt dazu, dass manche Menschen mit Achondroplasie oft starke Rückenschmerzen haben und sich bereits in der Jugend einer Operation unterziehen müssen, um diese Engstelle zu beseitigen.
Letztlich sind aber alle Knochen betroffen, der eine mehr, der andere weniger. Wer durch geeignetes Training die Muskelkraft und die Körperhaltung stärkt, hat in der Regel eine günstigere Prognose als jemand, der die meiste Zeit auf dem Sofa sitzt - dies gilt nicht nur für die Achondroplasie.
Inzwischen sind mehr als 700 verschiedene Gene bekannt, die andere Formen des Knochenminderwuchses verursachen. Ein Beispiel ist die Rachitis, eine Krankheit, die früher häufig auftrat, weil die Menschen zu wenig Sonnenlicht bekamen und deshalb zu wenig Vitamin D hatten, das für die Knochengesundheit wichtig ist. Diese Störung kann aber auch genetisch bedingt sein, sodass auch bei ausreichender Vitamin-D-Versorgung eine Knochenerkrankung auftreten kann. Die Betroffenen erreichen oft eine Körpergröße von etwa 1,40 m bis 1,50 m, eine milde Form des Kleinwuchses.
Es gibt auch die sogenannte Glasknochenkrankheit, bei der Knochen sehr leicht brechen können. Sogar schon vor der Geburt kann es zu Knochenbrüchen kommen. Dies führt in vielen Fällen zu schwerem Kleinwuchs. Es gibt jedoch eine Vielzahl genetisch bedingter Knochenerkrankungen. Grundsätzlich kann jeder, der aufmerksam durch die Stadt geht, den einen oder anderen Menschen sehen, der in irgendeiner Weise verkürzte Extremitäten oder eine verkürzte Wirbelsäule hat. Nicht in allen, aber in einigen Fällen liegt eine genetische Knochenerkrankung vor.
Inzwischen sind mehr als 700 verschiedene Gene bekannt, die andere Formen des Knochenminderwuchses verursachen.
Prof. Mohnike: Bei der Achondroplasie sind die Symptome oft so deutlich, dass die meisten Eltern bereits während der Schwangerschaft davon erfahren. Dies geschieht in der Regel bei Ultraschalluntersuchungen. Zu Beginn der Schwangerschaft sind die Anzeichen meist noch nicht offensichtlich, aber bei der Ultraschalluntersuchung um die 28. Schwangerschaftswoche (die nicht immer zum Standardprogramm gehört, aber gelegentlich durchgeführt wird) können Anzeichen erkannt werden.
Die Ultraschalluntersuchung zeigt in der Regel, dass die Oberschenkelknochen verkürzt sind. Der Ultraschalldiagnostiker kann anhand von Normkurven erkennen, welche Werte im Normbereich liegen und welche eben nicht. So erkennt er dann gewisse Anzeichen. Dennoch ist dies keine hundertprozentig sichere Diagnose. Um sicherzugehen, dass es sich tatsächlich um eine Achondroplasie handelt, ist eine genetische Untersuchung notwendig. Die Entscheidung, ob diese Untersuchung durchgeführt werden soll, liegt jedoch bei den Eltern. Manche Eltern entscheiden sich, diese Untersuchung nicht durchführen zu lassen und die Diagnose erst nach der Geburt zu bestätigen.
Prof. Mohnike: Als ich als junger Arzt mit meinem Beruf begann, konnte ich den Eltern leider nur mitteilen, dass ihre Kinder intensive orthopädische und HNO-ärztliche Betreuung, eventuell auch Operationen benötigen werden. Viele Kinder hatten die von mir beschriebene Verengung der Schädelbasis, die oft zu häufigen Mittelohrentzündungen führte. Sie wurden regelmäßig ärztlich untersucht und wenn nötig, wurden Mittelohrröhrchen eingesetzt, um die Infektionen zu kontrollieren. Bei orthopädischen Problemen wie Wirbelsäulenveränderungen mussten wir zusätzlich spezialisierte Therapeuten hinzuziehen. Wir haben den Eltern immer erklärt, dass eine gute Muskulatur wichtig ist, wenn die Knochen schwach sind. Mit Physiotherapie und Ergotherapie konnte man das oft gut in den Griff bekommen.
Seit einigen Jahren gibt es Medikamente, die das Knochenwachstum regulieren können. Dieser Fortschritt ist das Ergebnis intensiver Forschung, bei der die Genmutation genauer untersucht wurde. Mit bestimmten Medikamenten kann nun das Knochenwachstum verbessert und reguliert werden. Als ich Anfang der 2000er Jahre zum ersten Mal davon hörte, war das eine Sensation. Zunächst gab es Tierversuche, die zeigten, dass die Knochen auf das Medikament ansprachen. Aber es dauerte eine Weile, bis die Nebenwirkungen und andere Aspekte erforscht waren. Klinische Forschung ist ein langwieriger Prozess.
Seit 2011 gibt es jedoch Erfahrungen mit diesen Medikamenten am Menschen und vor zwei Jahren wurde ein Medikament zugelassen. Dieses Medikament kann das Wachstum um etwa ein Viertel verbessern. Das bedeutet, dass jemand, der zum Beispiel 1,25 m groß ist, im Laufe der Jahre noch einmal 15 bis 20 Zentimeter wachsen kann. Das ist sehr ermutigend. Gleichzeitig hoffen wir, die Komplikationen, von denen ich vorhin gesprochen habe, zu reduzieren. Wir erhoffen uns Verbesserungen an der Wirbelsäule und an anderen Organen. Erste Beobachtungen deuten darauf hin, dass es auch hier Verbesserungen geben könnte. Das ist wirklich ein neuer Abschnitt für diese Menschen. Wir hoffen, dass sie weniger auf orthopädische Eingriffe angewiesen sein werden und dass das Medikament einen großen Nutzen bringen wird.
Seit einigen Jahren gibt es Medikamente, die das Knochenwachstum regulieren können.
Prof. Mohnike: Bei verkürzten Beinen und Armen haben Orthopäden die Möglichkeit, Verlängerungsoperationen durchzuführen. Dies wurde auch schon vielerorts praktiziert. Das hat natürlich Nachteile, wie sich jeder vorstellen kann, der schon einmal ein Bein gebrochen hat. Es ist sehr unangenehm. Die gleiche Prozedur muss an allen vier Extremitäten durchführt werden. Denn wenn man nur die Beine verlängert, um größer zu werden, kann man mit den verkürzten Armen immer noch keine Körperpflege durchführen. Man braucht also auch längere Arme. Das bedeutet, dass dieser Prozess über Jahre hinweg einen erheblichen Aufwand erfordert.
Es ist im Wesentlichen eine Entscheidung, die von der Familie und den betroffenen Jugendlichen oder Kindern getroffen werden muss. Sie müssen sich fragen, ob sie sich auf diesen langwierigen Prozess einlassen wollen oder nicht. Diese Therapie wurde in den 80er Jahren eingeführt und hat durchaus Erfolge gezeigt. Sie birgt aber auch Komplikationen und schränkt das Leben eines solchen Kindes erheblich ein. Wenn man zum Beispiel monatelang mit den notwendigen Instrumenten herumlaufen muss, ist das alles andere als angenehm. Wenn man dagegen nach einem Unfall einen Nagel im Knochen braucht, hat man keine Wahl. Man lässt es machen, weil es die beste Behandlung ist. Aber wenn man sich vorher überlegen muss, ob man die ganzen Sommerferien im Krankenhaus verbringt und regelmäßig zum Arzt geht, um die Wunden versorgen zu lassen, dann ist das sicher eine Entscheidung, die jeder anders trifft. Umso erfreulicher ist es, wenn die Entwicklung von Medikamenten voranschreitet.
Zu betonen ist, dass inzwischen weitere Wirkstoffe entwickelt wurden, die verschiedene Angriffspunkte haben. Die Hoffnung der Betroffenen ist, dass durch eine Kombination dieser Medikamente bessere Ergebnisse erzielt werden können. Man kann also sagen, dass die Forschung auf diesem Gebiet wirklich enorme Fortschritte gemacht hat.
Prof. Mohnike: Die Lebenserwartung ist durch die Erkrankung nicht eingeschränkt. Das Hauptproblem liegt vielmehr darin, dass sie häufig Probleme mit der Wirbelsäule und der Streckung der Extremitäten haben. Aber auch bei Veränderungen im Gelenkbereich ist es möglich, sportliche Erfolge als Gewichtheber zu erreichen. Ich persönlich glaube fest daran, dass Sport und eine gezielte physiotherapeutische Betreuung dazu beitragen können, diese Knochen- und Wirbelsäulenprobleme zu verlangsamen. Mit den richtigen Bewegungsübungen kann man lernen, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Ich kenne sogar Menschen mit Achondroplasie, die über 80 Jahre alt sind. Insofern ist mir keine wesentliche Einschränkung bekannt.
Die Lebenserwartung ist durch die Erkrankung nicht eingeschränkt.
Prof. Mohnike: Ja, eine Achondroplasie ist als Behinderung anerkannt. Wenn man praktisch nur 1,25 m groß ist, kann man sich vorstellen, dass man im Alltag oft vor Herausforderungen steht. Zum Beispiel kommt man kaum an Informationstafeln heran, die viel höher hängen, oder an Bedienfelder von Computern, die außer Reichweite sind. Das kann man sich leicht vorstellen, wenn man aufmerksam durch die Stadt geht und überall sieht, dass alles auf eine Durchschnittsgröße von 1,70 Meter ausgerichtet ist. Wenn man dann 50 Zentimeter kleiner ist, kann man ähnliche Dinge tun wie ein achtjähriges Kind. Das betrifft auch alltägliche Situationen, wie zum Beispiel im Supermarkt an höher gelegene Regale zu gelangen. Kurz gesagt, solche Situationen können einen schon beeinflussen. Und wenn man jemandem beispielsweise auf der Straße hinterherlaufen will, hat man mit kurzen Beinen sicher nicht den Vorteil gegenüber jemandem mit längeren Beinen.
Ja, eine Achondroplasie ist als Behinderung anerkannt.
Prof. Mohnike: Im Prinzip geht es darum, dass diese bestimmte Mutation dazu führt, dass das Wachstum der Röhrenknochen nicht koordiniert abläuft. Es gibt in der Forschung gerade auch weitere Ansatzpunkte für Medikamente. Besonders erwähnenswert ist ein interessantes Medikament, das bereits bei Erwachsenen für eine andere Indikation eingesetzt wird. Mit diesem Medikament können Tumoren bekämpft werden. Es ist faszinierend, wie verschiedene Medikamente auf verschiedene Weise wirken können. Jeder kennt das: Man nimmt ein Medikament und stellt plötzlich fest, dass es zum Beispiel bei Diabetikern den Blutzucker senkt, obwohl es vorher gegen Bluthochdruck eingesetzt wurde. In diesem Bereich wird im Rahmen klinischer Studien intensiv geforscht.
Es gibt auch Kombinationen von orthopädischen Maßnahmen und Medikamenten. Zum Beispiel gibt es die "eight plates", die von Orthopäden eingesetzt werden, um das Wachstum zu lenken. Dies geschieht mit einer Art Bauklammer, die an der Wachstumszone des langen Röhrenknochens angebracht wird. Wird diese Zone an der Außenseite des Knochens gehemmt, kann die Innenseite besser wachsen oder umgekehrt. Auf diese Weise kann aus einem O-Bein ein X-Bein oder aus einem X-Bein ein O-Bein werden. Wenn der Orthopäde geschickt vorgeht, kann das Wachstum so gelenkt werden, dass ein korrekte Beinachse entsteht. Die Kombination dieser Maßnahmen bietet auch bei Jugendlichen, die Chance größere Operationen zu vermeiden.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 08.01.2024.